Mitglieder des Osmanen Germania Boxclubs bei einer Demonstration 2016 in Berlin. Der türkische Staatspräsident Erdogan selbst steuerte den Einsatz der Foto: dpa

Der Offenbacher Muhsin Senol zog die Strippen im hessischen Erdogan-Lobbyverein UETD, pflegte Kontakte zur Schlägertruppe Osmanen-Germania und bewarb sich als Stadtoberhaupt in seiner Heimatstadt.

Stuttgart - Der Ex-Bürgermeisterkandidat verbrachte genau 421 Sekunden im Zeugenstand. Davon redete am Stuttgarter Landgericht die meiste Zeit auch noch der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen. Er klärte Muhsin Senol über seine Rechte als Zeuge auf. Auch darüber, dass er sich nicht selbst belasten müsse. „Davon möchte ich Gebrauch machen“, beschied Senol – und nahm im Zuschauerraum Platz, um dort dem Prozess gegen acht Mitglieder des Osmanen Germania Boxclubs weiter zu folgen.

Dabei wäre Senol, der sich im vergangenen September in seiner hessischen Heimatstadt Offenbach zum Oberbürgermeister wählen lassen wollte, ein höchst interessanter Gesprächspartner für die Richter gewesen: Als damaliger Vorsitzender des hessischen Erdogan-Jubelvereins „Union der Europäisch-Türkischen Demokraten“ (UETD) traf er sich regelmäßig mit Erdogans Mann fürs Grobe, Metin Külünk. Der stattete – über den Mannheimer UETD-Vorsitzenden Ilkay Arin und den türkischen Geheimdienst MIT – die Osmanen mit Geld aus, damit die sich für die Hatz auf Erdogan-Kritiker bewaffneten. Nicht selten war ein türkisches Restaurant am Mannheimer Marktplatz Treffpunkt Külünks, Senols und Arins.

Schläger im Dienste einer Wetzlarer Immobilienmaklerin

Zum anderen – so fanden Ermittler heraus – soll Senol die Dienste der Osmanen vermittelt haben, um für eine türkisch-stämmige Immobilienmaklerin in Wetzlar unliebsame Mieter aus ihrer Wohnung zu vertrieben. Der vor einem Jahr gescheiterte Bürgermeisterkandidat gilt als einer der noch in Deutschland weilenden Schnittstellen zwischen den politischen Anweisungen aus Ankara und ihrer von Gewalt geprägten Umsetzung durch die Osmanen in Deutschland. Wenn auch Zweifel bestehen, dass Senol sich einer Befragung durch die Richter unvorbereitet gestellt hätte: Immerhin trat sogar einer der Verteidiger des Osmanen-Verfahrens als Wahlhelfer Senols in dessen Werbevideos auf.

Die Folgen dessen, was auch Külünk und seine in Deutschland lebenden UETD-Paladine im Mannheimer Dönerrestaurant ausheckten, arbeiteten die Richter eine halbe Stunde nachdem der Offenbacher Kaufmann den Zeugenstuhl verlassen hatte – mit einem Opfer.

Schutzgeld, auch weil das Opfer Kurde war

Der aus Aleppo geflohene, syrische Kurde, betreibt in Stockach eine Shisha Bar. Dort marschierten am Abend des zweiten Weihnachtstages 2016 zwischen 20 und 25 Osmanen auf. Erst verwiesen sie drei Unterstützer der Rockergruppe Hells Angels der Bar. Dann bugsierten sie den Syrer vor den Räuchertempel und nahmen ihn aufs Korn: ein Schlag ins Gesicht. Eine zerbrochene Brille. Die Forderung, 5 000 Euro zu zahlen. Aus zwei Gründen: Zum einen, weil der Syrer Kurde ist. Zum anderen, weil er Gäste bewirtete, die einer konkurrierenden Rockergruppe angehörten.

200 oder 300 Euro habe er dem Wortführer der schlagkräftigen Truppe, der Konstanzer Osmanen-Führungskraft Timur Alacali, übergeben. Der habe angedroht, „‚wir verbrennen Dich in Deinem Geschäft’, wenn am nächsten Tag nicht das fehlende Geld da ist“, erzählte der Barbesitzer. Eine Drohung, die er auch deshalb Ernst nahm, weil Alacalis Begleiter, ein Hüne, dessen Hände in schlagverstärkenden Quarzsandhandschuhen gesteckt haben sollen, nachlegte: „Das ist kein Spiel, ruf’ nicht die Polizei!“

Angst um die beiden Kinder

Der vertraute sich der Gastwirt trotzdem an. Auch wenn er am 27. Dezember 2016 unter allen Umständen seine Anzeige zurücknehmen wollte: „Ich habe immer noch Angst – auch um meine beiden Kinder“, erzählte er mit stockender Stimme. Sein Umsatz sei seit dem Überfall drastisch um etwa ein Drittel gesunken.

Die Attacke legt Staatsanwalt Michael Wahl auch den damaligen Stuttgarter Osmanen-Anführern Levent Uzundal und Toni Wörz zu Last. Sie seien Alacalis Bitte nachgekommen, die Konstanzer Truppe für den Überfall auf die Shisha-Bar zu verstärken. Zumindest Uzundals in die Türkei geflüchteter Stellvertreter, Mustafa Kilinc, sei mit mindestens einem Begleiter aus der Landeshauptstadt an den Bodensee geeilt. Wörz sei in die Pläne eingeweiht gewesen und habe die Stuttgarter Truppe in Marsch gesetzt.