Immer weniger Frauen und Männer wollen vom frommen Leben etwas wissen: Fehlender Nachwuchs und Überalterung lassen die Ordensgemeinschaften in Deutschland kontinuierlich schrumpfen Foto: Fotolia

Weil es an Nachwuchs mangelt, müssen  Deutschlands Orden  Niederlassungen schließen und ihre Aufgaben reduzieren. Doch in der Krise gedeihen auch beeindruckende Neuaufbrüche.

Stuttgart - Inmitten ausgedehnter Wälder der Vulkaneifel, rund drei Kilometer nordwestlich der 18 600-Einwohner-Stadt Ma-yen bei Koblenz liegt das Kloster Helgoland. Ein asphaltierter Weg führt zu dem abgelegenen Komplex. Das 1923 eingeweihte Haus verfügt über 71 Zimmer auf einer Wohnfläche von 5408 Quadratmetern und einem 57 400 Quadratmeter großen Grundstück. Ein echtes Schmuckstück – und ein besonderes dazu. Denn Kloster Helgoland steht leer.

2011 verließen die letzten Schwestern das Anwesen. Die Älteren gingen ins nahegelegene Seniorenheim nach Polch, die übrigen übernahmen neue Aufgaben im Orden. Das Mutterhaus der deutschen Provinz in Mayen wurde aufgelöst, die Kirche entweiht. Die Kongregation, die 1982 beim 125-jährigen Bestehen noch 342 Mitglieder in 26 Niederlassungen in Deutschland, Belgien, Holland und dem Kongo hatte, zählt heute 75 Schwestern und einige Novizinnen.

Fehlender Nachwuchs und Überalterung

Das Haus Gottes in Mayen ist kein Einzelfall. Fehlender Nachwuchs und Überalterung lassen die Orden in Deutschland kontinuierlich schrumpfen. Immer weniger Frauen und Männer wollen etwas vom frommen Leben wissen. Ralf Olbrück sieht darin einen „traurigen Trend, der sich beschleunigt“. Der 57-jährige Katholik ist Vermögensverwalter. 1990 gründete der frühere Anlageberater bei der Bank für Sozialwirtschaft sein eigenes Unternehmen, die Pro Secur Vermögensverwaltung in Köln . Seine Kunden sind ausschließlich Klöster und Orden. Bisher hat der Makler mehr als 50 Häuser veräußert. Bis ein Käufer gefunden ist, dauert es mindestens zwei Jahre – im Fall von Kloster Helgoland sogar noch länger. Den ursprünglichen Kaufpreis von 2,5 Millionen Euro musste Olbrück drücken, weil sich kein Käufer fand. Jetzt wird das Objekt für 1,5 Millionen im Internet feilgeboten. „Wir haben mehrere ernsthafte Interessenten“, sagt der Makler. Einer wollte ein Hotel in dem teilweise unter Denkmalschutz stehenden Gebäude errichten. Doch der Investitionsbedarf von mindestens zehn Millionen Euro (auf den Etagen gibt es fast nur Gemeinschaftsbäder) schreckte ihn ab.

„Katholische Klausel“

Eine „katholische Klausel“ in den Verträgen regelt, wer als neuer Nutzer in Frage kommt. „Die Orden wollen für ihre Klöster würdige Nachfolger, die im christlichen und humanitären Sinne tätig sind. Niemand möchte, dass aus seinem Kloster ein Swingerclub, Bordell oder ein Sekten und Esoteriker-Heim wird.“ Zuerst fragt Olbrück bei der zuständigen Gemeinde, dem Landkreis und Bistum nach, auf deren Territorium das Kloster liegt. Die Diözesen winken in der Regel ab, weil sie selbst Exerzitien- und Tagungshäuser zuhauf besitzen. Wer ein Kloster an den Mann bringen will, braucht sehr viel Geduld. Ein Haus in München würden einem die Investoren aus den Händen reißen. Aber Mayen? Oder das ehemalige Redemptoristenkloster Heiligenborn im saarländischen Bous? Oder Kloster Allerheiligenberg in Niederlahnstein der Oblaten der makellosen Jungfrau Maria? Olbrück: „Viele Orden geben ihre Riesenhäuser auf, weil diese wirtschaftlich nicht mehr zu halten und nicht dafür ausgelegt sind, ältere und kranke Personen zu beherbergen.“

Cellitinnen sind bald ausgestorben

Ein Problem, das Wolfgang Allhorn nur zu gut kennt. „Der Diakon ist in der Stiftung der Cellitinnen zur heiligen Maria als Leiter einer Stabsstelle für die Kirchliche Unternehmenskultur zuständig. Der 1828 gegründete Krankenpflegeorden, der vor allem im Rheinland aktiv ist, zählte in den 1950er Jahren 560 Schwestern. Heute sind es 41 Ordensfrauen, von denen nur noch eine arbeitet. Alle anderen haben sich aufs Altenteil zurückgezogen. „Der Orden der Cellitinnen stirbt aus. Das ist ein Faktum“, sagt Allhorn nüchtern. „Wenn man bei anderen Gemeinschaften nachfragt, wird man überall dieselbe Aussage bekommen: Orden von ehemals mehreren Hundert Schwestern stehen kurz davor, nicht mehr da zu sein.“

Benediktiner verlassen Abtei Michaelsberg

Dem Sprecher der Deutschen Ordensoberen-Konferenz (DOK) Arnulf Salmen zufolge kommen auf jede neue Novizin zehn Nonnen, die sterben. Auch wenn Jesuiten, Franziskaner oder Kapuziner reihenweise Häuser schließen und Provinzen zusammengelegen müssen, existieren diese weltweit agierenden Orden weiter. Ganz anders sieht es bei Gemeinschaften wie den Benediktinern aus, in denen sich die Ordensleute an das jeweilige Kloster binden.

Die Abtei Michaelsberg in Siegburg ist eine bedeutende Stätte abendländischer Kultur. 2011 nahmen die letzten 13 Mönche nach 946 Jahren benediktinischen Lebens Abschied von dem altehrwürdigen Gemäuer. Die kleine Gemeinschaft konnte die finanziellen Lasten mit einem geschätzten Sanierungsbedarf von 40 Millionen Euro nicht mehr stemmen. Das Erzbistum Köln übernahm die Immobilie, in deren Gästehaus sechs indische Patres der Unbeschuhten Karmeliten eingezogen sind.

Krise der Kirche – Krise der Orden -

Die Krise der Orden ist auch eine Krise der Kirche. Die Schwächung kirchlicher Bindungen, einer tragfähigen Glaubenspraxis und des traditionellen Familienbildes sind Gründe für den Niedergang. Für die Orden gehe es um „die Kunst aufzuhören und sterben zu können“, diagnostizierte bereits vor 40 Jahren der Theologe Johann Baptist Metz.

Viel hängt davon ab, wie die Orden diesen Weg gehen. „In Siegburg ist ein Schlussstrich gezogen worden. Das ist mit Trauer und Schmerz verbunden“, erklärt Salmen. In den Orden wachse die Einsicht, dass es zu Ende gehen könnte. Es gehe aber nie nur bergab, es gebe auch beeindruckende Neuaufbrüche: So haben polnische, brasilianische und deutsche Herz-Jesu-Priester in Berlin einen internationalen Konvent gegründet. In Groß St. Martin in der Kölner City üben sich fünf Frauen und acht Männer der Gemeinschaft von Jerusalem in der monastischen Lebensweise. Die Gemeinschaft wurde 1975 in Frankreich gegründet, um die christliche Spiritualität in die „Wüste der Städte“ zu tragen. Im früheren Benediktiner-Kloster Weingarten, wo Flüchtlinge eine Bleibe gefunden haben, leben drei Franziskanerinnen von Reute in einer Kommunität.

Trauer und Schmerz beim Abschied vom Kloster

Auch bei den Schwestern der Heiligen Magdalena M. Postel wird es weitergehen – wenn auch eine Nummer kleiner. Früher gehörten der deutschen Provinz bis zu 1500 Nonnen an, heute sind es 210. Einige Häuser hat man indischen Ordensgemeinschaften überlassen. „Wir müssen uns auf kleinere Räume reduzieren“, erklärt die Generalsekretärin des Ordens, Schwester Theresia Lehmeier (59). „An den Einrichtungen, die wir abgeben mussten, hängen viele Erinnerungen und Emotionen. Dinge, die man lieb gewonnen hat.“ Es sei ähnlich wie in einer Familie, die langsam ausstirbt und in der das Haus der Eltern verkauft werden muss. „Wir sind realistisch und wissen, dass nicht alles erhalten werden kann.“

Pragmatisch gehen auch die Cellitinnen mit ihrem Vermächtnis um. Wenn in zehn, 15 Jahren die letzte Schwester gestorben ist, wird der Orden in seinen Werken fortleben. Bereits Anfang der 1990er Jahre erkannten die Schwestern, dass ihr Orden keine Zukunft mehr hat. „Die Cellitinnen haben frühzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und mit Weitsicht und Realitätssinn darauf reagiert“, betont Allhorn. „Sie wollten, dass ihre Werke im großen Strom der Caritas-Tätigkeit fortbestehen.“

2003 gründete die schrumpfende Gemeinschaft eine Stiftung, unter deren Dach inzwischen 16 weitere Orden kooperieren. Die Stiftung verwaltet mittlerweile acht Krankenhäuser, zwei Reha-Kliniken, 18 Seniorenzentren und zahlreiche andere Gesundheitseinrichtungen in der Region um Köln, Aachen und Wuppertal. Der Rat der Schwestern sei auch weiterhin gefragt, so Allhorn. „Als Senior-Experten verfügen sie über viel Lebenserfahrung und Weisheit.“

Zukunft der Orden in Deutschland

Wie sieht die Zukunft der Orden in Deutschland aus? Sie werden in sehr viel kleineren Zellen und Kooperationen fortbestehen und wirken, ist Salmen überzeugt. „Heute besteht die Chance, mit den verbliebenen Ressourcen Neuanfänge zu wagen.“ Die Theologin und Psychologin Katharina Kluitmann, Provinzoberin der Franziskanerinnen von der Buße und christlichen Liebe in Lüdinghausen, prophezeit: „Der Gehalt der Orden wird bald nur noch in einer neuen Gestalt zu haben sein – oder gar nicht mehr.“