Die deutschen Olympiateilnehmer müssen eine Zeitverschiebung von acht Stunden bewältigen. Foto: AFP, Lg/Leif Piechowski. Illustration: Ruckaberle

Das deutsche Olympiateam begegnet der Zeitumstellung in Südkorea mit Lichtbrillen. Damit werden biologische Prozesse beeinflusst, um die Bestleistung punktgenau abrufen zu können.

Stuttgart - Eine Stunde pro Tag. So lautet die Faustregel für Vielflieger. Wenn man in Richtung Osten geflogen ist, stellt sich der Körper pro Tag um eine Stunde auf die neue Zeitzone ein. Pyeongchang ist der Mitteleuropäischen Zeit um acht Stunden voraus, also sollten die deutschen Sportler, die am ersten Olympia-Wochenende eine Medaille im Visier haben, rund eine Woche vorher abreisen. So zwischen dem 1. und 3. Februar müssten sich Biathletin Laura Dahlmeier und Skispringer Richard Freitag (Start beide am 10. Februar) sowie Abfahrer Thomas Dreßen und Rodler Felix Loch (beide 11. Februar) in den Flieger nach Korea setzen.

Tun sie aber nicht unbedingt. Nicht, weil sie so überlegen sind, dass sie die Konkurrenz selbst leicht übermüdet abbügeln würden, sondern weil Karlheinz Waibel die medizinische Trickkiste öffnet. Der Mann ist studierter Sportwissenschaftler, der Deutsche Ski-Verband (DSV) beschäftigt ihn als Bundestrainer Wissenschaft und Technologie. „Praxis und Wissenschaft sprechen verschiedene Sprachen“, sagt Waibel, „ich bin der Dolmetscher zwischen beiden.“

Die Zeitumstellung wird beschleunigt

Er ist verantwortlich, dass Material und Hilfsmittel wie Skiwachs auf technologisch höchstem Niveau sind und dass erlaubte Kniffe angewandt werden, um den menschlichen Körper auf Höchstleistung zu trimmen – unabhängig von der Tageszeit. „Wir können mit biologischem Licht einer bestimmten Wellenlänge die Zeitumstellung beschleunigen“, verrät der 51-Jährige.

Licht-Doping. Möglich ist das erst seit ein paar Jahren. Die Entdeckung bestimmter Lichtrezeptoren im Auge ermöglicht es, die innere Uhr schneller vor- oder zurückzustellen. Fotosensitive Ganglienzellen, die vor zehn Jahren entdeckt wurden, beeinflussen den Tag-und-Nacht-Rhythmus und sind dabei für die Ausschüttung von Stoffen wie etwa dem Schlafhormon Melatonin verantwortlich. Karlheinz Waibel erklärt das so: „Die Umstellung der biologischen Prozesse werden getriggert, also ausgelöst, durch hormonelle Vorgänge – wenn der Organismus sich aber noch in einer anderen Zeitzone befindet, dann funktioniert das nicht. Und genau diese Prozesse triggern wir mit Licht einer bestimmten Wellenlänge.“

Lichtbrillen sind seit drei Jahren im Einsatz

In Zusammenarbeit mit dem Lichtspezialisten Osram wurden Leuchtmittel und eine Lichtbrille entwickelt, die im DSV seit drei Jahren eingesetzt wird – besonders bei den Alpinrennläufern, die häufig durch verschiedene Zeitzone jetten. „Die Müdigkeit ist das Schlimmste“, sagt Slalomspezialist Stefan Luitz, der wegen eines Kreuzbandrisses Olympia auslassen muss, „man merkt, dass man mit der Brille vitaler wird und man sich schneller anpassen kann.“ Nun werden nicht nur die Alpinen, sondern alle Athleten mit Lichtbrillen ausgestattet, die verschiedenfarbiges Licht abgeben, mal heller, mal dunkler – je nachdem, welche zeitliche Umstellung erreicht werden soll. Sie tragen sie im Flugzeug oder in der Unterkunft, strikt nach vorgegebenem Zeitplan. Man kann damit lesen, essen, fernsehen, joggen. Auch die Zimmer werden mit Leuchtmitteln ausgestattet, die auf den erwünschten Biorhythmus der Athleten abgestimmt sind.

Hormonelle Regulationen sind möglich

„Es gibt gewisse Zeitfenster“, erläutert Wissenschaftler Waibel, „in denen hormonelle Regulationen möglich sind – in diese Zeitfenster müssen wir die Sportler reinbringen.“ Punkt. Mehr verrät er nicht. Längst ist der Hochleistungssport auch ein Kampf der Wissenschaftler und der Technologien. Dieses geheime Wissen könnte genau den minimalen Vorsprung schaffen, den deutsche Sportler gegenüber der Konkurrenz erhalten. Das Plus, das zwischen Gold und Platz fünf entscheidet.

Beim Licht-Triggern geht es besonders darum, den Verdauungstrakt richtig auf den Zeitplan der Spiele einzustellen. Der Stoffwechsel muss exakt dann auf vollen Touren laufen, wenn die Sportler Höchstleistungen vollbringen müssen. Beim Wettbewerb. Wenn aber fünf Minuten vor dem Start der Darm anfängt zu rumoren, dann hemmt das eher, als dass es beflügelt. Auch für die Erholung und die Regeneration ist ein perfekt abgestimmter Biorhythmus wichtig. „Wenn der Magen arbeitet, wenn man eigentlich schlafen sollte“, bemerkt Hermann Weinbuch, der Bundestrainer der Kombinierer, „dann ist das ziemlich belastend.“

Viktoria Rebensburg ist schon vor Ort

Letztlich ist es die Entscheidung jedes einzelnen Sportlers, ob er eine speziell für ihn angefertigte Lichtbrille verwendet oder ob er sich teilweise oder gar nicht auf die neue Zeitzone einstellt. Das hängt auch von den Trainings- und Startzeiten in Pyeongchang ab. „Mitunter können wir erst vor Ort klären, welche Maßnahme die erfolgversprechendste ist“, sagt Karlheinz Waibel. Viktoria Rebensburg hat sich schon vor Wochen entschieden. Die Riesenslalom-Spezialistin ist direkt nach den Rennen in Garmisch-Partenkirchen nach Fernost aufgebrochen. „Ich habe letztes Jahr bei den Testwettkämpfen gemerkt, dass mir die Umstellung nicht leicht gefallen ist“, sagt die 28 Jahre alte Gold-Mitfavoritin, „deshalb ist es mir wichtig, so früh wie möglich rüberzufliegen, um mich optimal akklimatisieren zu können.“ Wenn es für den deutschen Tross nach Hause geht, klappt die Umstellung schneller. Die Faustregel besagt: Bei Reisen nach Westen stellt sich der Körper um zwei Stunden pro Tag auf die neue Zeitzone an.