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Susanne Riesch tritt immer weiter aus dem Schatten der populären und erfolgreichen Maria.  

Whistler - Wenn bei den Winterspielen in Whistler der Slalom der Damen stattfindet, fällt die Entscheidung um den Sieg womöglich innerhalb einer Familie. Denn Susanne Riesch ist längst mehr als nur die kleine Schwester von Maria. Und sie betont: "Ich bin eine eigene Persönlichkeit."

 Es ist keine riesengroße Runde, die sich versammelt hat im Untergeschoss des Pressezentrums in Whistler. Vier deutsche Skirennläuferinnen sind gekommen, vielleicht 15 deutsche Journalisten, dazu zwei Kamerateams. Man kennt sich. Und die Namensschilder auf dem Podium sind irgendwie überflüssig. Aber sie sind hier nun mal Usus. Und das ergibt ja auch Sinn, denn der ein oder andere kanadische Medienvertreter hat sich auch nach unten begeben. Und stünde vor der jungen Dame in der Mitte nicht ihr Name, man würde wohl nicht gleich drauf kommen, wer da sitzt: nämlich die Schwester von Maria Riesch.

Sie haben auf den ersten Blick nicht allzu viel miteinander gemein, Maria und Susanne Riesch. Die eine zelebriert für gewöhnlich den öffentlichen Auftritt, sie ist darin routiniert, macht sich schick, sie lächelt unentwegt, und wenn sie antwortet, dann gibt es viel Arbeit für die Journalisten. Denn Maria Riesch antwortet ausführlich. Susanne ist da anders. Drei Jahre jünger als ihre große Schwester ist die 22-Jährige, sie wirkt noch ein wenig zurückhaltend, während die anderen reden, lehnt sie sich zurück, macht ein ernstes Gesicht und presst die Lippen aufeinander. Redet sie selbst, schweift sie nicht ab, ihre Antworten sind kürzer. Aber - und das ist wichtig - sie hat etwas zu sagen. Nämlich: ihre Meinung, ihre ganz eigene Meinung, die nichts zu tun hat mit dem Denken der Schwester. Susannes wichtigste Nachricht: "Ich bin nicht nur die kleine Schwester. Ich bin eine eigene Persönlichkeit."


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Mittlerweile schon. Es hat einige Zeit gedauert, bis Susanne Riesch diese Emanzipation geschafft hatte oder sie zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung als solche rüberbringen konnte. Wichtig dafür war vor allem eines: dass sie selbst Erfolge feiert - und nicht auftritt als Marias erste Gratulantin aus der Familie. Susanne Riesch weiß um diesen Zusammenhang, aber sie wusste lange nicht, wie sie mit ihm umgehen sollte. "Ich dachte, für den Slalom braucht es nicht so viel, und war immer die Erste, die den Kraftraum verlassen hat", erinnert sie sich. Fast 22 Jahre alt habe sie werden müssen, bis sie diesen Trugschluss als solchen erkannte. Und auch einen anderen. Nachdem sie schon 2006 in Levi auf Platz fünf gefahren war, hemmten sie lange Zeit ihre eigenen hohen Ansprüche. Doch vor dieser Saison kam dann die große Wandlung: Susanne Riesch ist von zu Hause ausgezogen ("ein ganz wichtiger Schritt"), geht eigene Wege mit eigenem Management ("sonst wäre ich wieder hinter der Maria gestanden") und trifft eigene Entscheidungen. Zusammenfassend sagt Mathias Berthold, der Damen-Cheftrainer: "Sie ist zum Profi geworden."

Das wiederum versetzt sie nun in die Lage, mit ihrer Schwester auf Augenhöhe zu kämpfen - zumindest im Slalom. Zweimal ist sie bereits aufs Podium gefahren in dieser Saison, in Flachau lag sie nach dem ersten Durchgang sogar in Führung - bevor sie einfädelte. Das soll heute nicht passieren. Nicht ihr, und auch nicht ihrer Schwester. Sie besichtigen die Strecke gemeinsam, sie reden über die Kurssetzung, sie klatschen sich vor dem Start ab. Dann aber, sagt Susanne Riesch, "sind wir Konkurrentinnen. Dann will jede von uns die Schnellere sein."

Für Mathias Berthold ist es ungemein spannend, die beiden in der Rolle als Schwestern und Konkurrentinnen zu sehen. "Es ist sehr interessant, wenn sie sich über Slalom unterhalten", sagt der Coach, der weiß: "Da steckt keine zurück." Was er auch weiß: "Sie sind beide extrem ehrgeizig, aber doch zwei komplett unterschiedliche Typen." Deshalb war es auch ganz gut, dass vor der jungen Frau in der Mitte ein Namensschild stand.