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Frisch und fit: Martin Schmitt hat trotz vieler Demütigungen nie den Glauben an sich verloren

Whistler - Nur wenige Stunden nach der Eröffnung der Spiele machen die Skispringer an diesem Samstag die ersten Medaillen unter sich aus. Wichtigster Mann im deutschen Team ist nach wie vor Martin Schmitt - und das ist beinahe ein Wunder.

Man kann die ganze Sache kurzfristig betrachten. Daran denken, was noch vor vier Wochen war, und zu dem Schluss kommen, dass es wirklich erstaunlich ist, dass Martin Schmitt am Montag tatsächlich ins olympische Dorf von Whistler Mountain eingezogen ist. Vor gut vier Wochen nämlich saß der Skispringer aus dem Schwarzwald nicht irgendwo auf einem Schanzenturm, bereit zum nächsten Sprung im nächsten Weltcup-Wettbewerb. Martin Schmitt saß zu Hause in Villingen-Schwenningen. Und er war erschöpft. Zu erschöpft, um ordentlich zu springen, ordentlich zu trainieren, um sich überhaupt extremen körperlichen Anstrengungen auszusetzen. Schmitts Körper verlangte nach Ruhe - mit Nachdruck. Schmitt (32) gehorchte.

Mehr als leichtes Krafttraining war nicht drin. Und siehe da: Schmitt erholte sich. Gut vier Wochen später steht er an der Schanze des Whistler Olympic Park und macht einen richtig zufriedenen Eindruck. "Ich habe Tuchfühlung zu den Besten", sagt er nach den Rängen fünf und neun im Abschlusstraining auf der Normalschanze, "ich bin bereit für Olympia." Das ist verwunderlich. Aber längst nicht das Erstaunlichste in der Karriere des Martin Schmitt.

Das kommt erst dann zum Vorschein, wenn man weiter zurückblickt als diese rund vier Wochen seit dem Ende der Vierschanzentournee.

Es gab diese Zeit, in der Martin Schmitt zu dem wurde, was er bis heute ist: der bekannteste aktive deutsche Skispringer. Viele sehen ja in Sven Hannawald den Auslöser des Skisprung-Booms Ende der 90er Jahre. Aber Hannawald war nicht der Auslöser. Es war Martin Schmitt. Silber bei Olympia 1998, zweimal Weltmeister 1999, zweimal Weltmeister 2001, Olympiasieger 2002, zweimal den Gesamtweltcup gewonnen. Es ist diese Zeit, an die sich der Schwarzwälder heute so erinnert: "Ich hatte ein wahnsinniges Niveau, mich konnte so schnell nichts umhauen." Und: "Ich wusste vor jedem Wettkampf, dass ich mindestens in die Top 3 komme." Doch dann kam die Zeit, in der Martin Schmitt vor jedem Wettkampf eine andere Gewissheit plagte: nicht zu wissen, ob es überhaupt für den zweiten Durchgang reichen würde.

Und weil diese Zeit nicht ein paar Monate dauerte und auch nicht nur ein Jahr, gab es eine Frage, die Martin Schmitt wahrscheinlich öfter gehört hat als den Glockenschlag der Kirchenuhr von Furtwangen: "Warum, um alles in der Welt, tust du dir das eigentlich noch an?" Dieses Trainieren, dieses Schinden und auch: dieses Hungern.

Skispringen, sagte Schmitt dann immer, sei eben sein Leben und mache trotz allem Spaß. Trotz allem heißt in seinem Fall: trotz aller Demütigungen. Es gab sie zuhauf. Er, der Weltmeister, sitzt schon im Mannschaftshotel, während die Besten um den Sieg kämpfen. Ihm, dem Olympiasieger, wird vorgeworfen, er mache nur noch mit, weil er von Sponsoren immer noch gutes Geld verdient. Und er, der 28-malige Weltcup-Sieger, könne mit seiner Zeit nichts Besseres anfangen, als notorisch den eigenen Ansprüchen hinterherzuhinken. "Wenn man Weltmeister war", sagt er voller Realitätssinn, "kann man nicht erwarten, dass man für 20. Plätze gefeiert wird."

Hätte Schmitt in dieser Zeit aufgehört mit dem Skispringen, es hätte ihm keiner krummgenommen. Wahrscheinlich hätte man ihm gratuliert zum Ende der Leiden.

Ja, sicher, gibt der Skispringer zu, habe auch er selbst Zweifel gehabt, ob das alles noch einen Sinn mache. Hilflos habe er sich einst gefühlt, nicht wissend, wo die Lösung, wo der Ausweg, wo das frühere Gefühl für Technik und Material denn nun ist. Groß genug aber waren die Zweifel nie: "Ich habe nie den Glauben verloren, dass ich es kann." Wirklich abnehmen kann man ihm diese Beteuerungen im Grunde erst jetzt - mit dem Wissen, dass er es tatsächlich durchgezogen hat. Und dafür auch noch belohnt wurde.

Von 2002 bis 2007 hat es gedauert, bis Martin Schmitt wieder auf dem Podium stand, bis zur vergangenen Saison, bis er wieder wirklich konstant war, und bis Februar 2009, bis er wieder richtig was vorzuweisen hatte: Vize-Weltmeister in Liberec.

Es war der neue Stützpunkttrainer Stefan Horngacher gewesen, der Schmitt nach vorne brachte, und es war Werner Schuster, der Bundestrainer seit 2008, der diesen Prozess fortsetzte. Dem Österreicher vertraut Schmitt wie lange keinem Trainer mehr. "Wir funken auf einer Wellenlänge", sagt er - und der Coach gibt das Lob zurück. Er hat Michael Neumayer, er hat Michael Uhrmann, er hat die jungen Pascal Bodmer und Andreas Wank, doch sein wichtigster Mann ist - nach wie vor - Martin Schmitt. "Ich brauche den Martin unbedingt bei Olympia", sagte Schuster vor vier Wochen.

Nun also sind sie da. Die Winterspiele, Werner Schuster und auch Martin Schmitt, der sagt: "Ich habe jetzt die nötige Frische."

Die soll ihm helfen an den Schanzen von Whistler - und darüber hinaus. Bis 2011 will er auf jeden Fall springen, dann ist die WM in Oslo. Ob er dann aufhört? Da will er sich nicht festlegen. Angeblich geeignete Momente zum Aufhören hat es schließlich schon häufiger gegeben. Aber Martin Schmitt ist immer noch da. So erstaunlich das ist.