Olympia in Tokio wird höchstwahrscheinlich dem Coronavirus zum Opfer fallen. Foto: dpa/Stanislav Kogiku

Nach dem IOC ist nun auch Olympia-Gastgeber Japan bereit, die Sommerspiele in Tokio wegen der Coronavirus-Pandemie zu verlegen.

Tokio/Berlin - Offiziell ist es noch nicht, aber eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio scheint unausweichlich. Nachdem sich inzwischen auch Gastgeber Japan mit dem Gedanken eines neuen Termins befasst hat, ist ein derartiges Szenario für den früheren IOC-Vizepräsidenten Richard Pound bereits beschlossene Sache. „Auf der Grundlage der Informationen, die das IOC hat, wurde eine Verschiebung beschlossen. Die zukünftigen Parameter wurden noch nicht festgelegt, aber die Spiele werden nicht am 24. Juli beginnen, soweit ich weiß“, sagte Pound der Zeitung „USA Today“ am Montag.

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Der 77-jährige Kanadier glaubt, dass das Internationale Olympische Komitee bald die nächsten Schritte bekanntgeben wird. „Wir werden dies verschieben und beginnen, uns mit all den Konsequenzen zu befassen, die sich daraus ergeben, die immens sind“, ergänzte der einflussreiche Ex-Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur, der stets für deutliche Worte bekannt ist. IOC-Sprecher Mark Adams erklärte auf Anfrage der Zeitung, dass das IOC verschiedene Szenarien überlege und verwies auf die Mitteilung vom Sonntag, wonach sich das IOC eine Vier-Wochen-Frist über die Olympia-Entscheidung einräumte.

„Nicht so blöd, die Olympischen Spiele wie geplant auszutragen“

Dass der Termin im Sommer kaum mehr zu halten ist, wird auch allmählich den Veranstaltern klar. „Wir sind nicht so blöd, die Olympischen Spiele wie geplant auszutragen“, sagte Yoshiro Mori, der Präsident des Organisationskomitees von Tokio, am Montag auf einer Pressekonferenz. Auch Premierminister Shinzo Abe spricht angesichts der Ausmaße der Coronavirus-Pandemie von einer Verschiebung.

„Es ist schwierig, Spiele unter diesen Umständen abzuhalten, wir müssen über eine Verschiebung entscheiden, wobei die Gesundheit der Athleten oberste Priorität hat“, sagte Abe. Die endgültige Entscheidung aber liege beim Internationalen Olympischen Komitee. Der Gastgeber signalisierte die Bereitschaft, vom Tokio-Termin abzurücken, nicht aber vom Fackellauf: Der soll am Donnerstag in Fukushima beginnen.

Die Verschiebung von Olympia und Paralympics würde Japan teuer zu stehen kommen. Nach Meinung von Experten wäre mit Kosten von bis zu 670 Milliarden Yen (rund 5,7 Milliarden Euro) zu rechnen. Laut dem Chefökonom des Finanzunternehmens SMBC Nikko Securities, Junichi Makino, könnte eine Spiele-Absage das Land 7,8 Billionen Yen kosten.

Sportler fordern ein Ende der Hängepartie

Viele Athleten drängen auf eine schnellere Entscheidung und ein Ende der Hängepartie - wie Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler. Vier Wochen seien „ein sehr, sehr langer Zeitraum“, sagte der Jenaer im Morgenmagazin von ARD und ZDF. „Wir arbeiten aktuell daran, dass noch schnellere, noch präzisere Entscheidungen getroffen werden“, ergänzte der Athletenvertreter im Leichtathletik-Weltverband.

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World Athletics ist bereit, die für 2021 nach Eugene/USA vergebene WM im Falle der Verlegung der Tokio-Spiele ins nächste Jahr zu verschieben. Präsident Sebastian Coe hatte bereits vor dem Beschluss der Vier-Wochen-Frist in einem Brief an IOC-Chef Thomas Bach eine Olympia-Verschiebung nahe gelegt.

Heftige Kritik übte die Sportausschuss-Vorsitzende des Bundestages an der Vier-Wochen-Frist und dem IOC. „Ich finde die Entscheidung respektlos gegenüber den Athleten und angesichts der Lage auf der Welt verantwortungslos“, sagte Dagmar Freitag (SPD) im Interview des HR-Inforadios.

Bach wirbt um Verständnis

In einer persönlichen E-Mail an die Athleten warb IOC-Präsident Thomas Bach erneut um Verständnis dafür, dass eine endgültige Entscheidung über einen Termin für die Tokio-Spiele - eine Verschiebung in den Herbst, ins nächste Jahr oder bis 2021 - jetzt noch verfrüht wäre. „Ich weiß, dass diese beispiellose Situation viele Ihrer Fragen offenlässt“, schrieb der 66-jährige Deutsche. „Ich weiß auch, dass dieser rationale Ansatz möglicherweise nicht mit den Emotionen übereinstimmt, die viele von Ihnen durchleben müssen.“

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DOSB-Präsident Alfons Hörmann hätte sich eine eindeutigere Position vom IOC gewünscht, nämlich, dass die Spiele „definitiv nicht zum geplanten Termin“ stattfinden können“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes der dpa. Den bisherigen Termin aufgrund der aktuellen Lage abzusagen wäre auch gegenüber der Öffentlichkeit ein wertvolles Signal gewesen. Da nach den Prognosen der Experten wegen der Coronavirus-Pandemie ein Termin im Herbst keine sichere Alternative darstellen würde, „präferieren wir eine Verlegung mindestens ins nächste Jahr“, sagte der DOSB-Chef.

„Vieles spricht für eine Verschiebung des Termins“

Martin Engelhardt, Mediziner und Präsident der Deutschen Triathlon-Union, hat hingegen Verständnis für die zögerliche Haltung des IOC. Er könne das ein Stück weit verstehen, sagte der DTU-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Aus medizinisch-fachlicher Sicht kann man heute nicht sagen, dass Sport im Juli nicht möglich sein wird“, erklärte Engelhard. Dagegen meinte Thomas Kurschilgen, Leistungssportdirektor der deutschen Schwimmer: „Vieles spricht für eine Verschiebung des Termins.“

Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, Bob Hanning, findet eine Ausrichtung der Spiele angesichts der Ausbreitung des Coronavirus für abwegig: „In Zeiten, wo Ausgangssperren verschärft werden, überhaupt darüber nachzudenken, ist fast schon amüsant.“ Ruder-Präsident Siegfried Kaidel plädiert für eine Verlegung der Spiele um maximal ein Jahr. „Ein neuer Termin erst in zwei Jahren wäre nicht akzeptabel. Das wären dann ganz neue Olympische Spiele, weil viele der älteren Athleten nicht mehr dabei wären“, sagte er.

Auch Tennisspielerin Andrea Petkovic hält die Suche nach einem neuen Olympia-Termin als unausweichlich. „Ich sehe nicht, dass da jetzt Millionen von Menschen hin stürmen und sich auf kleinstem und engstem Raum zusammengepfercht Sport angucken“, sagte die Weltranglisten-87. in einem Jung&Live-Podcast.

Die Chancengleichheit bei Tokio-Spielen noch in diesem Jahr spielt für Fecht-Olympiasiegerin Britta Heidemann keine Rolle. „Im Zweifel würde ich als Athlet wohl lieber mit Trainingsrückstand als gar nicht antreten“, sagte das Mitglied in der Athletenkommission des IOC.