Ein Herz und eine Seele: Landwirt Hermann Maier will seinen Tieren unnötige Schmerzen bei der Kennzeichnung und der Schlachtung ersparen, aber scheitert an gesetzlichen Vorschriften. Foto: Krause

Wo macht Europa Sinn, wo sorgt es für Unsinn? Ein Landwirt aus Balingen kämpft seit Monaten gegen eine Vorschrift der EU. Eine Kraftprobe, die nun kurz vor der Entscheidung steht.

Balingen - So stellt man sich ländliche Idylle in Zeiten weltweiter Krisen und wachsender Globalisierung vor. Blauer Himmel, ein paar Blumenkohlwolken, Vögel zwitschern, ein Bach plätschert dahin. Und auf der Weide hoch über Balingen steht eine Herde Rinder. Die einen grasen vor sich hin, die anderen dösen in der Mittagshitze. Am Zaun: Hermann Maier. Eigentlich könnte sich der drahtige Mann mit der ledernen Haut längst zur Ruhe setzen. Immerhin ist er 71. Aber Maier denkt nicht ans Aufhören. Er ist passionierter Landwirt. Und Vorkämpfer: Für eine artgerechte Tierhaltung, für ein würdiges Schlachtverfahren, und vor allem: Er will es nicht akzeptieren, dass er seinen Tieren ins linke und rechte Ohr eine Erkennungsmarke stanzen muss, wie es seit dem BSE-Skandal vorgeschrieben ist.

„Können Sie sich vorstellen, wie schmerzhaft das ist?“, sagt Maier und hält seine Hand senkrecht, um zu demonstrieren, wie dick die Ohren der Tiere sind. Dann erzählt er von Fällen, bei denen Tiere sich ihre Marke im Gestrüpp ausgerissen haben und dann erneut mit dieser Art überdimensionalem Locher malträtiert werden mussten. „Die Tiere schreien jämmerlich. Dieses Geräusch geht ihnen nie mehr aus dem Kopf.“

Jahrelang kein Interesse

Vor diesem Hintergrund entschied Maier vor Jahren, seinen Tieren eine solche Quälerei zu ersparen. Stattdessen spritzt er ihnen am Gesäß direkt neben den Schwanz einen winzigen Chip unter die Haut. Und bekam dafür grünes Licht vom Veterinäramt des Zollernalbkreises. „Die Kennzeichnungsmethode funktioniert bestens, kein Tier muss mehr leiden, und jedes ist mit einer Nummer registriert. Die dazugehörigen Ohrmarken und der Rinderpass liegen im Betrieb vor“, sagt er.

Jahrelang interessierte sich niemand in der Öffentlichkeit oder bei den Behörden für diese Art der Tierkennzeichnung. Dann aber gab es eine anonyme Anzeige. Von wem, das weiß Maier bis heute nicht. Plötzlich kam die gängige Praxis auf den Prüfstand. Und siehe da: So sinnvoll das Verfahren erscheint, so wenig Verständnis zeigten fortan die Behörden in Stuttgart, Tübingen und Brüssel. Sie pochen auf die Einhaltung der Viehverkehrsverordnung. Was anfangs wie eine Posse aus dem Bürokratiedschungel wirkte, ist inzwischen zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn von Vorschriften geworden.

Es geht mehr um Politik als um Tierschutz

Und der Ton unter den Beteiligten wird rauer. Die grün-rote Landesregierung in Stuttgart fürchtet einen Präzedenzfall und die Kürzung von EU-Zuschüssen, falls man Maier weiter gewähren lässt. In der Spitze des Ministeriums wird der Bauer von Balingen nur noch als „sturer Bock“ bezeichnet. Er selbst empfindet das nahezu als Prädikat: „Die Landesregierung will doch den Tierschutz ausweiten. Ich mache nichts anderes.“

Und doch deutet alles darauf hin, dass es beim Kampf um die gelben Ohrmarken längst mehr um Politik als um Tierschutz geht. Vor einiger Zeit, als Maier bei Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) um Unterstützung für sein Projekt werben wollte, erhielt er von der zuständigen Mitarbeiterin einen Besprechungstermin. Kurz vor dem Termin kam die Absage. „Ohne Angabe von Gründen“, sagt Maier. Ein Schelm, der dahinter Absicht vermutet.

Unverhohlene Drohung folgt

So nimmt das Drama um den Rinderflüsterer, wie Maier inzwischen genannt wird, seinen Lauf. Der Tübinger Regierungspräsident Hermann Strampfer (CDU) schrieb dieser Tage im Auftrag von Grün-Rot einen unmissverständlichen Brief an Günther-Martin Pauli, CDU-Landtagsabgeordneter und Landrat des Zollernalbkreises. Tenor des Schreibens, das den Stuttgarter Nachrichten vorliegt: Die Ausnahmegenehmigung, die das Veterinäramt des Zollernalbkreises für den Maier-Hof erlassen habe, sei „rechtswidrig“ und müsse unverzüglich zurückgenommen werden. Was folgt, ist auf sieben Seiten ein juristischer Exkurs durch das Paragrafendickicht von Land und EU – und eine unverhohlene Drohung: Sollten der Landwirt und seine Tochter, Inhaberin Annette Maier, nicht einlenken, würde der Betrieb keine Fördergelder mehr erhalten und aus dem Verkauf im Hofladen keinen Gewinn mehr erzielen können. „Man will unsere Existenz zerstören“, fürchtet Annette Maier.

Landrat Pauli mag da nicht mitmachen. „Wir reden immer darüber, dass die EU bürger- und verbrauchernäher werden soll. Hier wäre das möglich. Da muss das Ministerium doch jetzt eine Brücke bauen. Stattdessen versteckt man sich hinter Buchstaben der Verordnung“, ärgert sich der Landrat. Also diktierte er einen Antwortbrief an den Regierungspräsidenten. Es bleibe bei der Ausnahmegenehmigung für den Vorzeige-Hof. Nicht aus Sturheit, sondern der Sache wegen. „Für die Tiere würde es unzumutbaren Stress bedeuten, wenn man ihnen Ohrmarken einziehen müsste. Das lässt sich doch nicht mit dem Grundgedanken des Tierschutzes vereinbaren“, schreibt Pauli. Im Übrigen müssten sich weder das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart noch die zuständigen Stellen in Brüssel Sorgen machen, wonach die Tiere nicht vorschriftsmäßig gekennzeichnet sind. „Eine Manipulation bei diesem Chip ist nahezu unmöglich.“

Fronten bleiben verhärtet

Doch alle Argumente, alle Schriftsätze auch der Anwälte haben (bisher) nicht gefruchtet. Nicht mal der Hinweis, dass es andere EU-Länder wie Spanien und Portugal gibt, wo es solche Ausnahmegenehmigungen für Stiere längst gibt und auch nicht der Verweis, dass bei Pferden hierzulande die Kennzeichnung mit diesem Chip ausdrücklich vorgeschrieben ist, haben gefruchtet. Zwar besuchte Regierungspräsident Strampfer mit Landrat Pauli diese Woche den Hof und ließ sich von Maier das Chip-Verfahren erklären. Doch die Fronten sind auch „nach dem sehr aufgeschlossenen Gespräch“ (Pauli) verhärtet. Inzwischen hat das Regierungspräsidium dem Landrat und den Maiers eine letzte Frist zum Einlenken gesetzt: Termin 19. August.

Was aber geschieht, wenn bis dahin nichts passiert? Dem Landwirt seine 270 Tiere wegnehmen? Eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei bei Nacht schicken, um den Tieren zwanghaft die Ohrmarken zu verpassen? „Wenn das jemand wagt, wird es lebensgefährlich“, warnt Landwirt Maier. Die Herde, die als so genannte „geschlossene Population“ in Freilandhaltung lebt und deren Fleisch auch an Bio-Läden in der Region Stuttgart verkauft wird, würde unter immensen Stress geraten. Und wie mancher ausgewachsene Bulle dann reagiert, mag sich Maier gar nicht vorstellen: „Das würde in der Katastrophe enden.“

„Wir müssen uns an die geltenden Vorschriften halten und können EU-Recht nicht ändern“

Beim Regierungspräsidium Tübingen weiß man um die Brisanz des Falls, der längst über die Landesgrenzen hinaus strahlt. Bestes Beispiel: Dieser Tage widmete das ZDF dem Paragrafenkritiker Maier eine Sendung. Allein, auch das hilft nur bedingt. Beim Regierungspräsidium Tübingen mag man nicht länger zuschauen. Sollte Maier die Frist verstreichen lassen, werde man „die nächsten Schritte in die Wege leiten“, sagt der Sprecher des Regierungspräsidenten. Was das heißt, sagt er nicht. Nur so viel: „Wir müssen uns an die geltenden Vorschriften halten und können EU-Recht nicht ändern.“ Die Verwaltung könne „nicht in die Rolle des Gesetzgebers schlüpfen“.

Das wollen auch Landwirt Maier und seine Tochter nicht. Sie appellieren lediglich an die Weitsicht der Behörden und das nötige Augenmaß für den Alltag. So wie beim Thema Schlachten. „Es soll niemand behaupten, dass Tiertransporte zum Schlachthof angst- und stressfrei ablaufen. Das ist der blanke Hohn, was da auf den Lastwagen steht.“ Dann kneift Meier seine Augen zusammen: „Gehen Sie mal zu einem Schlachthof und schauen Sie den Tieren in die Augen. Das ist die Hölle. Danach wollen Sie nie mehr Fleisch essen.“ Maier will seinen Tieren diesen Stress ersparen. Also entwickelte er vor Jahren eine mobile Schlachtbox. Die Idee: Die Tiere werden noch auf der Weide gemäß den EU-Vorgaben getötet und müssen somit nicht lebend in Transporte gepfercht zum Schlachthof gebracht werden: „Das ist Tierschutz, wie ich ihn meine.“