Aufgrund von Corona treffen sich die Menschen beim Ökumenischen Kirchentag fast ausschließlich digital. Foto: dpa/Axel Heimken

Die Not der Kirchen wird die Ökumene stärker befördern als der Kirchentag, kommentiert Michael Trauthig.

Stuttgart/Frankfurt - Auf den ersten Blick wirkt es fast wie ein Wunder: Die Macher des Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt trotzen der Pandemie. Sie ziehen ihr Event bis zum Sonntag durch. Doch auf den zweiten Blick sieht die Sache natürlich anders aus. Das traditionelle Christentreffen ist kaum wiederzuerkennen. Statt überlaufener Gottesdienste, überfüllter Hallen bei Podiumsdiskussionen und singenden Menschen auf den Straßen der Mainmetropole treffen sich alle fast nur im Internet. Statt 2000 Programmpunkten gibt es lediglich rund 80, und statt echten Erlebnissen kommt vieles aus der Konserve. Ist dieses Alternativangebot wirklich mutig, wie Verantwortliche tapfer betonen? Oder zeugt das Festhalten an der Veranstaltung in diesen Zeiten vom Realitätsverlust der Organisatoren und von der Unbeweglichkeit der bereits auf Jahre terminierten Christentreffen?

Eine Absage wäre zumindest verständlich gewesen. Denn erstens sind die vermutlich fast 20 Millionen Euro Kosten angesichts des aktuellen Schrumpfformats kaum zu rechtfertigen. Und zweitens speist sich die Faszination der Christentreffen üblicherweise aus der Präsenz der Massen. Kirchentage sind Orte der Selbstvergewisserung, der Begegnung von Menschen – unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft. Auf Kirchentagen ereignen sich Nähe und Gemeinschaft. Sie sind große Demonstrationen des Glaubens in einer zunehmend säkularen Zeit. Online verschwindet vieles davon in den globalen Weiten des Internets.

Auch ohne Corona geht es den Kirchen und der Ökumene nicht gut

Sicher hat Corona den Veranstaltern einen Strich durch die ursprüngliche Rechnung gemacht. Doch auch ohne die Pandemie ginge es den Kirchen und der Ökumene momentan nicht gut. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Einerseits lässt der Vatikan nur Trippelschritte auf dem Weg zur Kircheneinheit zu. Da kann die Basis noch so drängeln, da mögen die Glaubensunterschiede den meisten Christen längst fremd sein – Rom verweigert weiter zum Beispiel die von vielen ersehnte Gemeinschaft beim Abendmahl. Andererseits stehen die beiden großen Glaubensgemeinschaften ohnehin mit dem Rücken zur Wand. Der Glaube verliert für immer mehr Menschen seine Plausibilität. Der Vertrauensverlust durch die Missbrauchstaten und den Umgang damit tut sein Übriges. Dass bei diesem Thema die römisch-katholischeKirche besonders in der Kritik steht, ist nicht immer gerecht. Immerhin stellt sie sich wie keine andere Instanz mittlerweile ihrer Verantwortung. Das wird freilich kaum anerkannt - wohl, weil die katholische Kirche oft eine zu strenge Moral gepredigt, gesellschaftliche Trends abgelehnt und sich damit selbst ins Abseits gestellt hat.

Die evangelische Kirche bewegt sich bei der Missbrauchsdebatte zwar im Windschatten der katholischen Kirche, profitiert aber von deren Erfahrungen. Auch sonst sind die Herausforderungen für beide Religionsgemeinschaften ähnlich: Sie müssen ihre Strukturen reformieren, den Nachwuchsmangel beheben, gegen ihren Bedeutungsverlust kämpfen und die Mission im eigenen Land voranbringen. Dass solche Zukunftsaufgaben nur gemeinsam zu meistern sind, ist eine Binsenweisheit. Dieser Einsicht müssen weitere Taten folgen – ganz unabhängig vom Kirchentag.