Gute Ernte, miese Stimmung: Manfred Nuber mit Obstbauern. Foto: factum/

Handelsketten zwingen Kleinerzeuger zur Aufgabe – mit Regeln, die gleichsam Überöko sein sollen. Erreichen werden sie das Gegenteil.

Herrenberg - Falls ein Erntehelfer sich verletzt, falls er auf die Verletzung ein Pflaster klebt, falls ihm dieses Pflaster in den Korb mit Zwetschgen fällt und falls er dies nicht bemerkt, dann hat das Pflaster rot zu sein. So ist es zwischen den blauen Zwetschgen leicht sichtbar. Bei der Kirschenernte hat das Pflaster blau zu sein.

Dies ist eines der Lieblingsbeispiele von Manfred Nuber für um die 200 Vorschriften, die Obstbauern zu erfüllen haben, nicht nach dem Willen des Gesetzgebers, sondern nach dem Willen von Aldi, Rewe, Edeka und Co. Nuber ist der oberste Obstbauberater im Landratsamt.

Obstbauern, die sich verweigern, dürfen nicht mehr liefern

Weil mit bio und öko längst alle Einzelhändler werben, haben die Großen der Branche ein Regelwerk namens „QS Gap“ erdacht, in dem alles bis hin zur Pflasterfarbe verankert ist. Dies schlicht als zusätzliches Verkaufsargument für den Verbraucher, der nach einwandfrei produzierter Ware giert. Die Regeln müssen einmal jährlich überprüft werden. Obstbauern, die sich verweigern, dürfen nicht mehr liefern. Für die Überwachung ist eine eigens gegründete Firma zuständig, die QS Qualität und Sicherheit GmbH in Bonn.

Allerdings „wird am Ende das Gegenteil von dem erreicht, was der Verbraucher eigentlich will“, sagt Nuber. Gerade die regionalen Kleinerzeuger empfinden die Auflagen als letzten Dolchstoß, der ihr jahrelanges Siechtum endgültig beendet. Erst vor zwei Tagen war der oberste Obstwart im Kreis beim jährlichen Zwetschgenrundgang in Herrenberg. „Die Stimmung war depressiv“, sagt Nuber. Selbstredend ist über das Wetter gesprochen worden, über Erntemengen, Fruchtstand und Geschmack, aber das Hauptthema waren die Folgen des Zwangs zum roten Pflaster. 450 Euro kostet allein die jährliche Kontrolle. „Viele Kleinbetriebe machen gerade 500 Euro Gewinn“, sagt Nuber, ohnehin „ist der Stundenlohn weit unter dem gesetzlichen Minimum“.

Die Hälfte aller Kleinbetriebe hat bereits aufgegeben

Wegen stetig verschärfter Auflagen haben innerhalb der vergangenen 20 Jahre mehr als die Hälfte aller Kleinbetriebe aufgegeben, deren Inhaber den Obstbau ohnehin nur im Sinne eines Hobbys betrieben hatten. Folgerichtig „sind auch reichlich Bäume gerodet worden“, sagt Nuber. Um die Kosten zu drücken, versucht sein Amt, die Restbauern zu Gruppen zusammenzufassen, die womöglich gemeinsam zertifiziert werden können. An den Erfolg glaubt er selbst nicht recht: „Wenn ein Hobby keinen Spaß mehr macht, dann lässt man es eben.“

Großerzeuger verschmerzen zusätzliche Kosten von 450 Euro jährlich, und „QS Gap“ fordert keineswegs regionale Erzeugung. Weil Handelsketten neben der Qualität ihre Bilanz im Blick behalten, wird das Regelwerk eine Entwicklung der vergangenen Jahre beschleunigen: Der Markt wurde von billigen Früchten geflutet. Im Fall des Falles hat das Pflaster zwischen ihnen die richtige Farbe, aber sie stammen aus Großbetrieben vom Balkan.