Die Fälle, beispielsweise Sorgerechtsstreitigkeiten, die beim OLG Stuttgart landen, sind für alle Beteiligten schmerzhaft. Foto: dpa

Immer öfter versuchen zerstrittene Paare und Eltern, ein Urteil aus erster Instanz abzuwenden. Vorm Oberlandesgericht Stuttgart landen deshalb jährlich rund 2600 neue Familiensachen, mitunter auch hochstrittige Sorgerechtsfälle.

Stuttgart - Kindschaftssachen, insbesondere die Herausgabe eines Kindes, gehören zu den schwierigeren Sachverhalten, die beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart verhandelt werden. „Die Wegnahme eines Kindes aus dem Elternhaus ist ein großes Problem für uns, weil die Hürde sehr sehr hoch liegt“, sagt Eberhard Stößer, langjährige Familienrichter und Vorsitzender eines Familiensenats am OLG.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und die Europäische Menschenrechtskonvention gäben der Erziehung durch die Eltern klar den Vorrang: „Es gilt der Satz: Eine 5 minus in der Erziehungsfähigkeit reicht nicht aus, einer leiblichen Mutter das Kind wegzunehmen. Es braucht eine glatte 6.“ Gemäß dieser Vorgabe habe das BVerfG zahlreiche Wegnahmen aufgehoben, die zuvor von anderen Gerichten angeordnet worden seien. „Selbst bei der Rückführung der Kinder sticht die 5 minus der Mutter noch eine 1 der Pflegefamilie. Damit hadern wir“, sagt Eberhard Stößer.

Richter wünschen sich mehr Zivilcourage

Im Rahmen der Jahrespressekonferenz des OLG führte Stößer den Pädophilenfall bei Freiburg an, bei dem ein Neunjähriger jahrelang von der Mutter und dem Lebensgefährten missbraucht und für Sex verkauft worden war. Er erinnert auch an eine Mutter, die das Jugendamt verklagte, weil die Behörde ihr das Kind entzog. Die Frau hatte in den Jahren zuvor ihr Kind getötet, gemeinsam mit dem neuen Lebensgefährten. „Es übersteigt mein Vorstellungsvermögen, was Eltern mit einem kleinen Kind machen können“, sagt Stößer. Das OLG arbeite mit Jugendämtern daran, solche Fälle auszuschließen. „Wir wünschen uns aber auch mehr Zivilcourage bei Nachbarn oder Familienangehörigen, die Fälle beim Jugendamt anzeigen und die Behörde so mit Informationen versorgen.“ Denn bis jetzt darf ein Kind der elterlichen Sorge nur entzogen werden, wenn gravierende Erziehungsfehler hinreichend gewiss sind.

Ein anderer Arbeitsbereich überfährt das OLG förmlich. Die Zahl der Haftprüfungen hat im Vergleich zu 2016 um mehr als 40 Prozent zugenommen. Bei der Sechs-Monats-Haftprüfung muss das OLG entscheiden, ob ein Angeschuldigter weiterhin in Untersuchungshaft gehalten werden darf. Der rasante Anstieg sei auf die Überlastung der Staatsanwaltschaften und Landgerichte zurückzuführen, sagt OLG-Präsidentin Cornelia Horz. Deshalb sei sie froh, dass zusätzliche Stellen für Amts- und Landgerichte sowie für die Staatsanwaltschaften zugesagt worden seien. Im Doppelhaushalt 2018/19 seien 67 Richter- und Staatsanwaltsstellen zusätzlich enthalten.

Häftlinge basteln verbotene Gegenstände

Auch eine andere Zahl lässt den Beobachter stutzen – jedenfalls auf den ersten Blick. Die Beschwerden in Strafvollzugssachen, sprich Beschwerden von Häftlingen, haben um 195 Prozent, also von 47 im Jahr 2016 auf 139 (2017) zugenommen. Das sei allerdings nicht auf immer schlimmere Zustände in den Gefängnissen zurückzuführen, so OLG-Pressesprecher Matthias Merz. Es gebe eine Handvoll Häftlinge, die regelmäßig Beschwerdeverfahren anstrengten. „Da geht es um die Grammzahl von Wursträdchen oder darum, ob man den Aluminiumdeckel eines Joghurtbechers in der Zelle behalten darf“, so Merz. Aus diesen Deckeln können findige Häftlinge allerlei verbotene Gegenstände basteln.

Zur Zukunft des Gerichtsgebäudes in Stammheim, berühmt-berüchtigt durch die Prozesse gegen die Terroristen der Roten Armee Fraktion, kann Cornelia Horz nichts Neues beitragen. Stand der Planung sei der Abriss. Auf dem Gelände soll ein neues Vollzugskrankenhaus entstehen.