Hier sollten laut Bundesanwalt Ende 2017 viele Menschen getötet werden: Die Eislaufbahn vor dem Karlsruher Schloss Foto: dpa

Ein Attentat mit vielen Toten soll ein 29-jähriger Mann in Karlsruhe geplant haben. Die Information kommt von einem V-Mann. Ist der Spitzel glaubwürdig?

Stuttgart - Die Hauptperson wird an den Händen gefesselt vorgeführt. Der Angeklagte verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktendeckel. Er trägt zudem eine Kappe, die er erst abnimmt, als die Kameras aus dem Saal des Mehrzweckgebäudes des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart in Stuttgart-Stammheim sind. Dieser 29-jährige Deutsche aus Freiburg soll laut Bundesanwaltschaft ein islamistischer Terrorist sein, der in Karlsruhe einen Anschlag „mit vielen Toten“ geplant haben soll. Die zweite Hauptperson ist nicht anwesend. Trotzdem dreht sich fast alles um sie.

Der Angeklagte mit kurdischen Wurzeln habe vorgehabt, ähnlich dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 mit zwölf Toten, Ende 2017 einen Lastwagen in die Stände an der Eislauffläche vor dem Karlsruher Schloss zu lenken. Er sei ein islamistischer Terrorist im Dienst des sogenannten Islamischen Staats (IS), sagen die Ankläger.

Anwalt wirft Ermittlern Dilettantismus vor

Einer der beiden Verteidiger verweist den Vorwurf gleich zu Prozessbeginn ins Reich der Fabel. „Unser Mandant ist nie ein gewaltbereiter Islamist gewesen“, sagt Marc Jüdt. Der Anwalt schießt sich auf einen Mann ein, der in dem Staatsschutzverfahren vor dem 5. Strafsenat des OLG Stuttgart eine zentrale Rolle einnehmen wird.

Das Landeskriminalamt (LKA) hatte eine sogenannte Vertrauensperson (VP) auf den 29-Jährigen angesetzt, nachdem er ins Visier der Fahnder geraten war. Der Informant, abschätzig auch Spitzel genannt, hatte die entscheidenden Hinweise geliefert. „Die VP hat ein geradezu groteskes Bild vom Angeklagten gezeichnet“, sagt Verteidiger Jüdt. Und die Ermittler seien mit den Aussagen des Informanten „dilettantisch“ umgegangen – zum Nachteil seines Mandanten, so Jüdt.

Einer der beiden Männer lügt

Der Fall ist äußerst ungewöhnlich. Denn der Angeklagte war selbst zur Polizei gegangen. Ende November 2017 war der 29-Jährige auf dem Revier der Bundespolizei am Karlsruher Hauptbahnhof aufgetaucht und hatte angegeben, er kenne einen Mann, dem er einen terroristischen Anschlag zutraue. Dieser Mann, laut dem Angeklagten ein Türke, war der Informant des LKA. Tatsächlich landete der 29-Jährige vier Wochen später in Untersuchungshaft. Einer der beiden Männer, die Vertrauensperson oder der Angeklagte, lügt also.

Damit wird der Informant, der kein verdeckter Ermittler, also kein Polizist ist, zum wichtigen Zeugen. Doch nach Stand der Dinge wird der 5. Strafsenat auf dessen Aussage verzichten müssen.

Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer hatte beim Innenministerium auf eine Aussagegenehmigung für den Informanten gedrängt. Die Antwort: Der Mann stehe als Zeuge nicht zur Verfügung, er sei „voll umfänglich gesperrt“ – aus Gründen des Personenschutzes. Weder Name noch Aufenthalt würden preisgegeben, so das Ministerium. Richter Anderer kündigt an, dagegen vorzugehen.

Der Angeklagte will aussagen

Der Bundesanwalt wirft dem 29-jährigen Freiburger vor, den IS erst unterstützt zu haben und dann ein Mitglied der Terrororganisation geworden zu sein. Seit April 2015 habe der Mann Propagandavideos der Terroristen auf mehreren Internetplattformen verbreitet und versucht, Mitglieder zu werben. Ende Juli 2016 habe er sich im Irak dem IS angeschlossen und sei an einem Scharfschützengewehr ausgebildet worden. Mitte Juli 2017 sei der 29-Jährige schließlich nach Deutschland zurückgekehrt, um einen Anschlag zu verüben. Er habe die Örtlichkeiten rund um das Karlsruher Schloss ausgekundschaftet mit dem Plan, so viele Menschen wie möglich zu töten.

„Unser Mandant hatte zu keiner Zeit die Absicht, sich dem IS anzuschließen“, sagt dagegen Verteidiger Jüdt. Der 29-Jährige liebe die Freiheit und die Demokratie, er verabscheue Gewalt und praktiziere Nächstenliebe. Die Aussagen des Informanten, der Angeklagte sei ein gewaltbereiter Islamist und ein Frauenhasser, seien falsch. Die Anzeige des Angeklagten gegen den Informanten sei ein Beitrag zum demokratischen Rechtsstaat gewesen. „Er wollte und will in Karlsruhe studieren und er vertraut auf den Rechtsstaat“, sagt Verteidiger Jüdt. Sein Mandant wolle sich im Laufe des Verfahrens selbst äußern.

Der 5. Strafsenat des OLG hat für den Prozess Termine bis weit ins kommende Jahr angesetzt.