Musterfeststellungsklagen von Verbrauchern werden es in Zukunft wohl schwer haben. Foto: dpa

Anwälte wollen einen eleganten Weg gefunden haben, sich alter Dieselautos zu entledigen: per Widerruf raus aus dem Kreditvertrag. Das sollte die erste Musterfeststellungsklage in Deutschland möglich machen. Doch das Verfahren hat so seine Tücken.

Stuttgart - Es war das erste Verfahren um eine sogenannte Musterfeststellungsklage in Deutschland - und es war schnell zu Ende. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hatte stellvertretend für Verbraucher geklagt, um Widerrufsregeln in den Autokreditverträgen der Mercedes-Benz-Bank zu Fall zu bringen.

Allerdings hätte sie das gar nicht gedurft, entschied das Oberlandesgericht Stuttgart und wies die Klage ab. Der Fall zeigt, welche Probleme das neue Instrument Musterfeststellungsklage in der Praxis noch mit sich bringt.

Worum ging es in dem Verfahren?

Die Schutzgemeinschaft hält diverse Formulierungen in den Kreditverträgen der Mercedes-Bank ab dem Sommer 2014 für unzulässig. Es geht um verschiedene Punkte in den Widerrufsregeln, letztlich verfolgten die Kläger aber ein Ziel: Das Gericht sollte feststellen, dass die Frist für einen Widerruf des Vertrags wegen dieser unklaren Formulierungen nie zu laufen begonnen hat. Und wenn sie nie begonnen hat, kann sie natürlich auch nie abgelaufen sein.

Das wiederum würde bedeuten, dass Kunden der Bank, die mit dem Kredit ein Auto finanziert haben, selbst nach Jahren noch von dem Geschäft zurücktreten und ihr Auto zurückgeben könnten. Darauf spekulieren vor allem viele Diesel-Besitzer. Angesichts der Debatte um Nachrüstungen, Fahrverbote und Wertverlust wäre das aus ihrer Sicht ein eleganter Weg, das Fahrzeug loszuwerden. Offiziell spielte das Thema Diesel in dem Verfahren aber keine Rolle.

Was hat das Gericht entschieden?

Der 6. Zivilsenat wies die Klage am Mittwoch als unzulässig ab. Laut Gesetz dürfe nur eine „qualifizierte Einrichtung“ stellvertretend für Verbraucher eine Musterfeststellungsklage einreichen - das sei die Schutzgemeinschaft für Bankkunden aber nicht, urteilten die Richter (Az. 6 MK 1/18).

Ob die Widerrufsklauseln nun in Ordnung sind oder nicht, spielte daher am Ende gar keine Rolle. Die Richter hatten allerdings schon in der Verhandlung deutlich gemacht, dass sie die Klauseln für nicht zu beanstanden halten.

Wer ist denn „qualifiziert“ - und warum sind es die Kläger nicht?

Das Gesetz macht dazu diverse Vorgaben. Grundvoraussetzung ist, dass ein Verein wie die Schutzgemeinschaft mindestens 350 Mitglieder haben muss. Außerdem müssen „Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten“ wahrgenommen werden, und Musterfeststellungsklagen dürfen „nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung“ erhoben werden.

Damit soll eine „Klageindustrie“ vermieden werden. Prozesse zu führen, dürfe nur eine untergeordnete Rolle spielen, sagte der Vorsitzende Richter Oliver Mosthaf. Bei keiner dieser Voraussetzungen habe die Schutzgemeinschaft belegen können, dass sie sie erfülle, entschied das Gericht.

So habe der Verein nur 150 Voll- und sonst nur „Internetmitglieder“, die nicht viel mehr als Bezieher eines Newsletters gegen Bezahlung seien. Zudem kritisierten die Richter, dass diverse Anwälte und Kanzleimitarbeiter Mitglied der Schutzgemeinschaft seien, für die das Führen von Prozessen eben nicht nur eine untergeordnete Rolle spiele.

Was sagt die Schutzgemeinschaft dazu?

Sie will das Urteil vor dem Bundesgerichtshof (BGH) anfechten. Außerdem müsse sich der Gesetzgeber jetzt mal fragen, ob nicht einige Korrekturen angebracht seien, sagte der Berliner Rechtsanwalt Timo Gansel, der die Schutzgemeinschaft vor Gericht vertrat. Der Verein sei seit vielen Jahren aktiv, habe diverse BGH-Entscheidungen erzwungen, er zeige Missstände im Bankwesen auf und beseitige sie. „Wenn das nicht ausreicht, muss das Gesetz geändert werden“, sagte Gansel.

Die Verbraucherzentralen sehen den Fall ebenfalls kritisch. Wenn die ohnehin strengen und nur gerade noch so hinnehmbaren Anforderungen von den Gerichten jetzt noch strenger ausgelegt würden, sei das problematisch, sagte der beim Bundesverband für die Musterklagen verantwortliche Ronny Jahn.

Man habe ein Interesse an einer möglichst breiten Klägerschaft. Gerade so stark spezialisierte Vereine wie die Schutzgemeinschaft hätten es mit so hohen Hürden aber schwer. Die Verbraucherzentralen haben selbst eine Musterfeststellungsklage eingereicht: die gegen VW im Zusammenhang mit dem Dieselskandal.

Das Bundesjustizministerium verwies auf die geltende Rechtslage: Der klagende Verband müsse ausreichende Nachweise für die Erfüllung der Kriterien erbringen. Das Gericht prüfe dann, ob angesichts der vorgelegten Nachweise die Kriterien erfüllt seien.

Wie geht es nun weiter?

Der BGH wird sich in gleich zwei Fällen mit der Ablehnung der Schutzgemeinschaft in Musterklagefällen befassen müssen. Der Verein hatte am Oberlandesgericht Braunschweig eine Musterklage gegen die VW-Bank eingereicht, in der es ebenfalls um die Kreditverträge geht.

Weil aber auch die dortigen Richter an der Klageberechtigung zweifeln, hatten sie die öffentliche Bekanntmachung der Klage abgelehnt. Die ist aber nötig, damit sich Verbraucher ihr anschließen können. Sonst kann das Verfahren nicht beginnen. Auch dagegen wehrt sich die Schutzgemeinschaft vor dem BGH.

Auch das OLG Stuttgart muss sich übrigens noch mit den Verträgen der Mercedes-Benz-Bank befassen. Den gleichen Richtern liegen inzwischen in zweiter Instanz mehrere Fälle vor, in denen Autokäufer auf eigene Faust gegen die Regelungen klagen.