Am Sonntag will Virginia Raggi Oberbürgermeisterin von Rom werden; die Erste nach fast 3000 Jahren. Foto: AFP

Mit Virginia Raggi steht Italiens Polit-Berserker Beppe Grillo davor, die Stadt Rom zu erobern – als Sprungbrett zur Macht im ganzen Land.

Rom - Sie ist klein und dünn und zierlich. Sie ist 37 Jahre jung, und als sie vor zwei Wochen, nach dem Sieg in Etappe Nummer 1, mitten in der Nacht vor die Kameras trat, da rang sie vor Seligkeit nach Luft, da glühten ihre Backen wie bei einem Schulmädchen, das der besten Freundin vom allerersten Kuss ihres Lebens erzählt.

Diese Virginia Raggi will nun ein Monster bändigen. Sie will Bürgermeisterin von Rom werden als erste Frau in 2769 Jahren Stadtgeschichte – und wenn nicht alles täuscht, dann wird sie das in Etappe Nummer 2, bei der Stichwahl am heutigen Sonntag, auch mühelos schaffen. Flügel verleiht ihr die Wut der Römer, der Zorn über eine bankrotte, immer weiter herunterkommende Stadt, der Wunsch nach Wandel. Hinzu kommt eine besondere, eine nationale Dimension. Die Kommunalwahlen heute in Rom und in den anderen größten Städten Italiens gelten als Generalprobe für den Sturz von Regierungschef Matteo Renzi. Und wie sich gegen den „Unsympathischen“ alle verschworen haben, von den Gegnern in der eigenen Partei angefangen, so sammeln sich hinter Virginia Raggi unterschiedslos alle, die Renzi nach Hause schicken wollen: Rechte ebenso wie Linke, Extreme eingeschlossen. Sie sagen das auch ausdrücklich. Alle gegen einen. Noch nie hat es in Italien eine solche Koalition gegeben.

Wenn Raggi spricht, spricht eigentlich Grillo

Da ist es schon egal, wer diese Virginia Raggi eigentlich ist. Da ist es egal, dass die Anwältin – von drei unauffälligen Jahren im Gemeinderat abgesehen – keine politische Erfahrung besitzt, geschweige denn irgendeine Übung im Umgang mit dem Moloch einer verfilzten, korrupten Bürokratie, und dass sie bis zur Kandidatenaufstellung im Februar so gut wie unbekannt war. Virginia Raggi dient einem anderen Zweck, hinter ihr drehen sich größere Räder. Oder sie ist – wie es neulich im rechtsintellektuellen Blatt “Il Foglio” stand – nur eine der Masken, die der gewiefte Schauspieler Beppe Grillo aufsetzt, die freundliche in diesem Fall, um sein Publikum zu gewinnen. Wenn “Raggi“ redet, dann redet also nicht sie, sondern Grillo durch sie hindurch. Und der 67jährige Polit-Berserker hat es auf einen radikalen Systemsturz abgesehen. Konzepte für danach hat er nicht.

So ist denn auch das Wahlprogramm von Grillos Kandidatin Raggi einigermaßen diffus geblieben. Klar, der Müll muss von den Straßen. Aber wie? Klar, die vielen tausend Schlaglöcher in den Straßen müssen weg, die jährlich soundsoviele Motorradfahrer das Leben kosten; klar, die Verschwendung von Steuergeldern – 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, laut Raggi – muss ein Ende haben. Das Riesendefizit in den städtischen Betrieben, verursacht „von den bisher regierenden Parteien“ – wobei Raggi auffallend stärker nach links attackiert als nach rechts –, soll von „den Politikern“ bezahlt werden. Und die Schulden der Stadt, diese 13 Milliarden Euro? „Renzis Finanzministerium ist schuld, dass wir so hohe Zinsen zahlen.“

Eine Seilbahn über den Tiber wollte Raggi ziehen, um der Verkehrsprobleme Herr zu werden, und an die Seite – oder gar an die Stelle? – des von Grillo radikal abgelehnten Euro sollte eine inner-römische Tauschwährung treten. Heftiges Gelächter allenthalben, dann verschwanden diese Projekte wieder.

Wie wenig ausgereift die Ideen überhaupt sind, zeigte sich vor allem beim Thema Olympische Spiele, um deren Austragung im Jahr 2024 sich Rom beworben hat. Die Stadt könne sich die Spiele nicht leisten, sagte Raggi an dem einen Tag: „Die Stadt stirbt an Verkehr und Schlaglöchern, da ist es kriminell, von Olympia zu reden.” Am anderen Tag korrigierte sie: “Kriminell ist es, sich nicht um die wirklichen Probleme der Bürger zu kümmern; Olympia meinte ich gar nicht.” Und, bisher letzte Version: Raggi will das Volk über ein Ja oder ein Nein zu den Spielen entscheiden lassen.

Wem ist Raggi verpflichtet?

„Das Volk“ hat im Februar schon Raggis Kandidatur beschlossen, jedenfalls jener Teil des Volks, der im Blog der Fünf-Sterne-Bewegung eingeschrieben ist. 9500 Leute sollen das in Rom sein, 3862 hätten sich am Internetvotum beteiligt, Raggi habe mit 1764 Stimmen gewonnen. So jedenfalls hat es die Zentrale der Bewegung mitgeteilt; sie sitzt in Mailand, in der Computerfirma Casaleggio.

Gianroberto Casaleggio, der Gründervater und “Guru” der Fünf Sterne, ist im April gestorben, die okkulte Macht in der Zentrale ist auf seinen Sohn Davide übergegangen, ohne dass demokratisch abgestimmt worden wäre – und ähnlich undurchsichtig verlaufen auch die anderen „Blog-Befragungen“, an deren „Ergebnisse“ sich die Fünf-Sterne-Politiker halten müssen. Bei Zuwiderhandlung – einen solchen Vertrag etwa hat Virginia Raggi unterschrieben – sind 150.000 Euro Bußgeld an die Bewegung fällig. Auch muss die künftige Bürgermeisterin sämtliche „bedeutenden Entscheidungen“ vorab einer „Mannschaft“ der Fünf Sterne zur Prüfung vorlegen.

Wem also, so bohren die Konkurrenten, ist eine Bürgermeisterin Raggi eher verpflichtet? Den römischen Bürgern? Oder einer machtgierigen Privatfirma in Mailand? Und wenn “Anzeigen” gegen eine unbotmäßige Bürgermeisterin an Grillos Blog gerichtet werden müssen – wie es dessen Reglement vorsieht – wo bleibt dann die demokratische Auseinandersetzung im Stadtparlament? Raggi hat auf solche Fragen nur ausweichend geantwortet: “Na ja, die Bürger können sich ja auch auf der Website der Gemeinde Rom beschweren.“

Renzi hat sich vor Großstadt-Wahlkampf gedrückt

35,25 Prozent der Stimmen hat Raggi bei der ersten Runde der Kommunalwahl vor zwei Wochen erreicht. Als Zweiter blieb der “Renzianer” Roberto Giachetti um mehr als zehn Punkte darunter. Der 55jährige mit dem unveränderlichen Dreitagebart hat sich seither um eine Aufholjagd bemüht, aber gegenüber der hübschen Hoffnung Raggi ist er ein farbloser Parteisoldat, ein Mitglied des Establishments. Giachetti bezahlt für die Misswirtschaft in der Stadt, für die Verwicklung der Sozialdemokraten in die Umtriebe der „Mafia Capitale“, für die verbreitete Abneigung gegen seinen Parteichef.

Renzi selbst, der es auch in allen anderen Wahl-Großstädten schwer hatte, hat sich lieber nicht im römischen Wahlkampf blicken lassen. Er weiß, seine Schlacht steht ihm erst noch bevor. Die Fünf Sterne wollen Rom ja weniger um der Stadt selber willen erobern, denn als Sprungbrett: „Wenn Virginia gewinnt und ihre Sache gut macht“, sagen sie ganz offen, „wird für uns der Weg frei, das ganze Land zu regieren.“