Herausforderer und Amtsinhaber: Stephan Muck (links) und Jürgen Kessing (rechts) bei der offiziellen Kandidatenvorstellung Mitte Februar. Bürgermeister Joachim Kölz moderierte die Veranstaltung. Foto: factum/Simon Granville

Am Sonntag wählt die Stadt einen neuen Oberbürgermeister – oder den alten? Wir haben den Kontrahenten Jürgen Kessing und Stephan Muck einen Fragebogen vorgelegt – und getestet, wie sie sich vor der Videokamera machen.

Bietigheim-Bissingen - Erstaunlich: Die Menschheit hat im Laufe der Jahrhunderte unzählige bewundernswerte Persönlichkeiten hervorgebracht. Aber Jürgen Kessing und Stephan Muck, die am 8. März beide die Oberbürgermeisterwahl in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) gewinnen wollen, nennen auf die Frage nach ihrer Lieblingsperson in der Geschichte unabhängig voneinander denselben Namen: Mahatma Gandhi.

Der sanfte Friedenskämpfer ist allerdings der einzige gemeinsame Nenner der beiden Kontrahenten. Nicht nur im Fragebogen unserer Zeitung, sondern auch im Wahlkampf setzen der Amtsinhaber Kessing (62) und sein Herausforderer Stephan Muck (50) auf gegenseitige Abgrenzung – auch wenn sie inhaltlich weitgehend dasselbe wollen: Wohnraum schaffen, den Verkehr bändigen, die kommode finanzielle Lage der Stadt bewahren, den Umstieg auf den ÖPNV pushen.

Der Herausforderer setzt auf Emotionen

Der SPD-Mann Kessing, der seit zwei Amtsperioden im Sattel sitzt, will die größte schuldenfreie Stadt Baden-Württembergs mit ihren rund 43 000 Einwohnern weitere acht Jahre lenken. Er baut auf seine Verwaltungs- und Finanzkenntnis, seine Erfahrung und gute Vernetzung.

Der Winzer Stephan Muck, der für die Freien Wähler im Gemeinderat sitzt, setzt auf den Einheimischen-Bonus und auf Emotionen. Seine Wahlkampfslogans lauten: „Von hier. Verstehen. Kümmern.“ Und: „100 Prozent Bietigheim-Bissingen.“ Ein kaum verdeckter Seitenhieb auf den Amtsinhaber, der in Worms geboren wurde und unter anderem in Ludwigshafen, Kaiserslautern und Dessau arbeitete, bevor er in Bietigheim-Bissingen zum OB gewählt wurde.

Kessings Wahl 2004 war ein Paukenschlag – und ein Debakel für die CDU, die seit 1948, mit Karl Mai und Manfred List, ununterbrochen den Oberbürgermeister gestellt hatte. Der damalige Wahlkampf wurde zu einer Zerreißprobe für die Christdemokraten, denn es gingen gleich zwei Kandidaten für sie ins Rennen: der damalige Vizelandrat Christoph Schnaudigel (CDU) und Wilfried Dölker (parteilos, aber unterstützt von Teilen der CDU, FWV und FDP). Zudem bewarben sich Michael Jacobi (damals Grüne, heute Stadtverbandsvorsitzender der CDU) und Gerhard Schmetzer (parteilos). Dölker warf vor dem zweiten Wahlgang hin, Jürgen Kessing zog mit großem Vorsprung davon. Als er sich 2012 zur Wiederwahl stellte, trat erst gar kein Mitbewerber gegen ihn an.

Das umstrittene Ehrenamt

Seit 2017 ist Kessing auch Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes – ein Ehrenamt, das viel Zeit in Anspruch nimmt. Das Engagement ist in Bietigheim-Bissingen daher nicht unumstritten. Dennoch hält sich die CDU auch diesmal, wie vor acht Jahren, zurück. Die Christdemokraten sind zwar unzufrieden mit Kessing, finden seine Amtsführung ambitionslos und zu wenig innovativ, haben aber niemanden parat, der es mit dem SPD-Mann aufnehmen will.

„Aus intensiven Gesprächen wissen wir, dass man die Lebensqualität unserer Stadt in der Region und im Land erkennt und schätzt“, sagt CDU-Chef Michael Jacobi. „Interessenten von außerhalb aber müssen einen hohen Aufwand betreiben, um den großen Bonus eines erneut kandidierenden Amtsinhabers aufzuholen.“ Unter diesen Umständen wolle niemand fünfstellige Summen für einen Wahlkampf ausgeben oder sich Diffamierungen in sozialen Netzwerken aussetzen, begründet Jacobi die erfolglose Kandidatensuche.

Muck eröffnet Wahlkampf im Internet

Sich auf die Seite des Freien Wählers Stephan Muck schlagen, wie es die Grün-Alternative Liste für den Sozialdemokraten Jürgen Kessing getan hat – das will die CDU aber auch nicht. Die kommunalpolitischen Unterschiede stünden weniger im Fokus, argumentiert Jacobi. „Es geht um die Frage, ob die Unzufriedenheit mit dem Amtsinhaber größer ist als die fehlende Verwaltungserfahrung seines Herausforderers.“ Bei dieser Entscheidung wolle man niemanden durch eine offizielle Parteiempfehlung beeinflussen. Mucks Kandidatur und sein engagierter Wahlkampf verdienten aber den Respekt der CDU.

Stephan Muck erklärt, er könne ganz gut damit leben, dass die CDU sich nicht offiziell hinter ihn gestellt habe. Seine Betrachtungsweise: „Dann bleibe ich unabhängig und bin keiner Klientel verpflichtet.“ Außerdem kenne er als Besenwirt jede Menge CDU-Anhänger, die ihn im persönlichen Gespräch bestärkten. „Mein Pfund ist“, so Muck: „Man wählt den Menschen, nicht die Partei.“ Für Dynamik hat Muck vor der Wahl auf jeden Fall gesorgt, nicht nur live, sondern auch virtuell. Nachdem er intensiv die sozialen Medien für seinen Wahlkampf bespielte, ging auch Jürgen Kessing mit eigener Homepage und Facebook-Account in die Offensive. Sein Slogan dort: „Zum dritten Mal die richtige Wahl.“

Was Stephan Muck an Jürgen Kessing mag – und was nicht

An meinem Kontrahenten mag ich . . .

. . . dass er zum VfB-Fan geworden ist.

An meinem Kontrahenten mag ich nicht . . .

. . . wenn er auf Delegationsreisen Witze erzählt, die finde ich meistens nicht lustig.

Bietigheim-Bissingen sollte mehr Geld ausgeben für . . .

. . . bezahlbaren Wohnraum.

Die größte Herausforderung für Bietigheim-Bissingen in den nächsten Jahren wird sein . . .

. . . den Verkehr zu regeln, Wohnraum zu schaffen, die Finanzen stabil zu halten.

OB und nebenher ein Ehrenamt – für mich ist das . . .

. . . eine Frage der Prioritäten.

Wer ist der bessere Botschafter für Ihre Stadt: Bausa oder Hartmut Engler?

Alles hat seine Zeit. Bausa für die etwas Jüngeren, Hartmut für die etwas Älteren.

Lieber Handball oder lieber Eishockey?

Ballhockey.

Mit wem würden Sie eher zusammenarbeiten wollen: Linke oder AfD?

Sind beide nicht im Gemeinderat, also nicht relevant.

Mit wem würden Sie lieber einen Rotwein trinken: Greta Thunberg oder Friedrich Merz?

Mit Friedrich einen 2015 Lemberger Barrique aus den Bietigheimer Steillagen, mit Greta eine Biolimonade Zitronenstolz aus Bietigheimer Produktion.

Welches war das wichtigste Buch Ihres Lebens?

Eckhart Tolle: Eine neue Erde.

Wer ist Ihr Vorbild?

Jürgen Klopp.

Wer ihr Ihre Lieblingsperson in der Geschichte?

Mahatma Gandhi.

Beim wem müssten Sie sich entschuldigen?

Gegenfrage: Für was?

  

Mit wem Jürgen Kessing am liebsten Wein trinkt

An meinem Kontrahenten mag ich . . .

... dass er Besenwirt ist und sich um die Steillagen in unserer Stadt kümmert. Das soll er weiterhin tun.

An meinem Kontrahenten mag ich nicht . . .

Das behalte ich für mich!

Bietigheim-Bissingen sollte mehr Geld ausgeben für . . .

. . . bezahlbaren Wohnraum.

Die größte Herausforderung für Bietigheim-Bissingen in den nächsten Jahren wird sein . . .

. . . den wirtschaftlichen Wohlstand zu erhalten.

OB und nebenher ein Ehrenamt – für mich ist das . . .

Für mich und meine Familie ist das kein Problem und Ehrensache, etwas für die Allgemeinheit zu tun.

Wer ist der bessere Botschafter für Ihre Stadt: Bausa oder Hartmut Engler?

Das sind beide auf ihre besondere Weise: Jeder hat seine eigenen Qualitäten und Zielgruppen.

Lieber Handball oder lieber Eishockey?

Beides – und dann noch Leichtathletik und Fußball.

Mit wem würden Sie eher zusammenarbeiten wollen: Linke oder AfD?

Wenn die etablierten demokratischen Parteien vernünftig zusammenarbeiten, stellt sich diese Frage niemals.

Mit wem würden Sie lieber einen Rotwein trinken: Greta Thunberg oder Friedrich Merz?

Weder noch – die eine trinkt keinen, beim anderen gibt es keinen gemütlichen Abend. Dann lieber mit meiner Frau ab Mitte März.

Welches war das wichtigste Buch Ihres Lebens?

Das Sparbuch! Das ermöglichte es mir, meine Wünsche zu erfüllen.

Wer ist Ihr Vorbild?

Es gibt viele Menschen mit tollen Eigenschaften, an denen ich mich orientiere. Ich möchte niemanden einzeln nennen.

Wer ihr Ihre Lieblingsperson in der Geschichte?

Mutter Teresa und Gandhi.

Beim wem müssten Sie sich entschuldigen?

Bei meiner Frau und meinen Kindern, die während des Wahlkampfs oft auf mich verzichten müssen und dann auch noch von merkwürdigen Personen aggressiv angegangen werden.