Betteln mit Abstand. Obdachlose haben es in der Corona-Krise besonders schwer. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Wohin ziehen sich Menschen zurück, die keine Wohnung haben? Der Sozialpädagoge Heinrich Knodel ahnt es. Er leitet die Wohnungslosenhilfe im Kreis Ludwigsburg – und hat selbst ungeahnte Probleme bewältigen müssen.

Ludwigsburg – - Notunterkünfte zu, Essensausgaben eingestellt: Weil Treffpunkte und Hilfsangebote in der Corona-Krise geschlossen sind, haben es Obdachlose besonders schwer. Und die Einrichtung, die ihnen hilft, musste sich selbst mit ungeahnten Problemen auseinandersetzen.

Herr Knodel, wie viele Menschen leben im Kreis und in der Stadt auf der Straße?

Für den Landkreis wird die Zahl nicht erfasst, weil die kommunalen Zahlen nicht zusammengeführt werden. Wir betreuen als Einrichtung aktuell 215 Menschen. 100 haben wir schon wieder mit Wohnraum versorgt, die werden von uns weiterbetreut, um die Wohnung nachhaltig zu sichern. Der Rest ist in verschiedenen Interims- oder befristeten Wohnangeboten untergebracht. Etwa 15 leben tatsächlich auf der Straße. Oft sind beispielsweise eine schwere Suchterkrankung oder eine psychische Erkrankung der Hintergrund.

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Diese Menschen scheinen aus dem Stadtbild verschwunden zu sein. Wo sind sie?

Das ist ein Rätsel, das auch wir nicht ganz lösen können. Ich glaube, es ist tatsächlich eine Verhaltensweise von wohnungslosen Menschen, sich ohnehin schon oft unsichtbar zu machen. Jetzt sind ja auch durch die Corona-Krise einige Aufenthaltsorte nicht mehr zugänglich gewesen. Ich vermute, dass viele versuchen, doch bei Freunden oder Bekannten irgendwie Unterschlupf zu finden.

Wie ist die Situation von Wohnungslosen in der Corona-Krise?

Die Pandemie verschärft die alltäglichen Probleme, die wohnungslose Menschen sowieso haben. Wer keine Wohnung hat, der kann sich eben auch nicht dorthin zurückziehen. Da sind wir wieder beim vorherigen Thema. Orte, wo sie sich sonst tagsüber aufhalten, Einkaufszentren oder die Stadtbibliothek, auch unsere Tagesstätte, die waren oder sind geschlossen. Das ist schon ein sehr massiver Einschnitt. Es fehlen auch die Einkaufsmöglichkeiten bei der Ludwigstafel, die eingegrenzt werden mussten, oder eben auch die günstigen Mittagstische. Es sind aber auch viele, viele kleine Sachen. Wie wäscht jemand, der keine Waschmaschine hat, seine Schutzmaske?

Was ist mit den Einnahmen, etwas durchs Flaschensammeln, wenn Passanten fehlen?

Man muss vielleicht etwas unterscheiden: Die Leute, die bei uns anhängig sind, haben insofern an der Stelle weniger ein Problem, als dass wir uns darum kümmern, dass diese Leute ihr Arbeitslosengeld II und ihre Grundsicherung bekommen, sodass die nackte Existenzsicherung gewährleistet ist. Wir geben, wenn es am Monatsende knapp wird, schon auch ein Vesperpaket raus. Aber es gibt natürlich auch eine Dunkelziffer von Leuten, die nicht bei uns auftauchen, die sich versuchen, selber durchzuschlagen, und die haben an der Stelle natürlich schon ein Problem.

Viele Angebote sind eingeschränkt. Wie erreichen Sie Hilfsbedürftige trotzdem?

Wir haben durch die ganze Krise hindurch unsere Fachberatungsstelle nicht geschlossen, sondern versucht, Termine zu vereinbaren, und wenn es zur Not an der Haussprechanlage war. Zum Glück haben viele unserer Klienten ein Handy. Das hat relativ gut funktioniert. Wo es Einschränkungen gibt, ist in unserer Notübernachtung im Aufnahmehaus mit vier Plätzen. Da ist es einfach zu eng. Doppelzimmer waren natürlich ein Problem, aber auch die Gemeinschaftsräume. Wenn in unserer Tagesstätteam Mittag volles Haus ist, essen im Normalfall gut 40 Leute gleichzeitig, das wäre gar nicht gegangen. Aber es soll keiner hungern, deswegen haben wir mit der Einstellung des Mittagstischs Vesperpakete gepackt. Den Kontakt haben wir immer gehalten. Unser Grundproblem: Wir sind eine soziale Einrichtung, aber wir sollen – wie heißt es so schön im Neudeutschen – social distancing praktizieren. Das ist ein Widerspruch.

Was können die Bürger tun?

Zunächst mal möchte ich ein ganz großes Dankeschön aussprechen. Wir haben tatsächlich in den letzten Wochen eine beeindruckend große Hilfsbereitschaft erlebt aus der Bevölkerung heraus. Unser Kleiderlager quillt über. Wir haben Ludwigsburg-Gutscheine gespendet bekommen, die in Geschäften und Restaurants eingelöst werden können, das ist eine gute Sache. Unverderbliche, lagerfähige Lebensmittel sind gut. Mit Geldspenden kommen wir auch immer weiter. Durch Corona sind bei uns Ausgaben entstanden, an die wir vorher gar nicht gedacht hatten, durch Desinfektionsmittel oder Masken, Spuckschutz und, und, und, damit der Betrieb weiterlaufen kann.