Insgesamt sieben OB-Bewerber- und Bewerberinnen stellten sich in der leeren Porsche-Arena den Fragen der Moderatoren und des via Livestream und Social Media zugeschalteten Publikums. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In der Porsche-Arena haben sich die aussichtsreichsten Bewerber bei der OB-Wahl einen sachlichen Schlagabtausch geliefert. Es gab – etwa beim Wohnungsbau oder der Corona-Politik – durchaus Gemeinsamkeiten zwischen einzelnen Kandidaten. Aber auch Unterschiede wurden deutlich.

Stuttgart - Wer kann Stuttgart? OB-Kandidat*innen im Gespräch“ lautete der Titel der von Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, dem Südwestrundfunk (SWR), der Landeszentrale für politische Bildung (lpb) und der Volkshochschule Stuttgart ausgerichteten Podiumsdiskussion. Schlaglichter eines denkwürdigen Abends vor leeren Rängen in der Porsche-Arena – aber mit einem unangekündigten Gast.

Das Publikum

Angesichts steigender Corona-Zahlen fand die Podiumsdiskussion entgegen der Planung ohne Saalpublikum statt – eine reine Vorsichtsmaßnahme. Die Öffentlichkeit war indirekt dennoch vertreten: Social-Media-Redakteurin Diana Hörger reichte auf der Bühne Fragen an die Kandidatin und die Kandidaten weiter, die Zuschauer während des Livestreams stellten.

Das Podium

Warum saßen an diesem Abend plötzlich sieben statt wie angekündigt sechs von 14 OB-Kandidaten auf der Bühne? Die Begründung für die Auswahl lieferten die Moderatoren Nicole Köster (SWR) und Jan Sellner (Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten) zu Beginn: „Mit 14 Personen ist eine Podiumsdiskussion praktisch nicht möglich ist.“ Die Veranstalter hätten sich für sechs Kandidaten entschieden, weil sie entweder von einer Partei oder Wählergruppen im Gemeinderat unterstützt würden oder bereits ein Wahlamt inne hätten. „Das halten wir mit Blick auf die OB-Wahl für ein wichtiges Kriterium.“

Kurz vor Beginn die Überraschung: das Verwaltungsgericht Stuttgart gab einem Eilantrag des Einzelbewerbers Sebastian Reutter statt, der seine Teilnahme an der Debatte auf juristischem Weg erzwang. Das Gericht war der Auffassung, dass Reutter insbesondere aufgrund seiner Verwaltungserfahrung und seiner Bekanntheit zu der Runde einzuladen sei. Die offiziellen Bewerbungsreden aller 14 Bewerberinnen und Bewerber sind auf der Homepage der Stadt Stuttgart einzusehen (www.stuttgart.de).

Die Atmosphäre

In der Porsche-Arena fliegen seit 2006 die Bälle beim Tennis-Grand-Prix hin und her. An diesem nasskalten Herbstabend im Neckarpark sind die 6000 grauen Sitze in der Halle hochgeklappt. Gekämpft wird auf dem Podium um jeden einzelnen Punkt, um jeden gut platzierten Return, denn bis zur Wahl am 8. November wird es kaum mehr eine derartige Chance der Konfrontation und Abgrenzung in großer Runde geben. Jeder versuchte überzeugend zu parieren. Am 8. November geht es um den ersten Matchball, der entscheidende wird aber wohl am 29. November beim zweiten Wahlgang geschlagen.

Die Bewerber und Corona

Die Abstände auf dem Podium wurden penibel eingehalten. Die Mehrheit der Bewerber sprach sich dafür aus, die Corona-Regeln einzuhalten. Veronika Kienzle (Grüne) rief zur Rücksichtnahme, aber auch zur Zuversicht im Hinblick auf einen Impfstoff auf und will Kulturklubs und Diskotheken am Runden Tisch versammeln, um über finanzielle Hilfen zu reden. Martin Körner (SPD) verteidigte seinen Vorschlag für 100-Euro-Konsumgutscheine und sagte, die Stadt müsse eine aktive Rolle in der Krise spielen. Marian Schreier (Einzelbewerber) widersprach: Ein „Helikoptergeld“ bringe wenig, man müsse eher Luftfilter für Kitas und Schulen beschaffen.

Einzelbewerber Sebastian Reutter will den Handel und die Wirtschaft stärken, etwa durch Mietnachlässe bei städtischen Immobilien. Hannes Rockenbauch (SÖS) forderte finanzielle Zulagen für Beschäftigte in Pflege und Erziehung: „Klatschen allein reicht einfach nicht.“ Auch Frank Nopper (CDU) sprach sich für Luftfilter in Kitas und Schulen aus, will wie auch Kienzle die Genehmigung für Außengastronomie erleichtern. Nopper kritisierte, die Corona-Regeln seien teils nicht nachvollziehbar kommuniziert worden. Allein Malte Kaufmann (AfD) will die „überzogenen Corona-Regeln“ zurückführen“ und erklärte, Weihnachtsmärkte müssten stattfinden dürfen: „Wer eine Maske tragen will, der darf das.“

Die wichtigsten Themen

Martin Körner hat sich beim Thema Wohnen mit der Aussage die Alleinstellung gesichert, er könne sich auch eine Bebauung der Siedlungsränder oder gar einer Freifläche wie dem Birkacher Feld vorstellen, um dort etwa 20 Prozent des Stuttgarter Bedarfs von 30 000 Wohneinheiten zu decken. Zuvor müsste es aber einen Bürgerentscheid geben. Veronika Kienzle, die sehr schnell provisorischen Wohnraum für Studenten mittels Modulbauten schaffen will, aber auch Hannes Rockenbauch plädierten für eine Nachverdichtung in der Stadt. Frank Nopper verwies auf die bekannten Flächen wie das Rosensteinviertel, das nicht zu bebauen, sich die Stadt nicht leisten könne, so sein Seitenhieb auf Aussagen des S-21-Gegners Rockenbauch.

Nopper hält 2000 neue Wohnungen pro Jahr für denkbar, das wären 200 mehr als der Amtsinhaber Fritz Kuhn (Grüne) für machbar erachtete. Am linken und rechten Flügel hat man ein Auge auf die womöglich frei werdenden Flächen nach einem Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte geworfen. Körner hielt wenig davon, fremdes Terrain zu überplanen, von dem man nicht weiß, ob es in absehbarer Zeit überhaupt zur Verfügung steht. Sebastian Reutter plädierte für mehr Effizienz im Baurechtsamt, dies helfe, Verfahren zu beschleunigen. Seit Jahren ein Streitthema im Rathaus: die Grundstückspolitik der Verwaltung.

Rockenbauch forderte eine restriktive Bodenvorratspolitik, Körner sieht das ähnlich, Marian Schreier will eine Stiftung gründen, die Grundstücke und Gebäude kauft und günstig vermietet. Ziel der kommunalen Bodenbevorratung sei es, Flächen der Spekulation zu entziehen – ein Beispiel findet sich nur wenige Meter vom Veranstaltungsort entfernt. Im Neckarpark haben sich die Preise für Grundstücke teils verachtfacht, allerdings auch jene, die der Stadt gehören. Einig waren sich die Kandidaten in der Forderung, den Öffentlichen Nahverkehr zu verbessern, ihn gar „zum besten der Welt“ zu machen, so der Anspruch Körners. Das 365-Euro-Jahresticket hat er nicht exklusiv, das will auch Marian Schreier – das wären 365 Euro mehr als Hannes Rockenbauch für machbar erachtet und dies mit reduzierten Folgekosten für den Autoverkehr finanzieren will, den er mindestens zu halbieren gedenkt. Takte verdichten und Züge zu verlängern, hält auch Frank Nopper für sinnvoll.

Malte Kaufmann will es den Bürgern überlassen, ob sie mit dem Auto durch die Stadt fahren, er hält nichts von Dieselfahrverboten und Tempo 40. Das sieht Veronika Kienzle ganz anders. Nicht nur sie hielt ein Plädoyer auf den Radverkehr, der ein durchgängiges, separates Wegenetz brauche, weil sich Radler und Fußgänger zu oft in die Quere kommen.

Die Kandidaten vor die Wahl gestellt

„Ich kenne den von der CDU – Marius Schreier.“ Dieses Bekenntnis eines Bürgers bei einer Straßenumfrage brachte das Dilemma auf den Punkt: Der Bekanntheitsgrad der Bewerber ist durchweg nicht sehr hoch. Und wie steht’s um ihre Schlagfertigkeit? Das versuchten die Moderatoren Köster und Sellner per Ja-Nein-Fragen zu ergründen. Vor die Wahl Wirtschaftsförderung oder Kultur gestellt, antwortete Nopper: „Beides.“

Kienzle, angesprochen darauf, ob sie nun ein Studium oder nur eine Ausbildung zur Eurythmistin absolviert habe, sagte, sie habe studiert, auch wenn sich die Studienordnungen mittlerweile weiterentwickelt hätten. Körner, vor die Wahl zwischen den Mineralbädern Leuze und Berg gestellt, gab ersterem den Vorzug – wegen des Kinderbereichs. Kaufmann wiederum wollte sich zwischen seinen Parteifreunden Björn Höcke und Jörg Meuthen nicht entscheiden. Reutter („Frühaufsteher oder Spätzünder“) antwortete, er sei spät in den Wahlkampf eingestiegen, weil er durch die Coronakrise gemerkt habe, „dass jemand an die Rathausspitze muss, der sich in der Wirtschaft auskennt“.

Rockenbauch wiederum gab bei der Frage OB Schuster oder OB Kuhn Präferenzen für den derzeitigen Amtsinhaber zu erkennen: „Schuster habe ich nie gewählt.“ Und Marian Schreier? Vor die Alternative Bundestag oder Rathaus gestellt, stellte er die Vorzüge der OB-Tätigkeit heraus: „Da kann man konkrete Politik machen.“

Die Bonmots des Abends

Bei aller sachlichen Diskussion ließen die Kandidaten mitunter durchaus auch Witz erkennen, wenn sie den politischen Kontrahenten attackierten. „Wir sind doch hier nicht bei Bob, der Baumeister“, entfuhr es Hannes Rockenbauch ob der von Nopper, Körner und Reutter in den Raum gestellten Zahlen an neu zu bauenden Wohnungen. Malte Kaufmann wiederum konterte Rockenbauchs Idee, Straßen zurückzubauen, mit dem Hinweis, man könne aus Stuttgart „kein Schwarzwalddorf machen“. Und als der Tengener Bürgermeister Schreier damit kokettierte, er habe vor dem Corona-Lockdown die Friseure in seiner Gemeinde angerufen, um sie zu informieren, konterte Parteifreund Körner: „In der Landeshauptstadt können Sie nicht mal eben jeden Friseur anrufen.“