Solaranlagen auf Dächern sind in Stuttgart noch wenig verbreitet. Mit ihnen kann die Stromerzeugung durch Kohle und Gas reduziert werden. Foto: dpa

Eine aktuelle Masterarbeit befasst sich kritisch mit der kargen Nutzung von Dachflächen für Solarstrom. Die Prüfer bezeichnen die die Arbeit als gelungen, das Zeugnis für die Stadtverwaltung fällt weniger gut aus.

Stuttgart - Stuttgart will in Sachen Energieverbrauch die Wende schaffen. OB Fritz Kuhn (Grüne) und der Gemeinderat haben erklärt, dass alle Bürger und Unternehmen in Stuttgart bis zum Jahr 2050 ihren Bedarf mit erneuerbaren Energien und nicht mehr mit Kohle, Öl oder Gas decken sollen. Einsparung ist ein großes Thema (65 Prozent gegenüber 1990), der Aufbau von Windenergie- und Solaranlagen zum Klimaschutz nicht minder. Doch hier zeigen sich große Defizite.

In der Stadtverwaltung sei „die Dynamik früherer Jahre bei diesem Thema verloren gegangen“, konstatiert Frank Schweizer, der frühere Vorsitzende des 1989 gegründeten Vereins Stuttgart Solar. Selbst bei Neubauten wie dem Dorotheenquartier würden Dachflächen nicht zur Stromerzeugung genutzt.

Aktuelle Masterarbeit liefert Daten

Untermauert wird Schweizers Kritik durch eine aktuelle Masterarbeit, die in Kooperation des Instituts für Fotovoltaik der Uni Stuttgart und dem städtischen Umweltamt entstanden ist. Ihr Titel: „Urbanisierung der Energiewende – Fotovoltaik auf Stuttgarter Schulen“.

Diverse Fakten und Schlussfolgerungen der Arbeit von Thomas Uhland sind für die Stadtverwaltung wenig schmeichelhaft. Potenziale bei den erneuerbaren Energien seien teils ausgeschöpft, zum Beispiel die aus Wasserkraft oder Klärgas, andere wie die Windenergie in der Stadt kaum zu heben. Versäumnisse erkennt Uhland beim Thema Fotovoltaik (PV), also der Sonnenstromerzeugung. Hier seien Datengrundlagen veraltet oder fehlten. Mit Vorbildern wie Wien oder Berlin, die im Solarkataster die Eignung von Gebäuden perfekt darstellten und auch die Kohlendioxid-Einsparung ausweisen, könne der Stuttgarter Auftritt nicht mehr mithalten.

Nur 85 Solaranlagen in 17 Jahren

Die vollständige Nutzung der Fotovoltaik wäre eine zentrale Säule auf dem Weg weg von Klimakillern, 21 Prozent des gesamten Strombedarfs in der Stadt könnte über die Dächer gedeckt werden. Doch die Säule trägt nicht. In der Stadt gibt es 179 000 Gebäude, davon 59 000 mit Flachdächern, die 41 Prozent der Grundfläche ausmachen. 7500, auch sehr kleine, sind in städtischem Besitz.

In den Jahren 2000 bis 2017 wurden auf Gebäuden der Stadt 85 Anlagen mit einer Leistung von 4,6 Megawatt Peak installiert (Peak bezeichnet die Höchstleistung der Anlage). Das gesamte Potenzial auf städtischen Dächern liege laut Amt für Umweltschutz bei 45,8 Megawatt Peak, auf Flachdächern bei etwa 26. Uhland hat die Ausbaurate der Jahre 2015 bis 2017 hochgerechnet und kommt auf ernüchternde 200 Jahre, die es dauern würde, um dieses Strompotenzial zu heben.

Der Aufbau muss vervielfacht werden

Gesamtstädtisch betrachtet sieht die Rechnung noch verheerender aus. Würde hier das Tempo von 2013 bis 2017 beibehalten, „wird in etwa 400 Jahren das Fotovoltaik-Potenzial voll genutzt“, sagt der Ingenieur. Bis 2050 bleiben aber nur 32 Jahre. Der Aufbau müsste vervielfacht werden. Uhland fordert eine ehrgeizigere Zielsetzung, die Stadt müsse Vorbild sein, ihre Dächer schon bis 2030 vollständig nutzen. „Dafür muss der Zubau um den Faktor 20 gegenüber dem Durchschnitt der letzten Jahre gesteigert werden“, so Uhland.

Die Stadt müsse nicht alles selbst machen. „Die Energiewende muss eine Bürgerenergiewende werden“, schreibt Jürgen Görres, der Leiter der Abteilung Energiewirtschaft im Umweltamt, im städtischen Energiekonzept. Warum also die Dächer nicht Bürgern geben, die investieren wollen? Das bringe Rendite, sagt Schweizer.

Uhland schlägt für die Ausbaustrategie 2030 eine Neustrukturierung vor. Die Verantwortung solle vom Amt für Umweltschutz ins OB-Büro wandern, zu einem Koordinator. Jährliche Ausbauziele müssten definiert und überprüft, die Förderung überdacht, das Solarkataster erneuert und eine Kampagne wie zum Beispiel in Freiburg gestartet werden.

Seit 2014 keine Flächen für Dritte

Seit 2014 seien von Dritten keine städtischen Dachflächen für Fotovoltaik mehr genutzt worden, bemängelt Uhland. Der bisher rein städtisch verantwortete Ausbau der Fotovoltaik müsse auf mehr Schultern verteilt werden, auf Bürger, Vereine, Investoren, die selbst Anlagen planten, errichteten und betrieben. Den Stadtwerken weist Uhland dabei eine zentrale Rolle zu.

Stuttgart Solar will das Thema bei einer Veranstaltung am Montag, 24. September, um 19 Uhr in der Marienkirche mit mehreren Referenten, darunter Uhland, befördern. Dessen Masterarbeit wurde übrigens von den Prüfern als „wissenschaftlich gelungen“ gewürdigt. „Politisch wertende Aussagen“ in der Schrift stellten aber weder die Meinung der Uni-Prüfer noch der Betreuer des Umweltamtes dar.