Joseph Khoury bietet in Ostfildern syrische Spezialitäten an Foto: Horst Rudel

Hunderttausende Flüchtlinge sind zuletzt nach Baden-Württemberg gekommen. Doch offenbar haben nur ganz wenige davon bisher einen Betrieb gegründet. Ein Syrer in Ostfildern könnte gar der einzige sein, der einen Unternehmenskredit bekommen hat.

Ostfildern/Stuttgart - Liebevoll drapiert Joseph Khoury die vielen kleinen und großen Spezialitäten an seinem Marktstand. Morgens beginnt sich die neue Markthalle im Scharnhauser Park gerade erst zu füllen. Vier Stände gibt es dort seit Anfang Dezember – der 51-Jährige betreibt einen davon. Syrisch-arabische Feinkost ist im Angebot, dazu warten auch frisch gekochte Gerichte auf hungrige Kunden. Das meiste davon stellen Khourys Frau und sein Partner, ein erfahrener Koch, der ebenfalls geflohen ist, selbst her. Auch die beiden Kinder helfen mit. Beituti nennt sich der Stand – das heißt so viel wie hausgemacht. „Wie bei Mutti“, sagt Khoury und lacht.

Die Geschichte Khourys ist außergewöhnlich. Denn der studierte Chemiker hat in seiner Heimat 22 Jahre lang in einem ganz anderen Beruf gearbeitet. Als Laborchef einer Firma in Aleppo hat er die Reinheit von Edelmetallen getestet. „Als 2012 die Islamisten aufgetaucht sind, hat sich alles geändert. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer“, erinnert er sich. Die christliche Familie wohnte in einem Viertel, in dem viele verschiedene christliche Konfessionen zusammenlebten. „Solche Viertel begannen die Rebellen zuerst zu bombardieren. Es war ein Albtraum“, erzählt Khoury. Er verlor seine Arbeit, die Inflation schoss in die Höhe, die Ersparnisse schmolzen dahin. „Für mich gab es nur die Wahl: sterben oder gehen.“

Die Abschlüsse anerkennen lassen

Khoury entschied sich, die gefährliche Reise zuerst allein anzutreten. Er landete in Deutschland, ist seit eineinhalb Jahren anerkannt und konnte schließlich seine Familie nachholen. In der Flüchtlingsunterkunft lernte er seinen heutigen Kompagnon kennen. „Ich habe zwar meine Abschlüsse nach und nach in Deutschland anerkennen lassen, aber nach Ende der Sprachschule habe ich mich für die Selbstständigkeit entschieden“, erzählt er.

Ein Wagnis, zumal der Start alles andere als einfach war. Zwar kam das Duo durch einen glücklichen Zufall in der Markthalle zum Zug, doch die Finanzierung wurde zum Hürdenlauf. Bei zwei Banken blitzte Khoury ab. „Ich kann das verstehen“, sagt er. „Wenn ich Bankangestellter wäre, hätte ich mich damit auch schwer getan. Wer bin ich denn, welche Sicherheiten kann ich bieten?“ Doch dann landete er bei der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen (KSK). „Die haben an mich geglaubt“, so der 51-Jährige. „Das persönliche Engagement von Herrn Khoury und sein fundierter Businessplan haben uns überzeugt“, sagt Annette Hecht, Leiterin der KSK-Existenzgründungsberatung.

Außergewöhnlich ist auch das. Denn offenbar sind unter den Hunderttausenden Flüchtlingen, die mit der jüngsten großen Welle nach Baden-Württemberg gekommen sind, bisher so gut wie keine Existenzgründer. Zumindest keine, die dafür einen Kredit bekommen haben. Ob das an fehlenden Anträgen oder fehlender Bewilligung liegt, weiß keiner so richtig. Möglicherweise fehlt manchen Kandidaten auch noch die Anerkennung. „Bei uns ist es bisher der einzige Kredit dieser Art für einen Flüchtling. Und unserem Kenntnisstand nach ist es auch der erste in ganz Baden-Württemberg“, sagt ein KSK-Sprecher.

L-Bank kennt keine weiteren Fälle

Ob Khoury tatsächlich der einzige Geflüchtete im Land ist, der in jüngerer Zeit einen Unternehmenskredit bekommen hat, lässt sich schwer herausfinden. Bei der staatlichen L-Bank allerdings kennt man auch keinen weiteren solchen Fall. Trotz „intensiver Nachforschungen“ habe man bisher „keine explizite Flüchtlingsgründung“ gefunden, heißt es dort. Allerdings soll noch im ersten Quartal ein neues Förderprogramm für kleine Start-up-Unternehmen aufgelegt werden. Es soll nicht nur, aber auch Flüchtlinge ansprechen. Die Bürgschaftsbank Baden-Württemberg begleitet Gründer mit Migrationshintergrund. Dort seien in den vergangenen Monaten auch Finanzierungsfälle von Flüchtlingen bearbeitet worden, sagt eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Es sei also denkbar, dass Khoury zumindest nicht der einzige Fall ist.

Der 51-Jährige jedenfalls kämpft jetzt für seinen Traum von der Selbstständigkeit. Einige Stammkunden gibt es bereits. An eine Rückkehr nach Syrien ist vorläufig nicht zu denken. „Ich habe ja jetzt einen Vertrag und Schulden“, sagt er und lacht. Und wird kurz nachdenklich, wenn er an seine Heimat denkt: „Ich vermisse die Leute und das soziale Leben. Wenn man dort jemanden besuchen will, muss man sich nicht vorher anmelden.“ In Deutschland sei die Verbindung der Menschen untereinander nicht so groß. Immerhin: Kontakte knüpfen wird er an seinem neuen Stand reichlich können.