An diesem Mittwoch sollen die Plädoyers im NSU-Prozess beginnen. Foto: dpa

Nach mehr als vier Jahren sollen an diesem Mittwoch die Plädoyers im NSU-Prozess beginnen. Möglicherweise könnte dann im Oktober das Urteil verkündet werden.

München - Eine letzte Chance hätte Beate Zschäpe am Dienstag noch gehabt, um das Ende des NSU-Prozesses hinauszuzögern - mit einem Befangenheitsantrag. Das Gericht hatte beschlossen, sie nicht erneut von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachten zu lassen, wie von ihren drei Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm gewünscht. Nach stundenlangen Beratungspausen winkte Zschäpe aber ab. Zwei Mal fragte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nach. Zschäpe blieb beim Nein, keine Richter-Ablehnung. Wenig später erklärte Götzl die Beweisaufnahme für beendet.

Nach 373 Verhandlungstagen ist damit die größte und schwierigste Etappe dieses Mammutprozesses abgeschlossen. Was jetzt noch folgt sind die Plädoyers, die letzten Worte der Angeklagten und die Urteile gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Terrorhelfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Als erste Prozesspartei wird die Bundesanwaltschaft plädieren, und zwar schon ab Mittwoch.

Bundesanwalt Herbert Diemer kündigte an, das Plädoyer der Anklage werde im Ganzen etwa 22 Stunden dauern. Umgerechnet auf das Pensum einzelner Verhandlungstage bedeutet das in etwa eine Dauer von zwei Prozesswochen. Kurz nach Beginn der Sommerferien in Bayern könnte die Bundesanwaltschaft fertig sein und hätte dann Strafmaße für die Angeklagten gefordert. Zschäpe droht lebenslange Haft, wenn das Gericht sie wie der Anklage entsprechend als Mittäterin verurteilt.

Urteil möglicherweise im Oktober

Ab September wären dann zuerst die Nebenkläger und zum Schluss die Angeklagten mit ihren Plädoyers an der Reihe. Wie lange das dauern wird, ist schwer abzuschätzen. Vielleicht könne das Urteil im Oktober verkündet werden, schätzen mehrere Prozessteilnehmer. Dann wären die zehn Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, darunter die rassistisch motivierte „Ceska-Serie“, die jahrelang für Schlagzeilen sorgte, jedenfalls teilweise juristisch gesühnt. Gegen weitere Beschuldigte ermittelt die Bundesanwaltschaft noch. Ob sie in einem zweiten NSU-Prozess angeklagt werden, ist offen.

Die Beweisaufnahme in dem XXL-Verfahren umfasste ein riesiges Pensum - auch wenn es längere und schwierigere Verfahren in der deutschen Justizgeschichte gibt. Der Prozess nach dem sogenannten Fememord an dem Studenten Ulrich Schmücker im damaligen West-Berlin zum Beispiel dauerte von 1976 bis 1991 und wurde nach 591 Verhandlungstagen eingestellt. Das Verfahren gegen das rechtsextreme „Aktionsbüro Mittelrhein“ in Koblenz hatte am 20. August 2012 begonnen und scheiterte nach fast fünf Jahren im vergangenen Frühjahr, weil der Vorsitzende Richter pensioniert wurde.

Das droht im NSU-Prozess nicht. Keiner der Richter geht in nächster Zeit in den Ruhestand, und trotz des immensen Umfangs verlor das Gericht selten den Überblick. Beeindruckend ist die Zahl der Zeugen, die in München auftraten: 815. Ebenso ungewöhnlich ist die Zahl der Sachverständigen, die fachliche Einschätzungen zu Waffen, Munition, psychischer Verfassung der Angeklagten oder - bisweilen bedrückend - den detaillierten Todesursachen der Mordopfer lieferten: 42.

Anklage gegen Zschäpe ist kompliziert

Gleichzeitig fochten die Prozessparteien mit teils harten Bandagen um formelle Fragen. Mindestens 33 Befangenheitsanträge zählte die Geschäftsstelle des Gerichts. Ganz präzise lässt sich diese Zahl nicht bestimmen. Manchmal lehnten Angeklagte nur einzelne Richter ab, manchmal den ganzen Senat. Manchmal stellte nur einer einen Antrag, manchmal schloss sich ein weiterer an. Sämtliche Befangenheitsanträge gegen Richter wurden abgelehnt. Nur einmal war ein Ablehnungsgesuch erfolgreich, allerdings nicht gegen einen Richter, sondern gegen Zschäpes Wunsch-Psychiater Joachim Bauer als Sachverständigen.

Und schließlich ist die Anklage gegen Zschäpe ungewöhnlich kompliziert. Dem offiziellen Vorwurf zufolge hat sie nie selbst geschossen. Weil sie den beiden Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei ihrem Untergrundleben unterstützte und überdies Mitglied der „terroristischen Vereinigung“ NSU gewesen sei, ist sie aber so angeklagt, als habe sie eben doch höchstpersönlich gemordet.