Willi Halder (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender der Enquete-Kommission im Landtag von Baden-Württemberg Foto: dpa

Wenn ihre Minister wollen, dürfen Baden-Württembergs Fahnder freiwillig zum Thema NSU mit einer Arbeitsgruppe des Landtags sprechen. Genau das wollen die Ministerialen aber nicht.

Stuttgart - Heute kommen sie wieder zusammen. Politikerinnen. Sachverständige. Die haben sich zum Ziel gesetzt, für Baden-Württemberg Lehren aus jener Mordserie zu ziehen, in der die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zehn Menschen erschossen haben sollen. 2007 auch die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn.

In anderen Bundesländern befassen sich mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Abgeordnete in Untersuchungsausschüssen mit dem Thema. Im Südwesten hat der Landtag auf Betreiben der grün-roten Landesregierung eine Arbeitsgruppe aller Fraktionen bilden lassen, in der sich Politiker und Sachverständige mit dem Thema beschäftigen. Das Gremium darf keine Zeugen vorladen, die auch dann noch die Wahrheit sagen müssen. Baden-Württembergs Abgeordnete dürfen dafür „Auskunftspersonen“ einladen. Ob die der Einladung folgen oder nicht, ist ausschließlich deren Entscheidung. Oder die ihrer Dienstherrn.

Deshalb fragte der Grüne Willi Halder, im August formlos beim Innenministerium nach, ob die von ihm geleitete Enquetekommission gerade die ihm Mordfall Kiesewetter ermittelnden Fahnder als „Sachverständige“ befragen dürfe. Die absehbare Antwort ließ fast vier Wochen auf sich warten. Bei den Beamten handele es sich nicht um „Sachverständige“, belehrten die Ministerialen den Politiker, der einst sein Geld als Buchhändler verdiente. Vielmehr seien die Ermittler „sachverständige Zeugen“. Ob Halders Arbeitsgruppe die aber befragen dürfe, könne das Ministerium nicht entscheiden. Denn für den Heilbronner Mordfall sei der Bundesgerichtshof zuständig. Die Ermittlungen führten Beamte des Bundeskriminalamts.

Und weil vor dem Münchener Oberlandesgericht das Verfahren gegen die offiziell einzige NSU-Überlebende Beate Zschäpe und vier ihrer Helfer verhandelt werde, müssten die dortigen Richter vor allem dies entscheiden: Ob die Stuttgarter Arbeitsgruppe überhaupt darüber informiert werden darf, was ansonsten vielleicht noch eine Rolle im Münchener Verfahren spielen könnte.

Das wollte Halder so nicht akzeptieren – und beauftragte die Verwaltung des Landtages, in einem Gutachten die ablehnende Haltung der Ministerien zu überprüfen. Am 1. Oktober waren die Juristen mit ihrer Arbeit fertig. Das Ergebnis: Zwar hat die Arbeitsgruppe kein Recht, mit bestimmten Ermittlern zu sprechen oder bestimmte Akten zu lesen. Freiwillig aber dürfen Ermittler mit den Abgeordneten und Sachverständigen des NSU-Gremiums sprechen. Und Akten ihrer Behörden dürfen die Ministerien ebenfalls freiwillig herausgeben.

Eigentlich ist das also ein Erfolg für die NSU-Arbeitsgruppe des Landtags: Die Fahnder dürfen reden, die Ministerialen ihre Akten herausgeben. Zumal die Landtagsjuristen in einer zweiten Fassung des Gutachtens sogar die Auffassung vertreten, dass solche Gespräche in öffentlicher Sitzung stattfinden können, falls der Datenschutz beachtet würde. Fraglich ist jetzt, warum Arbeitsgruppenchef Halder das Gutachten zurückhält. Bisher ist nicht einmal vorgesehen, das Thema im nichtöffentlichen Teil der heutigen Sitzung zu besprechen.

Kein Wunder, dass Fragezeichen in Sachen NSU und Baden-Württemberg bleiben. Zum Beispiel, warum es im Südwesten keine Akten zum Göppinger Neonazi Alexander Larrass zu geben scheint. Der brüstete sich, wie auch der NSU-Unterstützer Thomas Gerlach, eine Gruppe aufgestellt zu haben, die bereit sei, Bluttaten zu begehen: „Kameraden, die bereit sind, Blut fließen zu lassen.“ Dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags haben die Innenministerien von Bayern und Rheinland-Pfalz mittlerweile Dokumente zu Larrass zur Verfügung gestellt. Aus Baden-Württemberg kam dazu kein einziges Blatt Papier.