Er kann es noch nicht lassen: Der Schweizer Skispringer Simon Ammann Foto: AP

Er hat vier olympische Goldmedaillen gewonnen, seine besten Zeiten aber auch schon hinter sich. Dennoch ist Skispringer Simon Ammann immer noch motiviert. Wofür das bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld reicht?

Seefeld - Sven Hannawald (44) hat als Skispringer alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Er war 2002 der Erste, der die Vierschanzentournee mit vier Siegen gewann, später landete er ausgebrannt in der Klinik. Heute spricht er sehr reflektiert über seine Karriere. Zum Beispiel darüber, was ihn angetrieben hat. „Erfolg“, sagt er, „macht süchtig.“

Auch Simon Ammann (37) zählt zu den besten Skispringern der Geschichte. Er kennt Hannawald schon lange, sie waren jahrelang Konkurrenten auf der Schanze, und er würde den kurzen Satz, in dem die Worte Erfolg und Sucht vorkommen, vermutlich unterschreiben. Ammann springt immer noch. Nicht mehr um Titel. Aber um den Anschluss an die Weltspitze. Eine Position unter den besten zehn würde angesichts seines fortgeschrittenen Sportler-Alters zählen wie ein Sieg. Und wäre definitiv ein Erfolg. „Ich frage mich schon, ob ich noch in der Lage bin, richtig einen rauszuhauen“, sagt der Schweizer vor der WM in Seefeld. Die Antwort? „Es ist nicht unmöglich. Man darf den Extremfall nicht ausschließen.“

Nie den Optimismus verloren

Extremfall. Es ist ein Begriff, der ziemlich gut passt zur Karriere von Simon Ammann. Mit 16 Jahren feierte er 1997 seine Premiere bei der Vierschanzentournee, er wurde 2002 Doppel-Olympiasieger von der Normal- und der Großschanze in Salt Lake City, und er wiederholte dieses Wunder 2010 in Vancouver. Vier olympische Einzel-Medaillen in Gold hat kein anderer Skispringer in der Vitrine hängen, zudem wurde Ammann Weltmeister auf der Großschanze (2007 in Sapporo) und im Skifliegen (2010 in Planica). Diese Vita ist eindrucksvoll, sie zeigt aber auch, dass seine große Zeit vorbei zu sein scheint. Und trotzdem kennt Ammann, der auch schon einige schwere Stürze zu verkraften hatte, keine Motivationsprobleme. Meistens zumindest. „Natürlich gibt es hin und wieder Momente, in denen ich mich lieber aufs Sofa setzen würde“, sagt er, „doch das ist sehr selten, was mich selbst erstaunt. Ich habe nie meinen Optimismus verloren, das schätze ich an mir. Und ich stoße viel Neues an, auch das ist mein Antrieb.“

Ammann galt schon immer als begnadeter Tüftler, Techniker und Taktiker. Als einer, der sich seine Erfolge auch an der Werkbank erarbeitet. Bindung, Anzüge, Schuhe, Ski, das eigene Gewicht – „meine Karriere war von ständigen Veränderungen geprägt“. Manchmal ausgelöst durch das Reglement, oft aber durch ihn selbst. Der gebogene Stab an der Bindung, der einen anderen Anstellwinkel der Ski erlaubte, war die wohl spektakulärste Entwicklung von Ammann. Sie verhalf ihm zum Doppel-Gold in Vancouver und zeigte, wie schnell sich in diesem Sport alles ändern kann. Zuletzt experimentierte Ammann mit einem Schuh aus Carbon. „Im Skispringen gibt es unglaublich viele Variablen“, sagt er, „und jede einzelne kann ein ganzes System durcheinanderbringen.“ Oder es auf ungeahnte Weiten tragen.

Familienvater, Hotelbesitzer, Investor und Student

Es ist sein Händchen für die Technik, die Ammann Hoffnung gibt, noch einmal den Sprung unter die Besten zu schaffen. Und auch seine Erfahrung. Er weiß, wie wichtig es ist, bei sich selbst zu bleiben, seinem Stil allerdings nicht nur zu vertrauen, sondern ihn auch ständig anzupassen: „Das ist die große Kunst.“ Was einem natürlich leichter fällt, wenn man ähnliche Prozesse schon etliche Male erfolgreich hinter sich gebracht hat. Wie Simon Ammann.

Medien in seiner Heimat beschreiben den Schweizer als Luftikus im positiven Sinn, der sich stets ein bisschen im Chaos verlieren wollte und konnte. Weil er es wie kein anderer geschafft hat, das Chaos zu beherrschen. Und aus diesem Prozess Energie zu ziehen. Für den Sport, aber auch für sein restliches Leben. Der Superstar des Skispringens fuhr immer schon mehrgleisig, und er tut es auch in seiner 22. Weltcup-Saison.

Ammann hat eine Familie mit zwei kleinen Kindern, er ist Hotelbesitzer, hat in eine Liftanlage investiert, ist Teilhaber einer Sportmarketing-Agentur. Und seit neuestem auch noch Student. Seit Herbst bildet er sich an der Elite-Universität in St. Gallen in Betriebswirtschaftslehre weiter – weil er spürte, dass nach seinen fünften Olympischen Spielen in Südkorea in seinem Kopf wieder „Platz für Neues“ war. Bald könnte ihm noch mehr Raum zur Verfügung stehen.

Ein leiser Abgang?

Zwar ist im Japaner Noriaki Kasai (46) auf den Schanzen dieser Welt noch ein anderer Flugsaurier unterwegs, doch auch Ammann springt gegen Konkurrenten, die beinahe seine Söhne sein könnten. Körperlich fühlt sich der Schweizer sehr gut, er selbst nennt das „ermutigend“ für die WM in Seefeld, auf die er sich vor Ort hart vorbereitet hat. Und die dennoch seine letzte sein könnte – auch wenn Ammann offen lässt, wann er seine einzigartige Karriere beenden wird. „Es gibt kein Szenario“, sagt er, „ich bin ganz leise in meinen Sport gekommen. Es könnte sein, dass ich ihn auch ganz leise verlasse.“ Auch das wäre extrem. Extrem sympathisch.

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