Therese Johaug gewinnt in Seefeld ganz überlegen den Skiathlon – und will mehr. Foto: Getty

Norwegens Langlauf-Star Therese Johaug kann in Seefeld vier Weltmeistertitel gewinnen. Die erste Goldmedaille hat sie bereits. Mit dem ersten Sieg flammt auch wieder die Diskussion auf. Denn die 30-Jährige war 18 Monate wegen Dopings gesperrt.

Seefeld - Die WM ist noch nicht mal eine Woche alt, doch wer am Ende den Titel der Langlauf-Königin gewinnen wird, steht jetzt schon fest: Therese Johaug, wer sonst? Die Norwegerin, die in ihrer Freizeit gerne modelt, macht die Loipen zu ihrem Laufsteg, auch im gleißenden Sonnenlicht von Seefeld. Allerdings ist sie eine Siegerin mit Makel, ihre Erfolge haben einen Schönheitsfehler. Denn die Langlauf-Herrscherin kommt zurück aus dem Exil. Aus dem Doping-Exil.

Eine Lippencreme und ihre Folgen

18 Monate ist Therese Johaug (30) gesperrt gewesen, weil sie mit dem anabolen Steroid Clostebol erwischt worden war. Angeblich stammte es aus einer Lippencreme, die sie sich im September 2016 im Trainingslager in Italien wegen eines Sonnenbrandes aufgetragen hatte – nach Absprache mit dem norwegischen Teamarzt, ohne dass einem der beiden der Doping-Warnhinweis auf der Packung aufgefallen wäre. Man kann die Geschichte glauben, muss es aber nicht. Beat Villiger, langjähriger Arzt des Schweizer Olympia-Teams, schrieb einen offenen Brief an Johaug, in dem er ihre Version, alles sei doch ganz harmlos gewesen, heftig anzweifelte. Weil anabol-haltige Salben und Gels unter Dopern weit verbreitet sind, da Mini-Dosen nur schwer nachweisbar seien. Weil Clostebol in der Bodybuilder-Szene eingesetzt werde, um das Muskelwachstum zu fördern. Und weil Anabolika die Regeneration unterstützen und somit ein deutlich höheres Trainingspensum erlauben. Der Brief von Villiger endete mit dem Satz: „Zurück bleibt ein großer Imageschaden für den Langlaufsport!“

Und das eine oder andere Fragezeichen.

Johaugs Stärke schürt Argwohn

Denn Johaug kehrte nach ihrer Sperre noch stärker zurück. Vor der WM lief sie acht Distanzrennen, feierte acht Siege. Die erste Goldmedaille in Seefeld im Skiathlon (7,5 km klassisch plus 7,5 km im freien Stil) gewann sie derart überlegen, dass viele Beobachter ein ungutes Gefühl überkam. „Der Abstand zwischen ihr und dem Rest ist so gigantisch groß, dass man das schon kritisch betrachten muss“, meint zum Beispiel der deutsche Bundestrainer Peter Schlickenrieder, „die anderen sind schließlich auch keine Pappnasen.“

Und noch etwas sieht der frühere Top-Läufer mit Argwohn: die Art und Weise, wie Johaug ihren Sport betreibt. Die Norwegerin (Spitzname „Duracell“) ist 1,62 Meter groß und wiegt nur 46 Kilogramm. „Sie ist eine extrem harte Arbeiterin mit einer extremen Willenskraft“, sagt Schlickenrieder, „aber beim Gewicht überschreitet sie zuweilen eine Grenze, das könnte ihr schaden. Ich finde, dass der Erfolg nicht alle Mittel heiligt.“ Es ist eine Aussage, die Johaug nicht jucken wird. Sie ist überzeugt von ihrem Weg, und verspürt auch keine Lust, sich mit ihren Kritikern auseinanderzusetzen. „Ich will und muss mich nur auf das konzentrieren, was ich mache“, sagt sie. Ihre Dopingsperre? „Ist Vergangenheit.“ Ihr Verhältnis zu Gian Franco Kasper, dem Präsidenten des Ski-Weltverbandes (Fis), der sie gerne länger als 18 Monate gesperrt hätte? „Kein Kommentar.“ Johaug zieht ihr Ding durch.

1000 Trainingsstunden pro Saison

Was die zahlreichen norwegischen Fans in Seefeld von ihrem Idol erwarten, ist klar: vier WM-Titel. Dem Gold im Skiathlon sollen Siege im klassischen 10-Kilometer-Rennen an diesem Dienstag (15 Uhr), in der Staffel am Donnerstag (13 Uhr) und im 30-Kilometer-Massenstart am Samstag (12.15 Uhr) folgen. Auch Johaug hat den Anspruch, alles zu gewinnen, obwohl sie das offiziell nie sagen würden. „Ich bin nervös, denn ich war lange nicht mehr auf einer solchen Bühne“, sagte sie vor der WM – und gab sich als Tiefstaplerin: „Irgendwann werde auch ich mal verlieren. Vielleicht ja in Seefeld.“

Ernsthaft glaubt daran allerdings niemand. Auch nicht Jochen Behle. Der frühere Bundestrainer sieht weit und breit keine Konkurrenz für die Olympiasiegerin und achtmalige Weltmeisterin („Johaug läuft in ihrer eigenen Liga“), die Leistungen der Norwegerin hält er trotzdem für glaubwürdig. „Ihre Lust, sich im Training zu quälen, ist außergewöhnlich“, sagt Behle, „sie trainiert 1000 Stunden pro Saison. Ich glaube nicht, dass es eine zweite Langläuferin mit diesem Pensum gibt. Johaug kommt im Rennen über die Frequenz, und das kann sie, weil ihr Motor extrem gut läuft.“

Lesen Sie hier, wie Jochen Behle über Doping in seiner Sportart denkt.

Den Dopingbefund von 2016 stuft Behle unter der Kategorie „Dummheit“ ein, mit unerlaubter Leistungssteigerung habe der Fall nichts zu tun gehabt. Kasper sieht das anders. Nur weil die Fis eingriff und vor den Sportgerichtshof Cas zog, wurde Johaug nicht – wie es das Urteil des norwegischen Verbandes vorsah – lediglich für 13 Monate gesperrt. Freunde werden Kasper und Johaug in diesem Leben nicht mehr, der Fis-Boss will deshalb auch die Siegerehrungen im Skilanglauf der Frauen schwänzen. „Johaug hat ihre Strafe abgesessen, mehr können wir nicht machen“, sagte der Schweizer im Vorfeld der WM, „doch wenn sie auf dem Podium steht, werde ich vermutlich etwas anderes zu tun haben.“ Es gibt auch Königinnen, denen nicht jeder huldigt.