Johannes Rydzek quält sich für ein neues Ziel: Die Heim-WM in Oberstdorf. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Der ehemalige Überflieger Johannes Rydzek arbeitet nach einer verpatzten Saison und vor der Nordischen Ski-WM 2021 in Oberstdorf an seiner Rückkehr in die Weltspitze.

Oberstdorf. - Johannes Rydzek ist nicht nur einer der erfolgreichsten Athleten in der Geschichte der Nordischen Kombination. Der zweimalige Olympiasieger und sechsfache Weltmeister ist zugleich ein Kopfmensch. Ein Grübler. Einer, der keinen Satz sagt, ohne über dessen Wirkung nachzudenken. Und einer, der seinen Intellekt auch fordert. Sieben Jahre lang hat Rydzek neben dem Leistungssport studiert, Wirtschaftsingenieurwesen in Kempten. Für seine 73 Seiten lange Bachelorarbeit erhielt er jetzt die Note 1,7, darauf ist er zurecht stolz. Allerdings war das Thema auch perfekt gewählt: es ging um die Nordische Ski-WM 2021 – und mit der beschäftigt sich Rydzek (28) schon seit einigen Jahren.

Als Student hat er ein Nachhaltigkeitskonzept für das neue Langlaufstadion in Oberstdorf erstellt. Als Sportler will er dort im Februar einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Im athletischen Bereich liegt allerdings noch viel Arbeit vor ihm. Denn Rydzek hat ein paar Semester hinter sich, in denen er zwar einiges gelernt hat, in vielen sportlichen Prüfungen aber durchgefallen ist. „Ich weiß, was ich zu leisten imstande bin“, sagt der Oberstdorfer, „doch obwohl ich alles versucht und gemacht habe, um dort wieder hinzukommen, hat es nicht gereicht – das war extrem frustrierend.“

2017 gewann er alle vier WM-Titel

Es gab Momente, da war Rydzek nahe dran an der Perfektion. 2017 gewann er in Lahti alle vier WM-Titel, als erster Kombinierer überhaupt. Und ein Jahr später folgte in Pyeongchang doppeltes Olympia-Gold. Er selbst mahnte immer, dass diese Erfolge keine Selbstverständlichkeit seien. Und trotzdem war auch er überrascht, als es plötzlich nicht mehr lief. Im Winter 2018/19 war er noch der beste Deutsche im Weltcup, bei der WM in Seefeld aber nicht in bester Form. Danach erlebte er eine Saison zum Vergessen. „Mein Gefühl hat mich im Stich gelassen, ich bin nicht konkurrenzfähig gewesen“, sagt Rydzek, „natürlich kamen da Zweifel auf, ob ich es zurück in die Weltspitze schaffen kann.“ Nun sieht er sich auf dem Sprung zu alter Stärke.

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Das hat auch mit Heinz Kuttin zu tun. Der Österreicher war früher ein erfolgreicher Spezialspringer, seit dem Sommer arbeitet er als Trainer mit den deutschen Kombinierern auf der Schanze. Genau dort also, wo Rydzek zuletzt den Besten hinterherflog. „Die Norweger springen mit sehr guter Aerodynamik und viel Dynamik“, sagt er, „unser Sport hat sich weiterentwickelt. Mir ist das nicht ganz so gut gelungen.“ Bisher. Doch nun spürt Rydzek, dass es auf der Schanze aufwärts geht.

Auf der Schanze geht es aufwärts

Die Anfahrtshocke passt wieder, er kann beim Absprung seine Kraft besser entfalten, die Balance stimmt. Zuletzt segelte er mit viel Anlauf und Aufwind auf der kleinen Anlage in Oberstdorf sogar über den Schanzenrekord hinaus. Rydzek konnte den Sprung zwar nicht stehen und fiel schmerzhaft auf die Seite, zugleich aber gab der Versuch Sicherheit. „Ich habe als Athlet immer von meinem Selbstbewusstsein gelebt“, sagt er, „das muss ich mir wieder erarbeiten.“ Auch wenn’s manchmal weh tut.

Allerdings weiß Johannes Rydzek, wofür er kämpft. Die Heim-WM war immer sein großes Ziel. Schließlich ist es ein Ereignis, das man als Athlet höchstens einmal erlebt. Der Lokalmatador weiß aber auch: Er kann es sich nicht mehr leisten, wie zuletzt nach dem Springen mit eineinhalb oder gar zwei Minuten Rückstand auf die Besten in die Loipe zu gehen. Weil er dann in Oberstdorf leer ausgehen wird. Oder er gar nicht erst dabei ist.

Titelkämpfe im Wohnzimmer

Im vergangenen Winter waren vier deutsche Kombinierer besser als der Ex-Weltmeister. Und es gibt für jede Nation pro Medaillenentscheidung höchstens vier Startplätze. „Diese Titelkämpfe finden in meinem Wohnzimmer statt, das ist ein enormes Privileg“, sagt Rydzek. Und doch denkt der Kopfmensch auch darüber nach, wie es wäre, bei der WM vor der Haustüre außen vor zu sein: „Natürlich befasse ich mich damit, ich verschließe ja nicht die Augen vor der Realität. Trotzdem bin ich überzeugt, dass dies nicht passieren wird.“

Johannes Rydzek ist einer der Botschafter der Nordischen Ski-WM 2021. Er erledigt diesen Job rational, trägt kluge Gedanken bei, spricht überlegt über die Perspektiven einer solchen Großveranstaltung – so wie es seinem Naturell entspricht. Und zugleich freut er sich auf eine WM der Emotionen. Für die Zuschauer, egal wie viele die Corona-Bestimmungen am Ende zulassen werden. Aber natürlich auch für sich selbst. „Mein Sport“, sagt er, „macht mir wieder richtig Spaß.“ Hört sich nach einer erfolgversprechenden Kombination an.