Die Mountainbiker haben keinen Blick für die Landschaft: Auf der Strecke des Red Bull Fox Hunt in Rostrevor sind höchste Konzentration und Köperbeherrschung nötig. Foto: Kemmner

Nordirland erlebt einen wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung. Dabei setzt die britische Provinz ganz besonders auf die Mountainbike-Szene und investiert rund 40 Millionen Euro in den Ausbau der Radwege.

„Wenn du nicht aus der Kurve fliegst, dann warst du zu langsam“, so lautet ein geflügeltes Wort unter irischen Mountainbikern. Ian war nicht zu langsam, ganz sicher nicht. Ian liegt ziemlich zerzaust im Gebüsch, sein Bike wie achtlos weggeworfener Müll ein paar Meter entfernt auf dem schmalen Weg. Ian verzieht das Gesicht zu einer Fratze und fletscht die Zähne; das Aufstehen schmerzt, und die Schürfwunden an Unterarm und Unterschenkel zeigen, dass sein Abflug heftig gewesen ist. „Ich habe mit dem Lenkerende den Baumstamm touchiert, dann hat es mir das Vorderrad quer gestellt, und ich bin geflogen wie Peter Pan“, erzählt der 36-Jährige, und danach lacht er herzhaft, als habe er gerade den besten Witz aller Zeiten vernommen.

Nordirland steckt viel Geld in die Mountainbike-Infrastruktur

Die Burschen von der irischen Insel können viel einstecken und verlieren eigentlich niemals ihren makabren Humor. Ian war nicht der erste Mountainbiker, der auf dieser Strecke unfreiwillig vom Rad gestiegen ist, und er war garantiert auch nicht der letzte, der ein paar Schrammen made in Northern Ireland mitbekommen hat. „Wir investieren sehr stark in Mountainbike“, sagt Aileen O’Neill von Tourism Northern Ireland, „der Markt um diesen Freizeitsport boomt seit Jahren, und wir sind überzeugt, dass wir damit viele Menschen ansprechen.“ Das Programm hat 2002 begonnen, es wurden seitdem an den fünf Standorten Blessingbourne, Davagh, Castlewellan, Rostrevor und Barnett Demesne knapp sechs Millionen Euro in den Bau von Trails und Jump-Parks investiert. Im vergangenen Jahr ist bereits die zweite Phase des Tourismus-Programmes angelaufen, in dem bis zum Jahr 2024 weitere 34 Millionen Euro in eine Mountainbike-Infrastruktur gesteckt werden.

Und weil eine erfolgreiche Strategie nicht bloß eine Stoßrichtung besitzt, bewerben sich die Nordiren fleißig darum, renommierte MTB-Wettbewerbe in die britische Provinz zu holen. So finden Sportler und ihr Gefolge ins Land, die TV-Spartensender und Insider-Magazine berichten über die spektakulären Events wie Speed-EM und den Red Bull Fox Hunt, bei dem sich nach 2013 im vergangenen Oktober bereits zum zweiten Mal mehr als 400 mutige Biker die steilen Schotterhänge von Rostrevor herunterstürzten. „23 internationale Wettbewerbe wurden bislang ausgerichtet, zudem zahlreiche andere Events“, betont Aileen O’Neill. „Insgesamt haben in den vergangenen 13 Jahren mehr als 15 000 Menschen daran teilgenommen.“

Anfänger, die die technisch sehr anspruchsvolle Strecke des Red Bull Fox Hunts bezwingen müssten, würden sich entweder in die Hose machen und aufgeben oder sich den Hals brechen, das meint zumindest Niall. Er ist beileibe kein Neuling, er ist 42, und Angst scheint der Bursche nicht zu kennen. Die Hügel und Sprünge, der grobe Schotter mit seinen scharfen Kanten, die schmalen Trails, bei denen es links steil hinauf und rechts in die gähnende Tiefe hinab geht, das alles ringt aber auch Derek allerhöchste Konzentration ab. Jacob ist für seine technischen Fähigkeiten jedoch etwas zu optimistisch in die überhöhte Kurve geprescht, er bremst, das Vorderrad rutscht auf dem mit flachen Schiefersteinen übersäten Boden weg, der Kerl steigt wenig ästhetisch über den Lenker ab und landet zweifellos recht unsanft. Als sich Niall schließlich vergewissert hat, dass Jacob außer einigen blutenden Schrammen am Arm keine Schäden davongetragen hat, will er den schadenfrohen Iren in sich nicht verleugnen: „Ich benutze immer meine Bremsen, um anzuhalten - aber wenn du meinst, mit den Armen geht es besser ...“

Anfänger und Profis finden in Nordirland passende Trails

Der Gegenentwurf zum anspruchsvollen Angebot in Rostrevor befindet sich in Blessingbourne - dort sind die Trails eher flach und breit, der Untergrund recht fest; der ideale Parcours für Anfänger und Familien. Grün bis Rot sind die Farben der Trail-Markierungen - Grün für MTB-Grünschnäbel, Blau für Fahrer mit Basiskenntnissen, Rot für geübte Fahrer, Schwarz für technisch und konditionell starke Biker, die Gelb markierten Strecken sind den Profis vorbehalten. So gerät keiner auf die falsche, weil zu schiefe Bahn, zudem gibt’s an jedem der fünf Standorte handliche Karten, auf denen alle Strecken eingezeichnet sind. „Wir sind froh über das Mountainbike-Programm“, sagt Colleen Lowry, die mit ihrem Gatten Nick das Anwesen in Blessingbourne betreibt, „es beschert uns Besucher, die sonst nicht aufs Land kämen.“ Wären nicht die modernen Bikes auf den Kieswegen, man könnte sich lässig 100 Jahre zurückversetzt fühlen - das Herrenhaus der Familie, erbaut im 17. Jahrhundert, strahlt, umrahmt von gepflegtem Rasen und akkurat geschnittenen Buchsbäumen, noch immer das vergangene British Empire aus.

Für MTB-Profis mag es die Erfüllung sein, täglich Steigungen zu besiegen, sich bei Abfahrten im Wald an eng stehenden Bäumen vorbei zu manövrieren, durch Steilkurven zu rasen und über Kuppen zu springen. Wer eine Pause zu schätzen weiß, weil der Körper Entspannung benötigt und der Geist Erfrischung, der findet Ablenkung in Belfast. Die Provinzhauptstadt erlebt seit Ende des Bürgerkriegs einen wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung - um die City Hall und die Royal Avenue gibt es allerhand zu entdecken, etwa den ältesten Pub Nordirlands, den Crown Liquor Saloon von 1826, den sanierten Hafen mit dem „Titanic“-Museum, das dort steht, wo der Ozeanriese erbaut worden ist. Es werden Fahrrad-Touren angeboten, mit denen man an Orte gelangt, die für Auto und Bus tabu sind. Die Besichtigungstour ist ein Kontrapunkt zu den wilden Ritten über Stock und Stein. Bike-Führer Rhys warnt vor jedem Start: „Fahrt vorsichtig, damit keiner stürzt und sich verletzt.“ Das sollte er mal Ian sagen.

Infos zu Belfast und Dublin

Belfast und Dublin

Anreise

Von Stuttgart bietet Aer Lingus, www.aerlingus.com , Direktflüge nach Dublin (ab 210 Euro).
Nach Belfast gibt es von Stuttgart keine Direktverbindung, aber KLM, www.klm.com , British Airways, www.britishairways.com , oder Air Berlin, www.airberlin.com , bieten Verbindungen mit einem Zwischenstopp an. Von Dublin aus kommt man problemlos mit dem Zug nach Belfast, die Fahrzeit beträgt 90 Minuten, die einfache Fahrt kostet etwa 25 Euro.

Unterkunft

In Dublin liegt das Blooms Hotel direkt im Pub-Viertel Temple Bar, die Einkaufsmeile O’Connell Street ist gut erreichbar. Zimmer ab 90 Euro, www.blooms.ie .
In Belfast liegt das Clayton Hotel (22 Ormeau Avenue) unweit des Zentrums, Zimmer kosten von 90 Euro an aufwärts, www.claytonhotelbelfast.com

Allgemeine Infos

In der Republik Irland wird mit dem Euro bezahlt, in Nordirland (als Teil Großbritanniens) mit dem Pfund.

Sightseeing mit dem Fahrrad

Lohnend sind Stadtbesichtigungen per Rad am Beginn des Aufenthaltes. In Dublin geleitet Brian die Radler durch die Hauptstadt, es geht zu Sehenswürdigkeiten und zu Geheimtipps. Brian zeichnet die wichtigsten Punkte gerne in eine Stadtkarte ein. Kosten pro Person für die etwa dreistündige Tour, inklusive einer Erfrischungspause in einem Pub: 20 Euro, www.dublincitybiketours.com
In Belfast führt die Route über elf Kilometer, die Tour dauert ebenfalls etwa drei Stunden und kostet etwa 23 Euro, www.belfastcitybiketours.com