Der Streit um die neue Pipeline belastet das Verhältnis von Merkel und Trump. Foto: AP

Angesichts politischer Signale, dass die USA Anfang kommender Woche Strafmaßnahmen gegen das Pipelineprojekt Nord Stream 2 verhängen könnten, richtet die Bundesregierung scharfe Warnungen an Washington.

Berlin - Sie ist so lang wie umstritten: Über 1224 Kilometer führt die Pipeline Nord Stream von St. Petersburg unter der Ostsee hindurch nach Deutschland. Seit der endgültigen Fertigstellung fließen jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas bis nach Lubmin bei Greifswald. Dort haben im Mai die Bauarbeiten für eine parallel verlaufende zweite Pipeline begonnen, die das Transportvolumen verdoppeln soll – Nord Stream 2. Die Betreibergesellschaft gehört zum Gazprom-Konzern, an dem der russische Staat 50 Prozent der Anteile sowie eine weitere Aktie hält. Kremlchef Wladimir Putin hat also das Sagen – was seit jeher Kritik hervorruft.

Diese wurde von der Bundesregierung lange damit abgetan, dass es sich um ein rein wirtschaftliches Vorhaben handele. Erst im April räumte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein, dass „natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind“. Da sind zum einen Polen und die Ukraine, die als bisherige Gastransitländer von Nord Stream umgangen werden und Durchleitungsgebühren verlieren. Noch mehr befürchten beide Staaten die politische Erpressbarkeit durch Moskau – Putin könnte ihnen das Gas abdrehen, ohne auf das Geschäft in Deutschland verzichten zu müssen. Zumindest die ukrainischen Bedenken, die Merkel bei ihrem Besuch am Donnerstag in Kiew erneut zu hören bekam, sind dabei ausgeräumt zu werden. Die Kanzlerin hat Putin abgerungen, dass derzeit über garantierte Transitmengen verhandelt wird.

Trump sieht Deutschland von Russland „kontrolliert“

Inzwischen aber dominieren sicherheitspolitische Bedenken die internationale Diskussion. Polens Außenminister Jacek Czaputowicz warnte kürzlich, die Gasleitung selbst biete „Russland bereits den Vorwand, in der gesamten Ostsee zu patrouillieren“. Zusätzlich könne die Pipeline zur Datenübertragung genutzt werde, sie habe mithin „eine militärische Dimension“. Diese Sichtweise ist auch in Washington verbreitet – und wird von Donald Trump so offen wie nie zuvor vorgetragen. „Deutschland wird vollkommen durch Russland kontrolliert“, sagte der US-Präsident Anfang Juli beim Nato-Gipfel zu den Energieimporten: „Sie zahlen Milliarden Dollar an Russland, und dann müssen wir sie gegen Russland verteidigen.“

Die Bundesregierung argumentiert mit steigendem Gasbedarf – Versorgungssicherheit soll auch garantiert sein, wenn aus der Atomkraft und eines Tages auch aus der Kohle ausgestiegen wird, um die Klimaziele zu erreichen. Dabei gebe es keine Abhängigkeit von Russland, betonte Kanzlerin Merkel zuletzt: „Wir beziehen Erdgas aus Russland, wir beziehen Erdgas aus Großbritannien, Norwegen und auch den Niederlanden.“ So sieht das auch der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer. Er hält Erpressungsversuche gar nicht mehr für möglich, weil es dafür zu viel Gas und zu viel Lieferalternativen gebe. Etwa über die Türkei, über die inzwischen mehr als 30 Flüssiggasterminals, aber auch durch neue Verbindungspipelines, über die das Gas notfalls auch über Umwege leichter ans Ziel findet als noch vor wenigen Jahren.

Wintershall und Uniper würden von US-Sanktionen betroffen

Kurzzeitig herrschte in Berlin Entwarnung, weil Trump im September zwar erneut den Stopp des Projekts forderte, zugleich aber ankündigte, keine Sanktionen gegen beteiligte Firmen verhängen zu wollen. Von deutscher Seite wären betroffen die BASF-Tochter Wintershall mit Sitz in Kassel, die der größte Erdöl- und Erdgasproduzent der Republik ist, sowie Uniper, eine Abspaltung des Eon-Konzerns. Wie die anderen europäischen Energiekonzerne Shell, OMV und Engie finanzieren sie Nord Stream 2 mit jeweils knapp einer Milliarde Euro. Strafmaßnahmen würden beinhalten, dass sie keine Geschäfte mehr in den USA betreiben könnten. Sicherheitshalber hat Gazprom bereits angekündigt, den Bau von Nord Stream 2 notfalls alleine zu stemmen.

Das Argument einer Abhängigkeit von Moskau lässt ein Sprecher von Wintershall- nicht gelten: „Die europäisch-russische Energiepartnerschaft basiert auf gegenseitigem Vertrauen“, die „selbst in frostigen Zeiten“ des Kalten Krieges funktioniert habe. Russland sei wie Norwegen für Europas Energieversorgung gesetzt: „Das ist Geologie.“ Darüber hinaus sei der Gasmarkt sehr flexibel geworden: „Von einer Monopolstellung Russlands kann keine Rede sein.“

Die vorübergehende Gewissheit, dass dem Unternehmen kein Ungemach droht, hat sich nach Informationen unserer Zeitung wieder verflüchtigt. So wird es in der Bundesregierung nach mehreren Gesprächskontakten zwischen dem Kanzleramt und dem Weißen Haus durchaus für möglich gehalten, dass am 5. November – wenn die US-Sanktionen gegen verschiedende Länder aktualisiert werden – auch Nord Stream 2 auf der Liste landen könnte. Dem US-Kongress liegen mehrere Sanktionsentwürfe vor.

Berlin richtet scharfe Warnung an Washington

Wie real die Gefahr eingeschätzt wird, verdeutlicht die Warnung eines Sprechers des Wirtschaftsministeriums in Richtung Washington: „Eine solche willkürliche Einzelsanktion gegen die Interessen eines der wichtigsten Verbündeten der USA wäre geeignet, das transatlantische Verhältnis schwer zu belasten.“ Der im Auswärtigen Amt für die USA-Beziehungen zuständige Peter Beyer (CDU) äußert sich ähnlich: „Wenn andere Länder anderer Auffassung darüber sein sollten, wie Deutschland seinen Energiebedarf optimal decken kann, können sie uns dies mitteilen und hierfür Argumente vorbringen – mit wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen überzeugt man seine Freunde nicht von seinen Auffassungen.“ Sein Parteifreund Pfeiffer wird noch deutlicher: „US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 sind wahrscheinlicher denn je zuvor und hängen wie ein Damoklesschwert über unseren europäischen Unternehmen; sie wären eine sachlich durch nichts begründete Eskalation und ein unfreundlicher Akt gegen die Bundesrepublik und andere beteiligte EU-Staaten.“

Um die US-Seite von Sanktionen abzubringen, hat Merkels Regierung in einer Last-Minute-Aktion signalisiert, ein deutsches Flüssiggasterminal für amerikanische Importe in Stade, Brunsbüttel, Wilhelmshaven oder Rostock möglicherweise staatlich zu fördern. „Die Bundesregierung“, so Merkels Sprecher Steffen Seibert vorige Woche, „prüft, welche Finanzierungsoptionen im Rahmen bestehender Bundesprogramme gegeben sein können.“ Der CDU-Energieexperte Pfeiffer hält die Förderung eigentlich für „unnötig“, weil es bereits genug mit dem deutschen Leitungssystem verbundene Anlandestationen in Europa gibt, die wegen des höheren Preises für Flüssiggas auch nur zu rund 20 Prozent ausgelastet sind, „aber sie ist ein politisches Symbol der Bundesregierung, um die Amerikaner milde zu stimmen“. Ob das doch noch gelungen ist, werden die nächsten Tage zeigen.