Das Niedrigwasser legt die großen Frachter auf dem Rhein lahm. Doch die Hochwasserzentrale sendet erste Signale der Hoffnung an die Schiffer. Foto: Stefan Jehle

Seit Wochen liegen Frachtschiffe auf dem Rhein fest. Das kostet Zeit, Geld und die Nerven der Kapitäne, die an Bord Wache halten müssen. Wann entspannt sich die Lage?

Karlsruhe - Ewald Hellwigs Blick schweift wehmütig über das lang gezogene Vorderdeck. Bequem sitzt er in seinem ledernen Kapitänsstuhl. Die Morgensonne malt bunte Farben ans Ufer des Ölhafens in Karlsruhe. Doch das stimmt das Kapitänspaar Hellwig – der bald 64-jährige Rheinschiffer ist stets mit seiner Frau Tanja unterwegs – nicht froh. Das hat mit dem anhaltend niedrigen Wasserstand zu tun, der die Binnenschifffahrt lähmt.

Seit mehr als sechs Wochen liegt die gut hundert Meter lange Gilla fest. Das Frachtschiff ist für Edgar und Tanja Hellwig ein zweites Zuhause. Sie sind fast autark, haben Heizung, Strom und Internet an Bord. Dazu drei stattliche Hunde. „Wir sind das sicherste Schiff im Hafen“, sagt Hellwig und lacht.

Sechs Wochen Liegezeit sind zermürbend

Aber der Frachter, der eine Zuladung von bis zu 2164 Tonnen Mineralöle aufnehmen könnte, gilt als Gefahrguttransport. Auch im leeren Zustand besteht das Risiko der Gasausbreitung. Deshalb muss einer der beiden Kapitäne stets an Bord bleiben. Das zermürbt. Wenn Ewald Hellwig aus der Führerkabine blickt, hat er einen angerosteten braunen Steg vor Augen. „Ein bis zwei Tage liegen zu müssen“, sagt er, „ist ja okay. Aber sechs Wochen lang diese braune Mauer anschauen? Neee.“ Seine Frau und er hätten schon überlegt, Farbe zu kaufen und die Mauer anzumalen, sagt er und lacht dann doch.

Wie den Hellwigs geht es einigen Rheinschiffern bei Karlsruhe. An der Anlegestelle im Ölhafen liegen an diesem Tag sechs Schiffe. Vier davon können nicht ausfahren. Und vor allem keine Fracht zuladen, solange „das Kleine Wasser“, wie es Hellwig im Schifffahrtsdeutsch nennt, anhält und der Pegelstand bei Maxau unter 3,40 Meter bleibt. Die Gilla hat ohne Ladung einen Tiefgang von 1,40 Meter.

Seit Juli herrscht am Ölhafen Niedrigwasser

Seit dem 15. Lebensjahr sei er in der Schifffahrt, seit 1982 mit einem eigenen Tankschiff, erzählt Ewald Hellwig. Doch „solch einen Extremzustand“ habe er noch nie erlebt, sagt der Mann, der in Weeze bei Kalkar am Niederrhein zu Hause ist. Auch Bernd Ertel kann sich an eine derartige Lage nicht erinnern. Er ist der Hafenmeister am Ölhafen, dem mit rund 4,2 Millionen Tonnen Warenumschlag gewichtigeren Teil der beiden Karlsruher Häfen. „Eigentlich haben wir schon seit Juli Niedrigwasser“, stellt Ertel fest. Am Ölhafen können sieben Schiffe gleichzeitig beladen werden. An diesem Tag sind es gerade zwei, die andocken. Die Schiffe, die aufgrund ihrer Bauart noch fahren können, würden mit maximal einem Drittel der sonst üblichen Befüllung beladen.

Aber viele können eben nicht fahren. Zwar sei der Hafen selbst tief genug, das nütze aber nicht viel, „wenn die Schiffe nicht mehr herkommen können“, erklärt Ertel. In den vergangenen Jahren habe man geglaubt, 135 Meter lange Schiffe seien die ökonomischere Variante. Aber angesichts des Kleinen Wassers denke mancher wieder darüber nach, ob kleinere Frachter nicht doch günstiger wären.

Die Fahrt auf dem Rhein ist mautfrei

Für die Rheinhäfen bedeuten verminderte Umschlagszahlen Einbußen. 17 Cent müssen Frachtschiffe je Tonne verladenem Kies oder Sand bezahlen, 33 Cent bei Kohle, 52 Cent bei Schrott und Wertstoffabfällen. Am lukrativsten sind Benzin, Dieselöl oder Gas. 58 Cent je Tonne berechnen die Rheinhäfen dafür der Raffinerie oder den Reedern. Auch leere Schiffe wie die Gilla müssten normalerweise für den Liegeplatz zahlen – doch da greifen derzeit Kulanzregeln. „Die Mengen haben sich halbiert“, sagt Ertel und zuckt mit den Schultern.

Allerdings wird weder die Zahl der Schiffe noch die Menge der Ladung exakt erfasst. Die Fahrt auf dem Rhein ist mautfrei, auch für die Nutzung von Schleusen fallen keine Gebühren an. Festgehalten wird die Zahl der Schiffe und der Mengen aber beispielsweise an der Neckarschleuse Feudenheim bei Mannheim. „Auf dem Neckar fuhren mehr Güterschiffe, die aber in der Summe weniger Ladung transportiert hatten“, erläutert Johanna Reck vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Heidelberg. Von August bis Oktober 2018 hätten 1657 Frachtschiffe die Schleuse passiert, knapp 600 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Aber es seien nur 901 774 Tonnen transportiert worden – gegenüber 1,414 Millionen Tonnen im Vorjahr.

Die Lage könnte sich entspannen

Das zeigt sich auch am Karlsruher Rheinhafen, etwa sechs Kilometer südlich des Ölhafens gelegen: Das Becken 2 ist wie leer gefegt. Am Donnerstag hätten gerade mal drei Schiffe angelegt, zwei Öltanker und ein Getreideschiff, sagt der Hafenmeister Udo Kutterer. Am Tag davor waren es ein Schrottfrachter, ein Schiff „zur Übernachtung“ und ein Kohlefrachter, der 424 Tonnen geladen habe – statt 3000.

Normal legten in den fünf Becken des Rheinhafens „etwa 100 Schiffe pro Woche, und mindestens zehn am Tag“ an, sagt Kutterer. Auch er kann sich an „ein solches Extrem“ nicht erinnern. Am Wochenende erst musste eine Passagierfahrt der MS Karlsruhe ins knapp 50 Kilometer entfernte Speyer abgesagt werden. Mit sechs statt vier Stunden Fahrt wäre bei dem aktuellen Niedrigwasser zu rechnen gewesen.

Laut der Hochwasservorhersagezentrale Baden-Württemberg könnte sich die Lage diese Woche entspannen: Am Montag könnten am Pegel Maxau 3,5 Meter überschritten werden. Die weitere Entwicklung hängt davon ab, ob es weitere Regenfälle gibt. Auch ein mäßiger Anstieg hilft den Schiffern, denn je zehn Zentimeter mehr Tiefe kann ein 110 Meter langes Schiff rund 100 Tonnen mehr Ladung transportieren.

Auf diesen Anstieg hoffen die Hellwigs inständig – damit sie an Weihnachten wenigstens wieder in Weeze bei den Kindern und Enkeln sind. Denn die vergangenen fünf Jahre war das nicht der Fall.

Die Rheinhäfen in Baden-Württemberg

Entlang des Rheins liegen in Baden-Württemberg die Häfen Rheinfelden, Weil am Rhein, Breisach und Kehl sowie die Rhein-, Öl-, und Industriehäfen Karlsruhe und Mannheim. Letztere sind die größten.

Der Mannheimer Hafen ist der viertgrößte Binnenhafen in Deutschland – nach Duisburg-Ruhrorte, Köln und Hamburg. Er umfasst allein im Hafengebiet rund 20 000 Arbeitsplätze. Die Umschlagsmenge lag 2017 bei rund 9,6 Millionen Tonnen. Den größten Anteil am Gesamtumschlag: feste mineralische Brennstoffe mit 2,4 Millionen Tonnen.

Der Rheinhafen im Westen der Stadt und der etwas weiter nördlich gelegene Ölhafen kommen zusammen auf einen Güterumschlag von derzeit etwa 7,2 Millionen Tonnen; davon entfallen 4,2 Millionen Tonnen auf Mineralölprodukten am Ölhafen. Gut 6000 Arbeitsplätze hängen an den Häfen.