Nicolas Stemann leitet ab der Saisaon 2019/2020 das renommierte Zürcher Schauspielhaus Foto: dpa

Warum Regisseur Nicolas Stemann als Intendant für das Schauspiel Zürich eine gute Wahl sein könnte

Stuttgart - Ulrich Khuon bleibt in Berlin am Deutschen Theater. Burkhard C. Kosminski kommt 2018 nach Stuttgart. Und nun geht Nicolas Stemann (49) 2019 nach Zürich. Was mit dem Wiener Burgtheater passiert, ist weiter offen. Unter den Namen, die kursieren, ist auch des aktuellen Chefs des Bayerischen Staatsschauspiels in München, Martin Kusej, den man in den 1990ern in Stuttgart als Regisseur schätzte. Wer dann seine Nachfolge antreten könnte – unklar. Vielleicht die bisherige Züricher Intendantin Barbara Frey, die ihren Vertrag nicht verlängert und dem Burgtheater eine Absage erteilt hat.

Bemerkenswert ist Stemanns Wahl vor allem, weil es einiges über die Situation an den von Zuschauer- und Schauspielerschwund gebeutelten Münchner Kammerspielen von Matthias Lilienthal aussagt. Stemann ist Hausregisseur, Benjamin von Blomberg (38), der als Co-Intendant mit nach Zürich gehen wird, ist Chefdramaturg. Wenn zwei wichtige Künstler aus dem Leitungsteam schon jetzt ihren Abschied verkünden, also schon seit Monaten planen, ihren Chef zu verlassen, könnte das bedeuten, dass auch das seit 2015 agierende Leitungsteam in München unglücklich ist. Vielleicht wird auch Lilienthal nicht ewig in München bleiben.

Enttäuschte Schauspieler

Das hervorragende Ensemble der Kammerspiele, das er von den Vor- und Vorvorgängern Johan Simons und Frank Baumbauer übernommen hat, ist schon jetzt auf und davon. Manche verließen das Haus mit großem medialen Echo wie Brigitte Hobmeier, andere (wie Katja Bürkle, das war jüngst in dieser Zeitung nachzulesen) äußern sich erst einige Zeit nach ihrem Abschied. Oder sie nennen gar keine Namen.

Wie der Stefan Hunstein, der bis zu Lilienthals Intendanz an den Kammerspielen beschäftigt war. Er antwortete im aktuellen Magazin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart „Spektrum“ auf die Frage, auf welches Ereignis er gern verzichtet hätte: „zu erleben, wie gewachsene Theaterstrukturen, die in der Welt einzigartig sind und die Schauspieler/innen überhaupt erst die Möglichkeit geben, sich entwickeln zu können, von Theaterleiter/innen sinnlos zerstört werden. Öffentlich quaken sie in die Welt hinaus, dass es den Beruf der/des Schauspielenden als Menschendarsteller/in nicht mehr gebe.“ Man ahnt, wen er mit den Quakern meint.

Theater mit Sendungsbewusstsein

Ob Stemann und von Blomberg auch Zürich von Schauspielern „befreien“ und nur noch „Performer“ mit Stücken ohne Text und Darsteller einladen werden? Stemann hat jetzt sein Ziel erreicht. Der Regisseur ist für ironisch übermütige, musikalische, gesellschaftskritisch ambivalente Inszenierungen etwa von Jelinek-Stücken („Ulrike Maria Stuart“ am Thalia Theater Hamburg, „Die Kontrakte des Kaufmanns“ in Köln) und für schlaue Spektakel wie den fast zehnstündigen Faust I und II“ von Goethe bei den Salzburger Festspielen gelobt worden. Er hat sich dann einem karrierefördernden künstlerischen Mainstream verschrieben, der vom Schlagwort „politische Relevanz“ beseelten (und Intendantenposten vergebenden) Politikern geliebt wird. In Mannheim war das 2014 so bei seiner mauen, mit Flüchtlingen spielenden Inszenierung von Jelineks „Die Schutzbefohlenen“. In München verkasperte er mit fantasielosen Darstellern Jelineks „Wut“. Und sein„Kirschgarten“ von Tschechow endete kürzlich ebensort platt moralinsauer. Jetzt, wenn er Intendant wird und selbst bestimmen kann, was von wem wie gespielt wird, hat es womöglich ein Ende mit dem unseligen Theater mit Sendungsbewusstsein, und er besinnt sich wieder auf das, was zählt. Kunst, unbequem, klug, fragend.

In seinen besten Zeiten hat Nicolas Stemann auch deshalb so überzeugende Arbeiten gezeigt, weil er mit hervorragenden Schauspielern gearbeitet hat. Vielleicht erinnert er sich daran. Hoffnung besteht also, dass Zürich nicht das neue München wird.