Vom 1. Juli an ist ein verminderter Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie fällig. Doch dafür müssen Gäste kommen. Foto: dpa/Sven Hoppe

Die große Koalition versucht, vielen Nöten gerecht zu werden: Die SPD setzt sich bei der Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch, die Union handelt Hilfen insbesondere für das Gastgewerbe aus. Die Gewerkschaften sind weitgehend zufrieden, doch die Arbeitgeber üben Kritik.

Stuttgart - Die große Koalition versucht, vielen Nöten gerecht zu werden: Die SPD setzt sich bei der Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch, die Union handelt Hilfen etwa für das Gastgewerbe aus.

Was ändert sich beim Kurzarbeitergeld? Schon jetzt sichert die Bundesagentur für Arbeit (BA) Millionen Jobs, indem sie bei der Kurzarbeit für 60 Prozent (67 Prozent bei Kindern) des ausgefallenen Nettoeinkommens aufkommt. Während der Pandemie wird das Kurzarbeitergeld schrittweise angehoben. Für diejenigen, die es für eine um mindestens 50 Prozent reduzierte Arbeitszeit beziehen, soll es vom vierten Monat an auf 70 Prozent (77 Prozent für Eltern) und vom siebten Monat an auf 80 (87) Prozent steigen – befristet bis Ende 2020. Zudem werden für Arbeitnehmer in Kurzarbeit vom 1. Mai bis Ende des Jahres bestehende Hinzuverdienstmöglichkeiten durch eine Ausdehnung auf nicht systemrelevante Berufe erweitert.

Was ändert sich für Arbeitslose? Verbesserungen wurden auch für Erwerbslose vereinbart, indem die Bezugszeit für das Arbeitslosengeld I um drei Monate verlängert wurde, sofern der Anspruch zwischen dem 1. Mai und dem 31. Dezember enden würde. Dies ist eine Antwort auf die geringeren Einstellungschancen in der Corona-Krise – während die Arbeitsagenturen ihre Vermittlungs- und Weiterbildungstätigkeiten wegen der Mühen mit den massenhaften Kurzarbeitsanträgen eingeschränkt haben.

Inwieweit profitiert die Gastronomie? Die Mehrwertsteuer für Speisen in Restaurants, Cafés oder Bars werden vom 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2021 auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent gesenkt. Bisher gilt für Speisen, die vor Ort verzehrt werden, ein Steuersatz von 19 Prozent. Für Gerichte, die der Gast mitnimmt oder nach Hause bestellt, fallen in der Regel nur sieben Prozent an.

Wie teuer werden die Maßnahmen? Nach den Worten von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat das gesamte Paket einen Umfang von gut zehn Milliarden Euro. Bis zu fünf Milliarden Euro soll der abgesenkte Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie kosten, vier Milliarden gibt es für Mittelständler zur Stärkung der Liquidität. Konkret geht es dabei um einen vereinfachten Verlustrücktrag, wonach absehbare Verluste in 2020 mit Steuer-Vorauszahlungen aus dem Vorjahr verrechnet werden dürfen. Bisher kann man die Verluste erst 2021 geltend machen. Eine Milliarde wird für die Erhöhung des Kurzarbeitergelds veranschlagt. Dies ist aus der Arbeitslosenversicherung zu finanzieren, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestückt wird. Dafür hatte die BA Ende 2019 Rücklagen von 25,8 Milliarden. Dieser Topf wäre aber bei acht Millionen Kurzarbeitern in der Spitze und 2,6 Millionen im Jahresschnitt erschöpft, wie es in einer internen Information des BA-Verwaltungsrats heißt. Ein Szenario mit kurzzeitig fünf Millionen Kurzarbeitern und 1,5 Millionen im Jahresdurchschnitt wäre finanziell zu bewältigen.

Wie fallen die Reaktionen aus? Das Echo auf die Koalitionsbeschlüsse ist durchwachsen: Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer moniert, dass „das Geldausgeben mit der Gießkanne“ die richtigen Entscheidungen – etwa zur Erweiterung der Hinzuverdienstmöglichkeiten für Kurzarbeiter und zu den Hilfen für die Gastronomiebetriebe – überschatte. Die pauschalen Anhebungen des Kurzarbeitergelds bei 50 Prozent Arbeitsausfall dienten nicht der gezielten Bekämpfung von Notlagen im Einzelfall, „sondern befeuern Erwartungshaltungen an den Sozialstaat, die ihn langfristig finanziell völlig überfordern werden“, kritisiert Kramer.

Verdi-Chef Frank Werneke lobt, die Regelung zur Kurzarbeit helfe vor allem in den Branchen, die von einer längeren Krise ausgehen müssen, wie im Luftverkehr und Tourismus. Kritisch sieht er, dass die Erhöhung erst ab dem vierten Monat einsetze und dann auch nur auf 70/77 Prozent: „Das geht an der Wirklichkeit vieler Beschäftigter in Dienstleistungsbranchen mit niedrigen Einkommen und einem hohen Anteil an Teilzeitarbeit weitgehend vorbei.“ DGB-Chef Reiner Hoffmann sieht daher die Arbeitgeber weiterhin gefordert, ihren Beschäftigten – wie schon in vielen Tarifverträgen geregelt – einen Aufschlag auf mindestens 80 Prozent zu gewähren.

Wie wird Kurzarbeit beansprucht? Bundesweit haben bis 20. April 718 000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet. Der Zuwachs wird geringer. Damit hat fast jeder dritte von insgesamt knapp 2,2 Millionen Betrieben, in dem mindestens ein Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, Kurzarbeit angezeigt. In Baden-Württemberg ist die Zahl der Anzeigen auf über 93 600 weiter gestiegen. Hier liegt der Anteil der Betriebe, die Kurzarbeit angemeldet haben, bei 31,9 Prozent.

Wie viele Beschäftigte davon tangiert sind, kann die Bundesagentur für Arbeit erst sagen, wenn die tatsächlich geleistete Kurzarbeit abgerechnet wurde. Nach einer Hochrechnung der Hans-Böckler-Stiftung könnten bereits vier Millionen Menschen in Kurzarbeit sein – andere Forscher gehen von deutlich mehr aus.