Projektleiterin Diana van den Bergh vor dem alten Kraftwerk Foto:  

In Stuttgart-Gaisburg sind die Rohbauarbeiten für ein neues Gasheizkraftwerk eingeläutet worden. Für EnBW, Land und Stadt ist es ein „Energiewende-Projekt“. Trotzdem hat es auch Kritiker.

Stuttgart - Der Kampf gegen die Uhr läuft. Beim Neubau des Gasheizkraftwerks Gaisburg sind am Mittwoch offiziell die Rohbauarbeiten eingeläutet worden. Für Projektleiterin Diana van den Bergh (34) und ihre Kollegen zählt jetzt jeder Tag. Zur Jahreswende 2018/2019 soll der kommerzielle Betrieb beginnen. Dann wird die Wirtschaftsingenieurin fünf Jahre Arbeit für das Projekt hinter sich haben, in das der Energieriese EnBW 75 Millionen Euro investiert. Der Baustart ist der Anfang vom Ende für das alte, größere Kohlekraftwerk direkt neben der Baufläche.

Offizieller Baubeginn. Zu diesem Anlass wird das bei Umweltschützern nicht unumstrittene Vorhaben als „Energiewendeprojekt“ gepriesen. Feinstaub werde kaum ausgestoßen, sagt der EnBW-Technikvorstand Hans-Josef Zimmer. Mit dem klimafreundlichen Erdgas reduziere man den Ausstoß von Kohlendioxid. Um 30 Prozent, beziffert der Landesumweltminister Franz Untersteller. Das entspreche 60 000 Tonnen im Jahr. Der Grüne bekennt sich klar zum Erdgas. Das brauche man, nicht nur in Gaisburg, um von der alten in die neue Energiewelt zu kommen und den „notwendigen schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung“ zu schaffen. Die habe langfristig keine Daseinsberechtigung mehr. Erdgas sei eine wichtige „Brückentechnologie“, und langfristig könne man Gas aus kohlendioxidfreien Quellen nutzen. Untersteller meint damit nicht nur Biogas aus Grünabfällen, sondern auch synthetisches Gas, das bei der Speicherung von Solarstrom hergestellt wird. Er propagiert auch die Kraft-Wärme-Koppelung (KWK), die mit dem neuen Kraftwerk verbunden sein wird: Gasbetriebene Motoren erzeugen Strom, in diesem Fall mit einer Leistung von 30 Megawatt, und obendrein Wärme. KWK-Anlagen seien mittelfristig unverzichtbar für die Energiewende.

Stadt dringt auf effiziente Nutzung von Gas

„Wenn wir schon Erdgas einsetzen, muss es sehr effizient geschehen“, sagt der Städtebau- und Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne), der das Projekt als „wichtigen Beitrag für unser Energiekonzept“ bezeichnet. Durch die Blume äußern er und Untersteller sich so auch zu der Debatte, die Kommunalpolitiker und Umweltschützer bewegt: ob die Stadtwerke Stuttgart (SWS) Blockheizkraftwerke und Nahwärmenetze für Wohnanlagen entwickeln sollen, die mit Erdgas betrieben werden. Seit den Klimaschutzbeschlüssen 2015 in Paris geht es um den Verzicht auf fossile Energieträger. Der Geschäftsführer Olaf Kieser möchte, dass die SWS rein ökomäßig aufgestellt werden und Kohlendioxid-technisch eine reine Weste haben. Der Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) peilt eher schnelle und wirksame Beiträge zur Energiewende an.

Von einem Schadstoff ist am Mittwoch nicht die Rede: von den Stickstoffdioxiden, die durch die Kamine gehen werden. Die Menge wird größer sein als beim alten Kraftwerk. Das liege, betonten die Projektleiterin van den Bergh und der EnBW-Sprecher Hans-Jörg Groscurth schon am Dienstag, an erweiterten Betriebszeiten. Das Gasheizkraftwerk soll im Grundlastbetrieb Fernwärme liefern. Rechnerisch geht es um 7000 Stunden oder 291 Tage. Das Kohlekraftwerk war und ist an etwa 167 Tagen pro Jahr in Betrieb. Ginge man von der gleichen Dauer aus, wären die Emissionen der neuen Anlage nicht höher, heißt es. Wenn man künftig in Gaisburg heize, werde es etwa vom Heizwerk Münster weniger Stickoxide geben.

Ministerium verteidigt Stickoxidausstoß

Das Umweltministerium ist auch bereits vor dem Baustart dem Eindruck entgegengetreten, das neue Heizwerk dürfe die Luft massiv mit weiteren Stickoxiden belasten, während das Land wegen der Stickoxide sogar Fahrverbote für Diesel vorbereitet. Im Jahresmittel werde das Gasheizwerk dem Brennpunkt Neckartor 0,04 Mikrogramm Stickstoffdioxid zuliefern, schrieb das Ministerium einem Kritiker. Insgesamt würden dort das Jahr über 80 bis 90 Mikrogramm gemessen.

So ist der Baustart ziemlich ungetrübt. Die Projektleiterin hat an dem Vorhaben sowieso ihre Freude. Die Arbeit dafür bringe „jeden Tag etwas Neues, mit dem man nicht rechnete“, sagt die junge Frau, die bei Rostock geboren wurde. Organisieren, Budgets betreuen, mit Menschen und Behörden sprechen, dafür sorgen, dass die Teilarbeiten und die wachsenden Rohrleitungen am Ende zusammenpassen – das ist ein großer Teil ihrer Aufgaben. „Die Projektleiterin ist irgendwie auch Mädchen für alles“, sagt sie. Mangelnde Akzeptanz beklagt sie nicht. Manchmal sei es ein Vorteil, als Frau den Job zu machen. Und wenn das Projekt nach dem ersten Quartal 2019 abgerechnet ist? „Dann hätte ich gern wieder etwas, was so viel Spaß macht“, sagt sie.

Dann wird das Gasheizwerk über 25 000 Wohnungen, 1300 Unternehmen und 300 öffentliche Einrichtungen in der Region mit Wärme versorgen und Strom abwerfen. Und es wird Ideen geben, wie man frei gewordene Flächen nutzen will.