Am Dienstag wird das Dorotheen-Quartier in Stuttgart eröffnet. Foto: dpa

Der Handel verändert die Stadt – die Politik sucht noch ihre Haltung. Wie erfolgreich und effektiv konkrete Stadtentwicklungspolitik in Stuttgart aber sein kann, zeigt sich ausgerechnet am Einzelfall Dorotheen-Quartier, meint unser Autor Sven Hahn.

Stuttgart - Stuttgart ist ein Extrembeispiel dafür, wie massiv eine Stadt in kürzester Zeit verändert werden kann. Der wesentliche Treiber dieses Wandels – speziell in der Innenstadt – war in den vergangenen Jahren der Handel. Besonders bemerkenswert: Während auf dieser Seite mit Hochdruck an städtebaulichen Veränderungen gearbeitet wird, ist die Politik in Stuttgart noch mit der Suche nach einer eigenen Vision für die Zukunft der Stadt beschäftigt.

Eines ist klar: Der Einzelhandel muss im Kontext der Stadtentwicklung beurteilt werden und nicht am Einzelfall Dorotheen-Quartier. In diesem größeren Zusammenhang betrachtet, wird klar: Jede Neueröffnung hat Folgen. Eine davon ist: Mehr Handel setzt voraus, dass mehr Menschen in die Stadt gelockt werden. Denn es muss mehr Umsatz erwirtschaftet werden, damit alle Geschäfte wirtschaftlich überleben. Und in aller Regel bedeuten mehr Menschen in der Stadt auch mehr Autos und mehr Verkehr.

Neueröffnungen bedeuten Zuwachs

In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick über den Kesselrand hinaus. In keiner anderen deutschen Großstadt wurde die Fläche im Einzelhandel in jüngster Vergangenheit derart deutlich ausgebaut wie in Stuttgart. Allein die Eröffnungen von Gerber, Milaneo und Globetrotter vor knapp drei Jahren haben für die Innenstadt einen Zuwachs von rund 20 Prozent Verkaufsfläche auf einen Schlag bedeutet.

Nun kommen mit dem Dorotheen-Quartier nochmals mehr als 10 000 Quadratmeter Handelsfläche hinzu. In Zeiten zweistellig wachsender Online-Händler müssen also nicht nur die Bahnlinien, die Straßen und Parkhäuser der Stadt den Zuwachs im Einzelhandel verkraften. Auch die bereits etablierten Händler in der Stadt müssen mit der neuen Situation und der immer mächtigeren Konkurrenz zurechtkommen.

Während der Handel also unablässig neue Tatsachen schafft, denkt die Politik noch darüber nach, wohin der Weg in Stuttgart städtebaulich gehen soll. Gemeinderat und Bürgermeister haben sich jüngst zwei Tage in dieser Mission zurückgezogen und beraten. Fernab des Alltagsgeschäfts wollte man grundlegende Fragen diskutieren. Fragen wie: „Wollen wir in der Einwohnerzahl weiter wachsen?“ oder „Schaffen wir das Ziel 20 Prozent weniger Autos im Kessel?“.

Rathaus ringt um eigene Position

Am Ende haben die Politiker mit überraschend wenig Aufhebens ein Papier auf der Internetseite der Stadt veröffentlicht, in dem Sätze stehen wie: „Stuttgart ist eine Wohlfühlstadt und bleibt eine.“ Oder „Gutes gilt es, zu bewahren und zu schützen.“ Am Anfang des Dokuments steht die ebenfalls wenig konkrete Aussage, man sehe Veränderungen und Herausforderungen als Chance für eine gute Zukunft unserer Stadt.

Das Ergebnis der Klausurtagung zeigt ganz klar, wie im Rathaus verzweifelt um eine eigene Position zur gesunden Entwicklung der Stadt gerungen wird. Es zeigt aber auch: Besonders weit ist man bei dieser Suche bislang nicht gekommen. Kurz zusammengefasst, könnte man sagen: Während die einen Tatsachen schaffen, haben die anderen noch nicht einmal eine vage Idee.

Wie erfolgreich und effektiv konkrete Stadtentwicklungspolitik in Stuttgart aber sein kann, zeigt sich ausgerechnet am Einzelfall Dorotheen-Quartier. Der ursprüngliche Entwurf mit dem Namen Da Vinci war um Längen größer und massiger. Im Zuge des Bauprojekts sollte daher das Hotel Silber abgerissen werden. Nun wird die ehemalige Gestapo-Zentrale erhalten und zu einer wertvollen Erinnerungsstätte umgebaut.