Ehrenamtliche Helfer bereiten Obst- und Gemüselieferungen für den Verkauf in der Ludwigstafel vor. Foto: factum/Granville

Der Tafelverein tauscht sein beengtes Domizil an der Ludwigsburger Lindenstraße gegen neue Räume in einem ehemaligen Getrag-Gebäude. Die neue Anlaufstelle ist größer – aber an der Peripherie.

Ludwigsburg - Anne Schneider-Müller atmet erleichtert durch: Endlich ist der Vertrag unterzeichnet, die Ludwigstafel kann zum Juli neue Räume beziehen. Damit endet für die Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins eine drei Jahre andauernde, zähe Suche nach einer Immobilie, die genug Platz für einen mittelgroßen Verkaufsraum, viel Lagerfläche und separate Büroräume bieten kann. Gefunden wurde das 400 Quadratmeter große Domizil in der Weststadt, an der Ecke von Saar- und Siegesstraße. „Wir sind froh, dass wir jetzt eine neue Situation für die Ludwigstafel haben“, sagt der Erste Bürgermeister Konrad Seigfried. „Die Lage im Wohnareal hat immer wieder zu Konflikten geführt.“

Keine Chance in der Innenstadt

Diese Querelen zwischen Anwohnern und Kunden der Ludwigstafel werde sie sicher nicht vermissen, sagt die Geschäftsführerin. Zumal sie in letzter Zeit noch weiter zugenommen hätten. „Am vergangenen Montag habe ich praktisch nichts anderes gemacht als draußen vor dem Laden Streit zu schlichten“, sagt sie. Dazu gehöre es, verärgerte Nachbarn zu beruhigen, weggeworfene Zigarettenstummel zu beseitigen oder die Kunden darüber aufzuklären, dass ein großer Teil des Hinterhofs für sie und ihre spielenden Kinder tabu ist, weil er nicht zum Tafelladen gehört. „Wir haben viele neue Kunden, die kennen sich nicht aus“, sagt Schneider-Müller. Auch darum sei die Tafel seit einiger Zeit in den Abendstunden länger geöffnet: „Wir haben nicht nur mehr Kunden, wir müssen auch mehr erklären – und das dauert eben.“

Die Verwaltung habe gemeinsam mit dem Verein lange vor allem in der Innenstadt nach Räumen für den Tafelladen gesucht, sagt Seigfried. Denn ursprünglich wollte der Verein möglichst da bleiben, wo viele Menschen leben. Es gehört zur Tafelidee, dass die Stadtbewohner etwas von der Not der Bedürftigen mitbekommen, die auf diese Hilfe angewiesen sind. Aber was angeboten worden sei, habe entweder zu viel gekostet oder sei zu klein gewesen, sagt Seigfried. Objekte in der Ludwigsburger A- oder B-Lage seien sehr gefragt, aber unerschwinglich für den auf Spenden angewiesenen Verein.

Müssen die Mitarbeiter bisher auf einer Fläche von 250 Quadratmetern zurechtkommen, stehen ihnen von Sommer an 400 zur Verfügung. Und erstmals wird für die Hauptgeschäftsstelle alles an einem Platz sein, denn bisher waren Teile des Lagers und ein Büro ausgelagert. „Wir werden dann genug Platz haben, um ein Wartezimmer für unsere Kunden einrichten zu können“, sagt Anne Schneider-Müller. „Das ist mir sehr wichtig.“ Denn bisher müssen die Leute bei Wind und Wetter draußen vor der Ladentür ausharren, bis sie an der Reihe sind. Denn um Gedränge zu vermeiden, werden immer nur wenige Personen gleichzeitig eingelassen.

Lebensmittelspenden gesucht

Mehr Quadratmeter Nutzfläche bedeuten jedoch auch mehr Miete. „Die Stadt hat uns bereits signalisiert, dass sie ihren Zuschuss anheben wird“, sagt Schneider-Müller. Seigfried bestätigt das. Die Differenz zum bisher gezahlten Mietzins sei nicht gewaltig. Einen exakten Betrag will niemand nennen, „aber bisher entspricht der Zuschuss von Stadt und Wohnungsbau-Gesellschaft in etwa unserer Kaltmiete“, sagt die Geschäftsführerin der Tafel.

Die Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln sei wegen der Flüchtlinge weiter steigend. „Wir haben im letzten Jahr 275 neue Berechtigungsausweise nur für Asylbewerber ausgestellt“, sagt Schneider-Müller. Aktuell gebe es zwar ausreichend viele ehrenamtliche Mitarbeiter, allerdings müsse sie sich immer wieder neue Wege erschließen, um auch künftig noch genügend Geld- und Lebensmittelspenden für die Bedürftigen zu bekommen.

„Stachel im Fleisch“

Tafelläden
Derzeit gibt es mehr als 900 Tafeln in Deutschland. Alle sind gemeinnützige Organisationen. Bundesweit unterstützen sie regelmäßig gut 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln – knapp ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. In den Läden werden gegen geringes Entgelt Lebensmittel verkauft, die nahe am Verfallsdatum sind und deshalb in den Supermärkten aussortiert werden.

Langlebig
Als die Ludwigstafel 1999 gegründet wurde, sind alle Beteiligten davon ausgegangen, dass es sie höchstens zehn Jahre geben werde. Danach müsse sich die Gesellschaft so verändert haben, dass das in den neunziger Jahren aufgetauchte Phänomen der „Neuen Armut“ wieder verschwunden ist. Stattdessen ist seither die Zahl der Bedürftigen weiter angewachsen. Und die Ludwigstafel hat im Jahr 2014 ihr 15-jähriges Bestehen gefeiert.

Kritik
Von Anfang an gab es auch Kritik an der Tafelidee. Etwa, dass sie das System mit ihrer Initiative stabilisiere. Aber die Vereine halten dagegen: Sie seien nicht systemrelevant. „Es gibt etwa 16 bis 18 Millionen von Armut betroffene Bürger in Deutschland. Wir versorgen regelmäßig eine Million Menschen“, heißt es von offizieller Seite. Zum Selbstverständnis der Tafelläden gehört die Vorstellung „ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft“ zu sein.