Auf dem Oktoberfest werde nicht nur Bier getrunken, die Atmosphäre mache den Charme der Veranstaltung aus, so Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner. Foto:  

Der neue Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner über kleine Vergnügungen, angebliche Bierhallen und über die Münchner Vorzüge gegenüber dem Cannstatter Wasen.

München - Auf seine Wiesn lässt Clemens Baumgärtner nichts kommen. Als Dreijähriger, geboren in München, war er zum ersten Mal dort. Mit den Großeltern. „Da hat’s a Zuckerwatte gebn, a Fischsemmel und den von mir heiß geliebten, rot glasierten Apfel.“ Der gehört auch vierzig Jahre danach noch – „ob gsund oder ned“ – zu Baumgärtners Standardprogramm auf dem Oktoberfest. Und dieses ist für ihn das „größte und schönste Volksfest der Welt. Das Original. Ein Gesamtkunstwerk.“ Nichts sieht er daran, was nicht vollkommen wäre: „Aus meiner bisherigen, aus der Perspektive des Gastes, kann ich keinen Verbesserungsbedarf erkennen.“

Vor einem halben Jahr hat Baumgärtner die Sichtweise gewechselt. Da hat der Wirtschaftsanwalt, gewählt vom Stadtparlament, das Referat für Wirtschaft und Arbeit übernommen. Seither ist der CSU-Politiker in der örtlichen rot-schwarzen Groko nicht nur dafür zuständig, dass die Ökonomie in der bayerischen Landeshauptstadt möglichst so weiter brummt wie bisher – mit zuletzt 2,7 Milliarden Euro Gewerbesteuereinnahmen pro Jahr. Baumgärtner ist damit auch Chef der Wiesn geworden, was er eher – das ist bei den Dimensionen dieses Volksfests schon erstaunlich – als „den kleineren Teil“ seiner Arbeit bezeichnet. Und auch aus seiner neuen Sicht, aus der des Veranstalters, hat Baumgärtner den Eindruck: „Da hängt nix. Das läuft richtig.“

Der Bierpreis – ein Politikum

Große neue Akzente hat Baumgärtner in seinem ersten halben Amtsjahr nicht gesetzt, nicht setzen wollen – und vielleicht gar nicht können. Die Wiesn, verwaltet von einem städtischen Stab aus 15 Mitarbeitern, ist ein Riesentanker, der gar nicht leicht umzusteuern ist. Und dann gibt es die politischen Großmächte – gesammelt im Verbund der Wiesn-Wirte –, die schon Baumgärtners Vorgänger Josef Schmid die Arbeit nicht leicht gemacht haben, etwa wenn es um die Besteuerung ging oder um den Bierpreis. Dem Neuen haben die Wirte dieses Jahr erst mal ein freundliches Geschenk gemacht: Sie haben den Grund-Bierpreis nun um zehn Cent auf 10,80 Euro erhöht. „Das war kein Geschenk“, wehrt sich Baumgärtner: „Das war ein vernünftiger Schritt, ein Zeichen, wir haben verstanden, wir halten maß.“

Überhaupt will Baumgärtner nichts davon hören, die Wiesn sei ein Bierfest. „Es ist ein Volksfest, bei dem es auch Bier gibt“, möchte er festgehalten haben, und wenn Baumgärtner schon eins vorgelegt hätte, dann wäre das auch sein Programm. Gegen allen Anschein kämen gar nicht so viele Leute „nur zum Saufen“, sagt er; sie nutzten die Fahrgeschäfte, bummelten zwischen den Belustigungsständen dahin, wollten die „einzigartige“ Atmosphäre schnuppern, den Geruch in die Nase kriegen: „Wiesn ist ja auch ein Gefühl.“ Deshalb sei es auch so wichtig, nach Münchner Art die Stände bunt zu durchmischen: „Die Leute sollen nicht nur im Bierzelt hocken, sondern auch durch die Gassen streifen, damit alle merken, da ist was los, da brummt was.“

Der Wasen? Die Wasen?

Genau das vermisst Baumgärtner woanders, in Stuttgart zum Beispiel. Das Cannstatter Fest – „sagt man der oder die Wasen?“ – kennt er bislang zwar nur aus Erzählungen und Videos; er hat sie sich angeschaut, weil der Wasen-Aufbauchef Silvio Döllinger über die Wiesn gelästert hat. Während die Stuttgarter Bierzelte „Champions League“ seien und „schon fast Restaurants“, so hatte Döllinger gesagt, stünden in München bloß „Riesen-Holzhallen“ herum. Das weist Baumgärtner als bare Unkenntnis zurück. „Schön geschmückt“ seien die Münchner Bierzelte, „nicht in Jodler-Stil oder trachtlig-anbiedernd“. Schon deshalb könne keiner von Bier-„Hallen“ wie von Bahnhofshallen sprechen; die Qualität des Essens könne es „mit jedem Restaurant aufnehmen“, sagt Baumgärtner, und dann verweist er auch noch auf die kleineren, aber dafür exklusiveren Feinschmeckerzelte von Kuffler oder Käfer: „Drüber geht nichts mehr.“

Und dann holt er aus. Ja, München lege bei aller Mischung mit der Moderne schon Wert auf Tradition, „auch in der Kleidung von Bedienungen und Musikern“: Man müsse schon wissen, „wo das Volksfest herkommt und für wen es gemacht ist.“ Laser-Shows à la Disco oder „riesige LED-Bildschirme“ hätten deshalb auf der Wiesn nichts verloren: „Sie ist auch keine Konzertveranstaltung, wo Superpopbands auftreten.“ Blasmusik hat für Baumgärtner da entschieden mehr Sinn: „Die Fantastischen Vier“, so der nächste Seitenhieb in Richtung Wasen, „die sind schon absolut geil. Mit einer Wiesn haben sie aber gar nix zu tun.“

Stil und Trittbrettfahrerei

Die Stuttgarter Wasen-Gewaltigen hat Baumgärtner zu einer Besichtigungstour auf die Wiesn eingeladen: „Die kriegen dann das Vollprogramm. Bisher hat aber keiner geantwortet.“ Wobei: Eigentlich findet es Baumgärtner gar nicht so gut, Wiesn und Wasen und überhaupt Volksfeste untereinander zu vergleichen. Jeder habe halt seinen Stil. Nur hält er es für „unfair“ und für „ätzend“, wenn jemand mit dem – bisher trotz mehrerer Anläufe nicht geschützten – Begriff „Oktoberfest“ für sich hausieren geht: „Das ist Trittbrettfahrerei.“ Denn eines sei sicher: „Der Cannstatter Wasen ist ein schönes Volksfest, keine Frage. Aber die Einzigen, die Oktoberfest können, das sind wir.“