Katja Kipping und Bernd Riexinger, die neuen Vorsitzenden der Partei Die Linke. Foto: dpa

Der neue Linke-Chef Riexinger über Himmelfahrtskommandos, Aufbruch und Untergang.

Göttingen - Es ist ein später Triumph für Oskar Lafontaine. In Vorgesprächen zum Linke-Parteitag konnte er seinen Rivalen Bartsch nicht ausschalten. Jetzt hat das sein Ersatzmann für die Doppelspitze der Partei erledigt: der Südwest-Gewerkschafter Riexinger.

Herr Riexinger, sind Sie der neue Chef eines Himmelfahrtskommandos?
Alle Strömungen unserer Partei halten an dem Projekt einer gesamtdeutschen Linken fest. Jeder ist gewillt, eine Aufbruchstimmung für linke Politik hinzubekommen. Die Farbe Rot soll wieder Mode werden. Die inhaltlichen Barrieren bei uns sind gar nicht so hoch, es gibt keine wirklich unüberbrückbaren inhaltlichen Differenzen. Im Innern wissen wir, dass es möglich ist, gemeinsam Politik zu machen.

. . . und was ist mit Ihrer Außendarstellung?
Die Außenwirkung muss ganz klar sein, dass wir uns mit 80 Prozent unserer Kraft mit dem politischen Gegner auseinandersetzen, indem wir die politischen Interessen der Bürger vertreten, die auf soziale Gerechtigkeit setzen. Denn die Mehrheit der Leute will keine Armutslöhne und prekäre Beschäftigung, sondern dass der vorhandene Reichtum unserer Gesellschaft anders verteilt wird. Wir erleben eine zentrale Auseinandersetzung um Europa, und die langfristigen Folgen für Deutschland werden völlig unterschätzt. Wenn den Krisenländern Kürzungs- und Sparprogramme aufgedrückt werden – in der Auswirkung also Armutsprogramme –, dann verfestigt das auf Jahre Abhängigkeitsverhältnisse in Europa, die niemand wollen sollte. Es ist unzulässig, die Handlungsmöglichkeiten von Politik derart einzuzementieren. Soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit gehören zusammen.

Ostdeutschen Linken geht aber bislang noch, salopp gesagt, das Messer in der Tasche auf, weil sie sich von Lafontaines Leuten übernommen fühlen – zu seinem Umfeld zählen Sie auch. Ist die Spaltung in eine Ost- und West-Linke noch immer nicht vom Tisch?
Nein. Wir werden die Gräben zuschütten. Ich habe angekündigt, als Erstes in die ostdeutschen Verbände zu gehen und mit den Akteuren zu reden. Katja Kipping und ich machen das gemeinsam. Wir werden zuhören, was sie uns sagen. Vielleicht würdigt die Gesamtpartei die Arbeit dort zu wenig; die Ostkollegen haben ungeheuer viel Arbeit in Kommunen gesteckt und sind bis in die Landtage hinein verankert. Sie sind wichtiger Bestandteil des Parteiaufbaus. Es geht nicht nur um Anerkennung, sondern auch darum, von ihnen zu lernen.

Während die Linke im Westen eine Wahl um die andere verliert . . .  
Gregor Gysi hat völlig recht, dass wir mit über 20 Prozent im Osten anders agieren als mit fünf Prozent im Westen. Das sind völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Und wir haben unterschiedliche Traditionslinien. Aber die haben uns ja bis zum Wahlerfolg 2009 auch sehr stark gemacht, wir standen ja schon bei zwölf Prozent.

Rechnen Sie damit, dass Gysi oder Dietmar Bartsch, die sich für das Ost-Reformlager starkgemacht haben, hinwerfen?
Nein. Die beiden mögen enttäuscht sein, nachdem sie enorm viel Energie in ihre Überzeugungsarbeit gelegt haben – das gehört zum Streit um die Richtung dazu. Gysi hat alles versucht, die Strömungen vor allem in der Bundestagsfraktion beisammenzuhalten. Er ist daran schier verzweifelt, das müssen wir erkennen. Aber jeder muss wissen, wo er gebraucht wird. Und Gregor Gysi ist für uns das wichtigste Aushängeschild.

Es gibt Beispiele: Der grüne Ministerpräsident Kretschmann muss im Südwesten viele Spagate schaffen, und SPD-Fraktionschef Steinmeier musste als Agenda-2010-Mitbegründer eine linke Bundestagsfraktion hinter sich einen. Gibt’s da was abzuschauen?
Alle Akteure müssen sich darauf besinnen, dass unsere Partei 80 Prozent Übereinstimmung in ihren politischen Kernfragen hat und keine fundamentalen Differenzen. Als politisch ernstzunehmende Kraft muss es uns gelingen, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Die 20 Prozent Zoff wiederum müssen wir im fairen, bereichernden Meinungsstreit produktiv ausräumen. Die Gemeinsamkeiten sind größer als die Differenzen.