Tilman Chiari mit seinem gut vier Meter großen Mühlrad Marke Eigenbau Foto: Gottfried Stoppel

Ein Strahlendiagnostiker aus Backnang hat sich im Schwäbischen Wald in eine verwaiste Sägmühle verliebt, diese gekauft – und ihr in mühevoller Eigenarbeit ein neues Mühlrad beschert.

Murrhardt - Was hat ein Radiologe mit einem Mühlrad zu tun? Eigentlich nichts. Das könnte sich aber ändern, wenn ein Strahlendiagnostiker auf die verwegen anmutende Idee kommt, mit eigener Hände Arbeit ein Antriebsrad für eine vor vielen Jahren stillgelegte Sägmühle zu bauen. So geschehen im Schwäbischen Wald, einem Landstrich, in dem es mancherlei Besonderheiten gibt. Im Mutzenhof, nahe dem Murrhardter Ortsteil Oberneustetten, steht, umzingelt von Bäumen und Büschen, eine ehemalige Brettmühle, deren sägende Einrichtung nicht mehr vorhanden war. Das störte den Backnanger Röntgenarzt Tilman Chiari nicht, der sich mit viel Ehrgeiz dazu entschloss, seiner Neuerwerbung zu einem von ihm konstruierten Wasserrad mit dem stattlichen Durchmesser von 4,14 Metern zu verhelfen. Da war neben Geld viel Mut vonnöten.

Lob aus berufenem Munde

Beim ersten Probelauf seiner rotierenden Eigenkonstruktion in diesem Frühjahr hat er zwar nicht jubelnd ,,jawohl“ gerufen, aber innerlich gestrahlt hat der Röntgendoktor dann doch. Zwei Jahre arbeitete er an der Verwirklichung seiner Mühlrad-Vision. Zweifel, er könnte dabei scheitern, plagten ihn seinen Worten zufolge nicht. Mittlerweile ist sein Werk aus berufenem Mund geadelt worden. Eberhard Bohn aus dem Murrhardter Stadtteil Kirchenkirnberg, ein weithin bekannter Fachmann in Sachen Mühlenbau, der während seiner Laufbahn deutlich mehr als ein Dutzend Wasserräder fertigte, zollte Chiaris Fleißarbeit höchstes Lob: ,,Ich hätte es nicht besser machen können“.

Schon vor etlichen Jahren hatte sich Tilman Chiari die Gelegenheit geboten, die verwaiste Mutzenhofmühle, Baujahr 1828, zu erwerben. Lange hatte er nach einem ländlichen Anwesen, möglichst in abgeschiedener Lage mit viel Natur drumherum, Ausschau gehalten. Gedacht war es als Freizeitdomizil für die Familie und als arbeitstherapeutisches Standbein für den Ruhestand. Freilich, beim ersten Augenschein des heruntergekommenen Bauwerks riet ihm ein Architekt dringend vom Kauf des Anwesens ab, die betagte Brettmühle sei praktisch abbruchreif. Diese nicht gerade aufmunternde Diagnose vermochte den Mediziner nicht zu schrecken, für ihn ist die morbide Sägmühle dennoch erste Wahl gewesen, Objekt seiner Begierde, auch wenn von dessen sägentechnischer Einrichtung nichts mehr übrig war.

Werkstatt in der Wohnstube

Irgendwann im Lauf der Umbau- und Sanierungsarbeiten setzte sich in Chiari die Idee fest, seiner geliebten Immobilie zu einem Mühlrad zu verhelfen – auf eigene Faust. Die selbst gewählte Herausforderung hoffte er mit seiner Freude an handwerklichem Schaffen zu bestehen.

Dass dabei manch kniffliges Problem auf ihn zukommen könnte, vermochte seinen Elan nicht zu bremsen. Der Radiologe musste sich erst einmal in ein völlig fremdes Sachgebiet einarbeiten. Als Infoquellen nutzte er das Internet und Fachbücher, Ratschläge und technischen Beistand erhielt er auch von einem Zimmermann. Kurios: als Werkstatt diente Chiari die Wohnstube, die er nach und nach in der Mühle eingerichtet hatte.

Dort setzte er nach viel handwerklichem Tüfteln die mehr als 200 Einzelteile des Mühlrads zusammen. In dieser Zeit, so erinnert er sich, war Personenverkehr nur noch an der Wand entlang möglich. Dem Probeaufbau im Wohnzimmer folgte die völlige Demontage des Schaufelrads, um hernach wieder zusammengepuzzelt und an der Außenwand des einstigen Sägwerks seinen endgültigen Platz zu finden. Pünktlich zum Eintritt in den Ruhestand im März erlebte Tilman Chiari dann seinen ultimativen Glücksmoment, als er zum ersten Mal beobachten konnte, dass seine Konstruktion den Dreh raus hatte. Es wackelte und es eierte nichts.

Das Mühlrad läuft nur zum Spaß

Inzwischen hat sich der Heilkundige eine Art Philosophenbänkle geschaffen, von dem aus er gut das sich behäbig drehende Rad betrachten und über Gott und die Welt nachdenken kann. Das vom tröpfelnden Gänsbach angetriebene Mühlrad ,,läuft nur so zum Spaß“, gibt Tilman Chiari zu verstehen – es brauche nicht zu arbeiten. Immerhin bringt das Symbol der Entschleunigung aber einen Fahrraddynamo in Bewegung, dessen Stromproduktion allerdings gerade einmal dazu ausreicht, den düsteren Keller der alten Sägmühle in ein funzliges Licht zu tauchen.