Timo Saier in seinem Verkaufsraum im Fluxus: Foto: Lichtgut/Piechowski, Rettig

Der neue Leiter des städtischen Weinguts macht Ernst: Bis Ende des Jahres will Timo Saier die Hälfte der Trollinger-Fläche gerodet haben. Das gefällt längst nicht allen in der Stadt.

Stuttgart - Auf diesen Termin freuen sich die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses 364 Tage lang. Alle Jahre wieder kommen die elf Männer und sechs Frauen zusammen, um die Preise für die Erzeugnisse des Weinguts der Stadt Stuttgart zu bestimmen. Doch ehe die Kommunalpolitiker den Wert der Tropfen in Euro und Cent bemessen können, müssen sie Trollinger, Lemberger und Co. auf Öchsle und Schwänzle prüfen. Die nicht-öffentliche Sitzung beginnt daher erst am Nachmittag, weitere Themen sieht die Tagesordnung nicht vor.

Und doch wird an diesem Freitag alles anders sein als in den Jahrzehnten zuvor. Erstmals tagt der Wirtschaftsausschuss zum Zweck der traditionellen Weinpreisfestsetzung an einem der hippsten Orte Stuttgarts. Ausgerechnet ins Fluxus hat der neue Leiter des städtischen Weinguts, Timo Saier, die Experten des Gemeinderats eingeladen. Seit Dezember residiert die vinologische Abteilung der Stadt mit einem schick eingerichteten Laden an der alternativen Einkaufsmeile in der Calwer Passage. „Damit“, sagt Saier, „wollen wir zeigen, dass wir mitten in der Stadt sind und in unserem Betrieb neue, radikalere Ansätze verfolgen.“

Timo Saier hat kaum einen Stein auf dem anderen gelassen

Tatsächlich hat der 38-jährige Diplom-Oenologe kaum einen Stein auf dem anderen gelassen, seit er vor anderthalb Jahren das Kommando im einzigen kommunalen Weingut einer deutschen Landeshauptstadt übernommen hat. Bis Ende 2018 will er die Fläche für Trollinger um die Hälfte auf knapp zwei Hektar verkleinert haben. Kerner, Müller-Thurgau, Gewürztraminer, Dornfelder und Muskat-Trollinger sollen komplett aus dem Sortiment verschwinden, stattdessen will Saier Muskateller und Chardonnay pflanzen. Sogar die Hänge an der Neuen Weinsteige und an der Karlshöhe hat er gerodet; künftig sollen dort Tafeltrauben oder pilzresistente Sorten stehen, die weniger Pflanzenschutz brauchen.

Das passt zur Vorgabe des Gemeinderats, dass auch im städtischen Weingut auf das umstrittene Spritzmittel Glyphosat verzichtet werden soll. „Das ist in Anbetracht unserer vielen Steillagen, die wir im Sinne des Stadtbilds pflegen sollen, sehr ambitioniert – und teuer“, sagt Saier. Viele Arbeiten müssten dort von Hand erledigt werden, was die Kosten ohnehin hochtreibt. 2016 brauchte das Weingut einen städtischen Zuschuss von knapp 600 000 Euro. Die Zahlen für 2017 erhält der Wirtschaftsausschuss am Freitag, niedriger werden sie wohl nicht sein.

Dafür erhalten Stadträte und Kunden andere Weine als zuvor. Den bis dahin eher klassischen, aber dennoch hochpreisigen Produkten des Vorgängers Bernhard Nanzhat Saier die Süße genommen. „Konsequent trocken“ will er die gesamte Kollektion aufstellen, dem Riesling Tiefe, dem Lemberger Gewicht und neuen Rebsorten überhaupt erst eine Chance geben. „Mal sehen, wie weit ich damit komme“, sagt Saier – und weiß, wie sich Scheitern anfühlt. Mit einem spontan vergorenen Riesling vom Obertürkheimer Kirchberg hat er die Qualitätsweinprüfung nicht geschafft. Der Wein schmecke nicht sortentypisch, urteilten die Geschmackswächter. Dafür hat er jetzt ein abgefahrenes Etikett, trägt den Namen Kirchbuggl, ist offiziell nur noch ein Landwein und kostet 13 Euro.

Wengerter Konrad Zaiß kritisiert die neue Linie

Das könnte sich bei der Weinpreisfestsetzung am Freitag allerdings ändern. „Ich weiß nicht, ob das Publikum seine Linie toleriert“, sagt zum Beispiel Konrad Zaiß. Der Weinbaumeister aus Obertürkheim sitzt für die Freien Wähler im Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats und hat in seinem Betrieb die Erfahrung gemacht, „dass die Leute oft sagen, dass sie trockene Weine wollen und ihnen dann doch der feinherbe besser schmeckt“. Er jedenfalls würde für Saiers Kirchbuggl keine 13 Euro ausgeben. Darüber hinaus wünscht er sich ein wenig mehr Lokalpatriotismus vom Chef des städtischen Weinguts. „Der Trollinger“, sagt Zaiß, „ist unser Leib- und Magengetränk. Den müssen wir doch hochhalten, anstatt ihn rauszureißen.“

Obwohl auch Fritz Currle den Trollinger schätzt, kommt er zu einem ganz anderen Ergebnis. „Mir gefällt, was der Saier tut“, sagt der Wengerter und CDU-Stadtrat aus Uhlbach. Beim städtischen Weingut habe aufgeräumt werden müssen. Etliche Strukturen seien verkrustet; da schade es nicht, einen ehrgeizigen und selbstbewussten jungen Mann an der Spitze zu haben.

„Ich will zeigen, dass es funktioniert“, betont Timo Saier darob: „Wer die Klappe aufmacht, muss auch liefern.“