Danijel Cubelic vom Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg, Rzouga Selmi und der Ausstellungsleiter des Haus der Geschichte, Rainer Schimpf (von links), begutachten die neue Vitrine. Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg

Geflüchtet und schwul zu sein, ist „ der schwierigste Fall“, meint Rzouga Selmi, dessen Schicksal das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in einer neuen Vitrine vorstellt.

Stuttgart - Es kann nur ein Fehler gewesen sein. Vor ein paar Wochen vermerkte ein Mitarbeiter beim tunesischen Einwohnermeldeamt in der Geburtsurkunde eines Tunesiers, dass der junge Mann in Frankreich geheiratet habe. An sich ein gewöhnlicher Vorgang. Allerdings scheint der Beamte übersehen zu haben, dass es sich bei den Eheleuten um zwei Männer handelte. Jetzt frohlocken die einen – und bangen die anderen.

Denn einerseits ist in Tunesien damit die erste gleichgeschlechtliche Ehe versehentlich für gültig erklärt worden. Der junge Mann muss allerdings Angst um seine Sicherheit haben. Homosexualität ist in Tunesien illegal und wird mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft.

Tunesien ist eines der vielen Länder dieser Erde, die nicht akzeptieren wollen, dass es Homosexualität gibt, auch wenn im vergangenen Jahr der wohl prominenteste Schwule des Landes sogar Präsident werden wollte. Toleranz ist selten, das hat auch Rzouga Selmi am eigenen Leib erlebt in dem Land, das Kampagnen wie „Schwule gehören nicht zu Tunesien“ ausgibt. Der eigene Bruder trieb Rzouga Selmi in die Depression und schließlich zur Flucht. „Ich werde dich weiter jagen“, so die Drohung des Bruders.

In Flüchtlingslagern ist Homophobie nicht selten

Das Haus der Geschichte hat nun eine neue Vitrine eingerichtet, die die Geschichte des Geflüchteten Rzouga Selmi erzählt, der vor drei Jahren die Chance ergriff, das Land, sein Leben, Freunde und Familie zu verlassen. Nach einer Konferenz in New York musste er in Frankfurt umsteigen – und beantragte direkt am Flughafen Asyl. Doch auch in Deutschland war die Situation für ihn keineswegs einfach, denn in dem Lager, in dem Selmi landete, waren auch genau jene untergebracht, die ihn doch zur Flucht bewogen hatten. Er war Drohungen und Gewalt ausgesetzt, sein Zimmer wurde verwüstet. Geflüchteter zu sein und dann auch noch schwul, „das ist der denkbar schwierigste Fall“, meint Rzouga Selmi.

„Ein-Wandererland“ nennt sich im Haus der Geschichte Baden-Württemberg der Ausstellungsbereich, der ganz unterschiedliche Flüchtlingsgeschichten erzählt von Menschen, die mal aus Armut, mal aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen mussten. Da trifft man auf einen Benediktiner-Pater, dessen Kloster in Schlesien von der SS beschlagnahmt wurde, oder stößt auf die Geschichte einer Türkin, die mit sechs Jahren zu ihren Eltern nach Deutschland ziehen konnte – und versuchte, in dieser fremden Welt Fuß zu fassen. „Wir wollen die Vielfalt der Bevölkerung im Land abbilden“, sagt Rainer Schimpf, der Ausstellungsleiter im Haus der Geschichte Baden-Württemberg ist. Da dazu auch die Erfahrungen von Menschen gehörten, die wegen ihrer sexueller Orientierung verfolgt werden, wurde die neue Vitrine über Rzouga Selmi nun eingerichtet. Die Stadt Heidelberg setzt sich intensiv für Chancengleichheit ein und geht offensiv gegen Diskriminierung vor, weshalb Schimpf dort angefragt hat und schließlich in Kontakt zu Rzouga Selmi kam.

Das Haus der Geschichte will die Vielfalt in Baden-Württemberg abbilden

Heute lebt Rzouga Selmi in Heidelberg und kämpft für die Rechte sexueller Minderheiten in einer queeren Geflüchtetenorganisation. Auch in Tunesien hatte er sich im Rahmen der Möglichkeiten versucht zu engagieren. Bei einem Konzert eines schwulen Sängers dachte er plötzlich „lass uns etwas riskieren“ – und holte die Regenbogenfahne heraus. Andere Besucher machten es ihm nach. Das Foto verbreitete sich sofort in den sozialen Netzwerken – und landete auch bei Rzouga Selmis Bruder. „Er ist ausgeflippt“, erinnert sich Selmi.

Religiöse Verbände in der arabischen Welt verhindern jegliche Liberalisierung

Durch sein Engagement konnte sich Selmi ein internationales Netzwerk aufbauen, das ihn schließlich ermutigte, das Land für immer zu verlassen. In Tunesien setzen sich zwar queere Organisationen für die Entkriminalisierung von Homosexualität ein, aber religiöse Verbände in der arabischen Welt verhindern jegliche Liberalisierung. Sie liefen natürlich auch jetzt Sturm, als der Rechtsverband Association Shams in den sozialen Netzwerken publik machte, dass Tunesien mit dem Eintrag in die Geburtsurkunde eine gleichgeschlechtliche Ehe für gültig erklärt habe.

Auch wenn das Leben für Rzouga Selmi in Deutschland weniger gefährlich ist, leicht wird es für den homosexuellen Geflüchteten in der neuen Heimat nicht immer sein. Schade, dass die neue Vitrine zwar mehrere Ausweise von Konferenzen zeigt, die Selmi besucht hat, aber man würde doch gern etwas mehr erfahren über das Schicksal dieses mutigen jungen Mannes.