Der Bürgermeister Alfons Zischl (Maximilian Brückner) ist verzweifelt. Foto: BR

Eine Politgroteske aus der bayerischen Provinz: Mit dem umwerfenden Sechsteiler „Hindafing“ zeigt der BR, dass deutsches Fernsehen irre und doch gut sein kann.

Hindafing - Alfons Zischl junior schwitzt. Ganz leicht zwar nur, aber doch so fortdauernd, dass zwischen Geheimratsecken und Schnauzbart fast immer ein feuchter Film glänzt. Alfons Zischl junior hat aber auch gute Gründe zur Transpiration. Alfons Zischl senior hat ja gerade das Zeitliche gesegnet und seinen Sohn alleingelassen mit all seinen Problemen: Minderwertigkeitsgefühle, Drogensucht und der Wahnsinn eines Postens, dem Alfons Zischl junior schlichtweg nicht gewachsen ist: Bürgermeister von Hindafing. Gut, die Kleinstadt nahe der tschechischen Grenze existiert nur in der Fantasie dreier Drehbuchautoren des Bayerischen Rundfunks. Doch das Amt des heillos überforderten Provinzpolitikers ist trotz der schweißtreibenden Übertreibung so real, dass es nicht nur Alfons Zischl junior schmerzt, sondern auch das Publikum.

Schließlich wartet es seit Jahren auf genau das: eine deutsche Fernsehserie, die es mit der ausländischen Konkurrenz aufnehmen kann. Und „Hindafing“ kann das. Nach internationalem Vorbild im Teamwork – „Writers’ Room“ genannt – ersonnen, skizziert der Sechsteiler die Amigo-Wirtschaft ländlicher Regionen mit einem Aberwitz, der süchtig macht. Und im Mittelpunkt steht dabei eben Alfons Zischl junior, der gleich zu Beginn in einer Tiefkühltruhe feststeckt und überhaupt von einer Katastrophe zur nächsten stolpert.

Die Gemeinde, der schon sein Vater jahrzehntelang wie ein Fürst vorstand, steht dank ihres unrentablen Windparks nämlich kurz vor der Pleite – und damit der Filius selbst. Um sich und seine Heimat aus der Schuldenfalle zu befreien, will er die alte Konservenfabrik zum Bio-Shoppingcenter aufrüsten. Dummerweise weckt dieses „Donau Village“ getaufte Luftschloss bei den Granden der Region so viele Begehrlichkeiten, dass es unvermeidbar im Korruptionssumpf versinkt. Nun gibt es solche kommunalen Desaster aus Nepotismus, Naivität und Größenwahn auch in der Wirklichkeit zur Genüge, weshalb sie sogar Teil eher harmloser Filme und Serien mit oder ohne Alpenpanorama sind.

Knietief im Korruptionssumpf

Das aber gibt es, trotz der Nähe zum Bergidyll, nirgends. Schon die Kirche der Beerdigung von Zischls Vater ist kein pittoresker Zwiebelturmbau, sondern noch trister als die Trauerrede des schwulen Pfarrers. Ringsum regiert statt Fachwerk grauer Nachkriegsbrutalismus, über dem nur selten mal die Sonne lacht. Grau sind die Wolken, grau sind die Gesichter, grau sind sogar die Tastentelefone mit Kabelsalat. Und erst die Menschen! Landräte tragen Tropfensonnenbrillen, Landfrauen gehen auf den Truckerstrich, Landwirte machen Ökowurst aus Abfall. Und dann stehen auch noch Flüchtlinge am Ortsschild, die dem Bürgermeister das Amt retten oder es ihn kosten könnten, je nach Grad der moralischen Verwahrlosung.

Kein Wunder, dass er sich sein Schicksal dauernd schönschnupft. Wenngleich nicht im schillernden Rausch, wie unter König Strauß‘ Regentschaft zeitgemäß, sondern mit Crystal Meth, dem Koks der Gosse. Das schmerzt bisweilen schon beim Zusehen. Doch aller Ödnis zum Trotz ist es ein Hochgenuss, Hindafing bei der Implosion zuzuschauen. Der Dank dafür gilt neben den Verantwortlichen hinter der Kamera vor allem Maximilian Brückner.

„Fargo“ und „Braunschlag“ grüßen

Wie zuletzt bereits sein unfreiwillig krimineller Dorfpolizist Hannes Bucher in „Pregau“, rutscht Zischl umso tiefer in den Schlamassel, je mehr er zappelt, um sich daraus zu befreien. Anders als beim gefeierten ARD-Vierteiler, anders auch als ähnliche Mundartfiguren wie sein „Räuber Kneißl“ vor neun Jahren, habe diese jedoch „keine reine Seele“, wie der wandelbare Schauspieler betont. „Er ist zwar kein waschechtes Arschloch, aber es ist völlig offen, wohin es ihn im Strudel aus Korruption und Vetternwirtschaft in der Provinzpolitik treiben wird.“

So viel sei verraten: ins geigenumflorte Happy End – auf den meisten Sendeplätzen mit Alpenpanorama üblich – wohl kaum. „Hindafing“ nutzt andere Vorbilder. Mit dem amerikanischen Provinz-Splatter „Fargo“ hat das eher am Rande zu tun, mit der österreichischen Berg-und-Tal-Groteske „Braunschlag“ umso mehr – schon weil ihr Erfinder David Schalko dem fiktiven Handlungsort an Bayerns Ostrand geografisch wie atmosphärisch näher ist als dem Minnesota der Coen-Brüder. Wenn man dann noch die 80er-Legende „Die Piefke-Saga“ als Referenzgröße nimmt, zeigt sich: „Hindafing“ gleicht Fernsehen aus Gegenden und Zeiten, denen verzagter Pragmatismus weit weniger fremd war.

BR-Fernsehen, 20.15 Uhr