Neue Regelsätze für Hartz IV liegen vor - es hagelt Kritik. Legt die SPD ihr Veto ein?

Berlin - Nur fünf Euro Zuschlag im Monat für die erwachsenen Hartz-IV-Bezieher, und bei den Kindern soll alles so bleiben wie es ist. Soll das alles sein, was bei der vom Bundesverfassungsgericht angeordneten Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze heraus kommt? Die Enttäuschung bei den Betroffenen ist groß.

SPD, Linke, Grüne sowie die Sozialverbände schäumen vor Wut. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach meint: "Die neuen Regelsätze sind das mit aller Gewalt herunter gerechnete Ergebnis politischer Mauschelei." Die Linke will gleich wieder vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und fordert 500 statt 364 Euro monatlich. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), der über die Länderkammer eine Mitsprache zusteht, geißelte die neuen Sätze zwar mit markigen Worten. Ob die SPD die Reform im Bundesrat blockieren will - die Möglichkeit dazu hätte sie jedenfalls - lässt Kraft aber offen.

Eine derartige Festlegung wäre auch verfrüht: Die Kritiker müssen ihre markigen Sprüche an dem sehr detaillierten Gesetzentwurf messen lassen, den das Arbeitsministerium vorgelegt hat. Es dürfte einige Zeit dauern, bis das 75 Seiten starke Dokument gründlich durchgearbeitet ist. Mit einer gewissen Gelassenheit lehnte sich denn auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zurück.

Von der Leyen kann einiges vorweisen: Sie war keine 100 Tage im Amt, da verwarf das Bundesverfassungsgericht die geltende Berechnungsmethode für die Regelsätze und forderte die Bundesregierung ultimativ auf, die Tarife für die Langzeitarbeitslosen und ihre Familien verfassungskonform zu gestalten. Bis zum 1. Januar 2011 müsse dies geschehen. Rot-Grün hatte, so die Ministerin genüsslich, "Pfusch am Bau" betrieben, als seinerzeit die Sätze nicht nach klaren Kriterien festgelegt, sondern der Bedarf "ins Blaue hinein" geschätzt worden war.

Dies ist nun anders. Per offizieller Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008, für die 55.100 Haushalte befragt wurden, wurde ermittelt, wie viel Euros Personen im unteren Fünftel der Einkommenspyramide für den täglichen Bedarf ausgeben. Die Verfassungsrichter, darauf legt von der Leyen Wert, hätten den Gesetzgeber ausdrücklich damit beauftragt, die Höhe der Sätze festzulegen. Allerdings habe die Auswertung der Daten ergeben, dass der Ermessensspielraum beim Grundbedarf "nur sehr eingeschränkt" gegeben sei. Dagegen fordert die Ministerin bei allen Ausgaben, die in den Dunstkreis "Lebensstil" fallen, den Primat der Politik ausdrücklich ein: "Da sind Entscheidungen, was zum Existenzminimum gehört, verlangt."

Internet ja, Garten nein


Der Gesetzentwurf ist sehr konkret. Zum Beispiel: In einem Haushalt der unteren Einkommensgruppen wurde laut EVS monatlich im Schnitt 112,12 Euro für Nahrung und 13,35 Euro alkoholfreie Getränke ausgegeben. Im Gesetz steht dann: Diese Ausgaben gehörten somit "zum unverzichtbaren Grundbedarf und zum physischen Existenzminimum". Also darf nicht gekürzt werden. Folglich wird auch einem Hartz-IV-Haushalt der entsprechenden Größe 112,12 Euro für Lebensmittel und 13,35 Euro für alkoholfreie Getränke zugestanden.

Nun wurde ermittelt, dass ein vergleichbarer Ein-Personen-Haushalt im Schnitt zudem 8,11 Euro im Monat für alkoholische Getränke ausgibt. Und an dieser Stelle kommt der "Lebensstil" sowie die Tatsachen ins Spiel, dass die Ministerin gelernte Ärztin ist. Ausgaben für Alkohol gehörten also nicht zum Existenzminimum und sind somit gestrichen. Im Gesetzentwurf steht sodann: "Wird auf Alkohol verzichtet, muss die damit verbundene Flüssigkeitsmenge zumindest zum Teil durch alkoholfreie Getränke ersetzt werden."

Der Bezieher von Hartz-IV-Leistungen ist also nicht gehalten, Leitungswasser zu trinken, sondern bekommt als Ersatz für die Ausgaben für Bier und Wein exakt 2,99 Euro für den Erwerb von Mineralwasser in der Berechnung der Sätze gutgeschrieben.Nicht zum Existenzminimum gehören zudem Ausgaben für Tabak, Pauschalreisen, illegales Glücksspiel und illegale Drogen. Ein eigener Garten ist laut Definition der Arbeitsministerin auch Luxus.

Der Regelsatz sieht also keinen Spielraum vor, Gartengeräte oder einen Rasenmäher anzuschaffen. Auch die Ausgaben für Schnittblumen und Tierfutter sind nicht existenzsichernd. Wenn ein Langzeitarbeitsloser also Hundehalter ist, muss er die Ausgaben für das Tierfutter an anderer Stelle einsparen. Dafür sieht der Regelsatz künftig ausdrücklich Ausgaben für die Praxisgebühr und das kostenpflichtige Herunterladen von Dateien im Internet vor. Von der Leyen begründet dies so: "Das gesetzliche Existenzminimum spiegelt sich verändernde Lebenswirklichkeiten wider."

Kritiker sind am Zug

Die Ministerin weiß: Jetzt sind erst einmal ihre Kritiker am Zug. Mit Hinweis auf das sehr detaillierte Zahlentableau sagt sie: "Wir wollten Transparenz, jetzt haben wir Transparenz." Und: "Die Rechnungen sind unbestechlich." Wer etwa wie die Linkspartei behaupte, erst ein Regelsatz oberhalb von 500 Euro sei angemessen, müsse das auf "Heller und Cent" sehr plausibel begründen können. "Auf die Erklärung bin ich sehr gespannt", fügt sie spitz hinzu.

Diese neue Berechnungsgrundlage für die Hartz-IV-Regelsätze musste die Ministerin liefern. Dazu hatten sie die obersten Richter verpflichtet. Von der Leyen wollte darüber hinaus aber auch einen politischen Akzent setzen. Ihr geht es um die Teilhabechancen für Kinder aus Hartz-IV-Familien. Mit den zunächst angekündigten Betreuungsgutscheinen und Chipkarten, die Kinder aus den betroffenen Familien vom Staat bekommen sollten, um Musikunterricht oder Nachhilfe zu nehmen, hat es zwar im ersten Anlauf nicht geklappt.

Aber die Ministerin ist stolz auf ihr Bildungspaket, das Teil des Gesetzentwurfs ist. Der Staat will ab 2011 etwa 620 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stellen, damit Kinder aus Hartz-IV-Familien bei der gesellschaftlichen Teilhabe nicht zurückstehen müssen. Das Geld ist für Nachhilfe vorgesehen, wenn die Versetzung gefährdet ist, für Musikschulunterricht, die Teilnahme an Schulausflügen sowie die Anschaffung von Buntstiften für die Schule. Auch das warme Mittagessen in Ganztagseinrichtungen soll bezahlt werden. Zumindest teilweise: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass auch Hartz-IV-Familien einen symbolischen Eigenanteil in Höhe von einem Euro tragen müssen.

Die Zeit eilt. Die Verfassungsrichter verlangen von der Politik, dass ab Januar verfassungskonforme Regelsätze gelten. Die SPD muss nun prüfen, ob sie die Reform in der Länderkammer blockieren will. Die Möglichkeit dazu hat sie. Die Sozialdemokraten äußerten zwar erhebliche Zweifel daran, ob die Berechnungsmethode der Regelsätze einwandfrei sei, vermieden es aber, sich auf ein Veto festzulegen. Im Arbeitsministerium zeigt man sich aber zuversichtlich: Selbst wenn die SPD in der Länderkammer die Neuregelung blockiere, müsse die Koalition überlegen, vorläufig die höheren Sätze zu gewähren und darauf zu setzen, dass die Länderkammer mit Verspätung grünes Licht gebe.