„Zentrum Automobil“ ist inzwischen mit elf Betriebsräten bei Daimler präsent. (Symbolfoto) Foto: dpa

Gewerkschaften waren in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen lange dem linken, sozialdemokratischen Spektrum zuzuordnen. Beflügelt von den Wahlerfolgen der AfD sieht die Neue Rechte hier ihre Chance, in den vorpolitischen Raum vorzustoßen

Dresden/Berlin - Nichts weniger als einen „Generalangriff auf das Monopol der großen Gewerkschaften“ verspricht Oliver Hilburger. Die Menge bei der Pegida-Kundgebung vor dem Dresdner Hauptbahnhof ist begeistert. Als früherer Bassgitarrist der Neonaziband Noie Werte ist Hilburger jubelndes Publikum gewohnt, auch wenn bei der Demonstration der fremdenfeindlichen Pegida an diesem kalten Februarabend vor dem Bahnhof kein Teilnehmer durch das Zeigen des Hitlergrußes auffällt - anders als bei den Konzerten früher. Der Daimler-Betriebsrat ist die Speerspitze der Neuen Rechten auf dem Weg in den vorpolitischen Raum der Arbeitnehmervertretungen.

Hilburger gibt sich angesichts seiner Vergangenheit geläutert - auch vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags. Das rechtsextremistische NSU-Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte seine Bekennervideos mit Stücken der Noien Werte unterlegt. Vor dem Stuttgarter Ausschuss sagt Maschinenschlosser Hilburger im November: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt im meinem Leben und Wirken diese drei Personen gekannt.“ Mit der menschenverachtenden Ideologie will er auch nichts zu tun haben; die Musik habe im Mittelpunkt gestanden.

Hilburger gründete „Zentrum Automobil“

Seit Jahren schon ist Hilburger Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim. Er gründete die Gewerkschaft „Zentrum Automobil“. Vergangene Woche wird er bei den Betriebsratswahlen zusammen mit fünf Getreuen wiedergewählt - ganz ohne eigene Themen und Forderungen, wie Betriebsratschef Wolfgang Nieke meint.

Nieke wirft der „Zentrum“-Führung vor, ihren „rechtsradikalen Hintergrund“ zu verschweigen. So sei es gelungen, in den wegen des Abgasskandals unsicheren Zeiten Ängste zu schüren, Stimmen zu gewinnen und zwei Mitglieder mehr als bisher in den Betriebsrat zu bringen. Zusammen mit den Standorten in Sindelfingen und Rastatt ist das „Zentrum“ damit inzwischen mit elf Betriebsräten bei Daimler präsent.

Doch anders als bisher steht Hilburger bei den bundesweit noch bis Ende des Monats laufenden Betriebsratswahlen nicht allein. Über die mit der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften und beobachteten Identitären Bewegung eng verwobene Ein-Prozent-Initiative wird bundesweit mobilisiert, „um die Macht linker Gewerkschaften in den Betrieben (...) zu brechen“, wie Hilburger es nennt. In Dresden kündigt er an: „Bundesweit treten jetzt viele Hundert Kandidaten an. Und ich verspreche Euch, in vier Jahren werden es Tausende sein.“

Die AfD sitzt mit im Boot

Wie eng „Ein Prozent“ mit den rechtsextremen Identitären verbunden ist, zeigt das Beispiel Sachsen: „Aus der Beobachtung der rechtsextremistischen Szene ist dem Landesamt für Verfassungsschutz bekannt, dass sich einzelne Rechtsextremisten bei „Ein-Prozent“ engagieren. Darüber hinaus gibt „Ein-Prozent“ den überwiegenden Teil der in Sachsen ansässigen Ortsgruppen der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ als Kooperationspartner an“, heißt es beim Landesamt in Dresden.

Mit im Boot auf dem rechten Weg in die Arbeiterschaft: die AfD. Der Zwickauer Kreistagsabgeordnete Frank Neufert wird mit seiner „IG Beruf und Familie“ ebenfalls von „Ein Prozent“ unterstützt und hat dem Namen seiner Liste, mit der er bei BMW in Leipzig für die Betriebsratswahl antritt, hinter einem Spiegelstrich vielsagend den Zusatz „Zentrum Automobil“ beigefügt.

Der bayerische Autobauer zeigt sich einigermaßen hilflos: „Die BMW Group steht konsequent für Werte wie Weltoffenheit, Toleranz und Respekt, unabhängig von Herkunft, Religion oder Fragen der Weltanschauung. Unser Unternehmen distanziert sich von jeglichen Strömungen, die nicht der demokratischen Grundordnung unseres Landes folgen“, sagt Sprecher Michael Blabst und betont: „Wir dulden beispielsweise keine rassistischen Äußerungen oder Verhaltensweisen in unserer Belegschaft“. Bisher hätten sich in Leipzig aber alle zur Betriebsratswahl angetretenen Listen „regelkonform“ verhalten.

SPD: „Gefährliche Entwicklung“

Für den Brandenburger Landesvorsitzenden und Vertreter des rechtsnationalen AfD-Flügels, Andreas Kalbitz, haben „Gewerkschaften und Sozialdemokratie“ ihren „Alleinvertretungsanspruch“ für die Arbeitnehmerschaft ohnehin längst verwirkt. „So, wie es politisch außer der AfD keine andere wirkliche demokratische Opposition mehr gibt in diesem Land, so wenig sind auch die etablierten Gewerkschaften ein wirklicher Garant zur Wahrung der Rechte von Arbeitnehmern.“

Bei einer AfD-Kundgebung zum Erhalt der Arbeitsplätze in der vom Strukturwandel bedrohten Braunkohleregion Lausitz kündigt er an, „die morschen und sturmreifen Bastionen der Gewerkschaftsbonzokratie“ einzureißen „zugunsten einer Arbeitnehmervertretung, die den Namen auch wieder verdient. Wir werden die, die auf unsere Kosten von unserem hart erarbeiteten Geld fettgefressenen Steigbügelhalter und Speichellecker der Globalisierungsausbeuter und Inländerfeinde ins politische Abseits stellen.“

Sachsens Vize-Regierungschef und SPD-Landeschef Martin Dulig spricht der Neuen Rechten indes jeglichen Vertretungsanspruch ab und sieht eine „gefährliche Entwicklung“. Die Interessenvertretung der Beschäftigten stehe auf dem Spiel. Der AfD gehe es nur darum, „auf dem Rücken von Beschäftigten Politik zu machen“, sagt er. Die Gewerkschaften müssten deshalb darauf achten, „dass man sich nicht das Wasser abgraben lässt“. Die Bestrebungen der AfD „schwächen die Bestrebungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, warnt Dulig.

Verdi und IG Metall relativieren die Gefahr

Gewerkschaften wie Verdi und IG Metall versuchen derweil, die Gefahr von rechts zu relativieren. „In Deutschland sind insgesamt rund 180 000 Betriebsratsmandate zu verteilen“, sagt auch Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach. Eine politische Bewertung der Ein-Prozent-Kampagne will er schon aufgrund der zahlenmäßig geringen Bedeutung nicht vornehmen. „Das ist, wenn überhaupt, eine sehr, sehr kleine Gruppe von Kandidaten, die sich da zur Wahl stellt.“

Hinter der Kampagne „Werde Betriebsrat“ steht auch das neurechte Magazin „Compact“. Auf einer Veranstaltung Ende November vergangenen Jahres in Leipzig, bei der neben Hilburger auch Pegida-Chef Lutz Bachmann, der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und der Chef der Identitären in Österreich, Martin Sellner, sprachen, gibt Chefredakteur Jürgen Elsässer den Takt vor: „Wir wollen eine neue Front im Widerstandskampf für Deutschland aufmachen, und das ist die Front in den Betrieben (...) Wir verbinden Patriotismus und Einsatz für die Arbeiter und Schwachen in diesem Land: Nationale und soziale Befreiung des deutschen Volkes!“

Die AfD versucht schon seit geraumer Zeit, auf vielerlei Kanälen in der Arbeitnehmerschaft Fuß zu fassen. Sehr weit gediehen seien die Pläne allerdings noch nicht, gibt Kalbitz zu. Das Projekt stecke „noch in den Kinderschuhen“.

Der Zeitverzug hat auch mit den Bruchlinien und persönlichen Animositäten in der Partei zu tun, in der es alleine drei Gruppen für Arbeitnehmer gibt: die Arbeitnehmer in der AfD (AidA), der auch Neufert angehört, den Verein Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer (AVA) und den vom Flügel gestützten Alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland (ALARM!).

Der nordrhein-westfälische AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Witt ist ehemaliges Mitglied der IG Metall. Der AVA-Bundesvorsitzende meint, die AfD müsse sich innerhalb der etablierten Gewerkschaften um Einfluss zu bemühen - auch wenn die Widerstände groß seien. Er glaubt nicht, dass das „Zentrum Automobil“ großen Einfluss gewinnen wird. Dafür erscheint ihm das Vorleben Hilburgers doch zu anrüchig. „Wenn man schon so startet, kann das nur in die Hose gehen“.