Fahrverbote werden mit zu viele Stickstoffdioxid begründet – doch ist das überhaupt sinnvoll? Foto: dpa

Eine neue Studie schätzt die gesundheitlichen Risiken von Luftschadstoffen deutlich höher ein als bisher angenommen. Gleichzeitig halten es die Forscher für fragwürdig, Diesel-Fahrverbote allein mit zu hohen Stickoxid-Werten zu begründen.

Stuttgart - Wissenschaftler des Max-Planck- Instituts für Chemie (MPIC) in Mainz und der dortigen Uniklinik schätzen die Gesundheitsrisiken von Luftschadstoffen deutlich höher ein als die Autoren bisheriger Studien. In einem Beitrag im Fachblatt „European Heart Journal“ kommen sie zu dem Schluss, dass in Deutschland pro 100 000 Einwohner jedes Jahr 154 vorzeitige Todesfälle auf Luftverschmutzung zurückzuführen sind. Weltweit beziffern die Forscher die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Luftschadstoffe auf 8,8 Millionen im Jahr. Bisher waren Forscher weltweit von 4,5 Millionen Sterbefällen ausgegangen. Diese Zahl stammt aus dem Projekt Global Burden of Disease (GBD), in dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltbank und die Harvard-Universität die Ursachen von Krankheiten und Sterblichkeit untersuchen.

Gefährlicher als Rauchen

Die Autoren um den MPIC-Direktor Jos Lelieveld und den Kardiologen Thomas Münzel begründen ihre Bewertung damit, dass die Datenbasis seit der letzten GBD-Erhebung gewachsen sei. Dabei habe sich gegenüber früheren Studien etwa eine Verdoppelung des Sterblichkeitsrisikos ergeben. Folgt man der aktuellen Studie, sind Luftschadstoffe gesundheitsschädlicher als das Rauchen, dem die WHO jährlich 7,2 Millionen vorzeitige Todesfälle zuordnet. Für Deutschland gehen die Forscher davon aus, dass im Jahr gut 100 000 Menschen vorzeitig durch Luftverschmutzung sterben. Den Betroffenen gingen im Schnitt 17 Jahre verloren – bei einer angenommenen Lebenserwartung von 91 Jahren.

Die Studie konzentriert sich auf Feinstaub mit einem Durchmesser unter 2,5 Mikrometer (PM 2,5). Dieser sei die Hauptursache für Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, was die hohen Sterberaten erkläre. Im Vergleich zum Feinstaub seien die gesundheitlichen Effekte von Stickstoffdioxid (NO2) deutlich geringer einzustufen. Co-Autor Ulrich Pöschl hält es deshalb für fragwürdig, Dieselfahrverbote allein mit Überschreitungen des NO2-Grenzwerts zu begründen – wie es derzeit in Stuttgart und anderen deutschen Städten der Fall ist. Lokale Fahrverbote könnten sogar kontraproduktiv sein, meint Lelieveld. „Dadurch werden Emissionen umgeleitet in Gebiete mit besserer Luftqualität“, sagt der Chemiker. Und gerade bei niedrigen Konzentrationen könnten die gesundheitlichen Effekte von Schadstoffen überdurchschnittlich hoch sein. Auch wenn Feinstaub viel gefährlicher sei, dürfe man NO2 nicht unterschätzen. „Das Problem ist nicht, dass der Grenzwert für Stickstoffdioxid zu niedrig ist“, sagt Lelieveld. Vielmehr sei der Feinstaubgrenzwert zu hoch. Dann bekäme auch Stuttgart wieder Probleme, wo es 2018 erstmals keine Feinstaub-Grenzwertüberschreitungen gegeben hat.

Kritik an Studien

Epidemiologische Studien, in denen Gesundheits- und Sterbedaten unterschiedlich belasteter Personengruppen verglichen werden, waren zuletzt stark kritisiert worden. Die Mainzer Forscher halten ihre Daten dennoch für valide. Nun sei es noch dringlicher, die Luftverschmutzung weiter zu verringern. So könne der Ersatz fossiler Brennstoffe durch saubere Energiequellen die Sterberate um gut die Hälfte senken.