Drei Besucher sind von der Kunst des Fesselns, die Nobuyoshi Araki fotografiert, gefesselt. Foto:  

Die neue Ausstellung der Galerie Sindelfingen ist voller betörender und verstörender Momente. Extremer Sexualität und Folter stehen humorvolle Körperverrenkungen und gärtnerische Konzepte gegenüber. Nicht zu vergessen: eine Schar krakeelender Troll-Roboter.

Sindelfingen - Beyond the Pain“ – „Jenseits des Schmerzes“ heißt der aus irgendeinem Grund englische Titel der neuen Ausstellung in der Sindelfinger Galerie. Doch geht es in dem meisten Arbeiten der zwölf Künstler und Kunstkollektive weniger um die Sphäre jenseits des Schmerzes, als um den Schmerz selbst.

Pferde in Panik, herausquellende Augen, verrenkte Beine, die sofort an Dalí oder Goya erinnern – und doch fotografische Dokumentationen sind. Einen missglückten Zeugungsakt unter Rennpferden hat die britische Künstlerin Marianna Simnett fotografiert.

Bilder voller Gewalt

Je sechs dieser Fotos hat sie in ein Paneel gebracht, acht solcher Paneele hängen in der achteckigen Kuppel der Galerie. Je nach Blickwinkel auf das Paneel blitzen diese einzelnen Bilder auf wie die Wackelbilder aus der Kindheit. Aber die Fotos von Marianna Simnett sind voller Gewalt und verstörend. Die Stute verweigert sich dem Deckhengst, der Akt wird zu einer brutalen versuchten Vergewaltigung. Madeleine Frey, die zusammen mit Sebastian Schmitt die Ausstellung kuratiert hat, sieht in den Paneelen auch eine Kritik am Kapitalismus: Die Stute entziehe sich durch ihre Weigerung, Fohlen zu gebären, der Wertschöpfungskette des Rennsports.

Der Japaner Nobuyoshi Araki aus Tokyo hat Bondage-Fotos gemacht. Shibari heißt die japanische Sexualpraktik, Frauen mit Seilen zu erotisch fesseln. Die perfekt ausgeleuchteten schwarzweißen Bildreihen werden von Landschafts- und Blumenbildern durchbrochen, wie um Ruhepunkte zwischen den einzelnen Aktaufnahmen zu schaffen.

Diese Ausstellung geht auch bewusst an jene Grenze, wo man die Bilder kaum noch ertragen kann. Etwa da, wo das Foltergefängnis Saydnaya in Syrien dokumentiert wird, in dem der Diktator Baschar Hafiz al-Assad politische Häftlinge nach entsetzlichen Quälereien in völliger Dunkelheit halb verdursten ließ.

Gedanklich und gefühlsmäßig ist es extrem schwierig, sich aus dem Horror der Diktatur wieder auf den Bereich der Ästhetik einzulassen. Etwa bei der Installation von Anna Gohmert, die sogenannte lebende Steine, an extreme Trockenheit angepasste Pflanzen, in Steinwollmatten pflanzte, um die Grenzen zwischen organischem und anorganischem Material auszuloten.

Spielerisch mit dem Schmerz geht Barbis Ruder um

Spielerisch mit dem Schmerz geht die Heidelbergerin Barbis Ruder um. Sie hat aus altem Turngerät eine Yoga-Trainingsstation gebaut, auf der man eine komplizierte Verrenkung namens „Herzöffnung“ machen kann, die sie in einem Zeichentrick-ähnlichen Videofilm auch gleich vorführt. In einer weiteren Installation präsentiert sie Plastikmundstücke an Ketten oder Drahtseilen, die sich wie ein Musikinstrument spielen lassen. Und der Brite Damian Hirst liefert gleich die Medizin zum Gebrechen: Er zeigt eine bunte Vitrine voller Schmerzmittel.

Außerhalb der Ausstellung „Beyond the Pain“ präsentiert die Galerie in der kommenden Saison noch zwei weitere Arbeiten in extra Räumen im Erdgeschoss der Galerie. Die Esslinger Künstlerin Jana Maria Dohmann stellt im Schaufenster Junge Kunst aus. Sie hat sich Roboter anfertigen lassen, die sie in bunte Schlaghosenbeine gehüllt hat. Die rollende Schar umringt den Besucher und brüllt ihn mit Diskantstimme an wie eine Schar kleiner automatischer Trolle.

Verblüffende Momente

Gegenüber im Kabinett Lütze breitet sich der Datenstrom von Fabian Krause aus. Auf Bahnen, die an U-Bahnlinien erinnern, bewegt sich eine unendliche Kette von Bits. Blau hinterlegte Nullen und Einser entströmen den Beamern, wandern über drei Wände und verschwinden wieder. Dazwischen spielen Videosequenzen die Geschichte der Galerie Sindelfingen ab oder zeigen Grußworte der Sindelfinger Würdenträger, wie etwa des Oberbürgermeisters Bernd Vöhringer.

„Beyond the Pain“ bietet verschiedene Grenzerfahrungen und verblüffende Momente. Das schönste am Schmerz jedoch ist, wenn er wieder aufhört und man weitergeht. Bei vielen der Installationen, Videos und Fotos in der neuen Ausstellung möchte man allerdings länger verweilen.