Wenzel Stählin hat die Kunst des Blaudrucks wiederentdeckt. Foto: factum/Granville

Lust an der Grenzüberschreitung: Eine neue Ausstellung in der Ludwigsburger Karlskaserne trägt den antiken Namen „Die Säulen des Herakles“ – und ist dennoch aktuell.

Ludwigsburg - Zu sehen sind: Seestücke, Hochhausarchitektur, Menschen in Stadtlandschaften und Menschen auf einer Fitnessmesse – gemalt, auf Video oder als Fotoserie. Die Fragen dahinter lauten: Was trennt die Kultur von der Natur? Oder: Wann sind die Grenzen der Selbstoptimierung und der Ökonomisierung des Alltags erreicht? Eine neue Ausstellung in der Ludwigsburger Karlskaserne zeigt Arbeiten von zwei griechischen und zwei deutschen Künstlern. Alle vier sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, der Titel der Ausstellung lautet: „Die Säulen des Herakles“.

Am Ende der bekannten Welt

Mit den „Säulen des Herakles“ sind bekanntlich die beiden Felsen an der Meerenge von Gibraltar gemeint. Wer in der Antike diese Grenze überschreiten wollte, verließ das Mittelmeer und damit die bekannte Welt. Kein Wunder, dass der Oden-Dichter Pindar seine Zeitgenossen davor gewarnt hat: „Es ist nicht leicht, das unwegsame Meer zu überqueren und jenseits der Säulen des Herakles zu fahren.“

Heike Grüß, die die Ausstellung kuratiert hat, möchte die darin enthaltene Drohung lieber als Aufforderung verstanden wissen: Verlasst die ausgetretenen Pfade! Begebt euch in Gefahr!

Unendliche Weiten

Den Arbeiten von Aimy Palogiannidou ist eine Stadtflucht vorausgegangen: Nach einigen Jahren in London hat sich die in Athen geborene Künstlerin auf eine lange Seereise begeben. Ihre in dieser Zeit entstandenen, fast schon romantischen Werke versteht sie als Botschaften aus einer fremd gewordenen Welt. Zur geografischen Grenzüberschreitung kommt bei ihr die Reise weg vom durchgetakteten, urbanen Leben hin zu einem Leben in scheinbar unendlichen Weiten und einer tiefen Stille. Auch wenn die Darstellung von Natur überwiegt – Meer, Himmel, Sonnenuntergänge – die Grenze ist in jedem einzelnen Gemälde und jeder Collage von Palogiannidou sichtbar: als Horizontlinie.

Der dressierte Körper

Der in Stuttgart geborene und heute in Leipzig lebende Künstler Wenzel Stählin zeigt dagegen eine Serie von Stillleben aus der Welt der modernen Büros. Sein Thema: Die Forderung nach der Anpassung des menschlichen Körpers an den Arbeitsalltag und die nach einem stetigen Wirtschaftswachstum. „Ich möchte das allerdings nicht als Beweisführung für eine Theorie ausführen“, sagt Stählin, „für mich sind das eher unscharfe Begriffe.“ Schärfen will er sie, indem er zeigt, wo Natur in die scheinbar geschlossene Welt der gesellschaftlichen Konditionierung eindringt. Dazu greift Stählin auch auf eine Uralttechnik zurück: den Blaudruck. Stofftücher werden solange mit Sonnen- oder Kunstlicht bestrahlt, bis sich die Konturen von aufgelegten Blättern oder Blumen abzeichnen. „Das ist zwar ein fotografischer Prozess“, sagt er, „aber dafür brauche ich keine Kamera mit ihren Härten und ihrer Schärfe.“

Ungewohnte Perspektive

Ein jeweils eigenes Tempo geben die Videoarbeiten von Mariana Bisti und Tessa Knapp vor. Bisti zeigt in mit einer Drohnenkamera gefilmten Sequenzen, wie sich ein Neubauviertel in Hongkong ausbreitet – und wie die von Stadtplanern konzipierten riesigen Steintürme und Betonlandschaften von den Menschen angenommen werden. Der Takt der Bilder und die ungewohnte Perspektive entwickeln einen eigenen Sog. Tessa Knapp konzentriert sich auf die Umkehr der Produktion: Sie zeigt akribisch, was geschieht, wenn etwas in seine Bestandteile zerlegt wird – am Beispiel eines Strickpullovers, der aufgelöst wird.