Das unterirdische Zwischenlager in Neckarwestheim wurde 2006 eingeweiht. Jetzt soll ein Depot für schwach radioaktiven Müll den Hochsicherheitstrakt für ausgediente Brennstäbeergänzen. Foto: dpa

Die Abschaltung der ersten Kraftwerksblöcke haben Atomgegner lang ersehnt. Doch für Neckarwestheim bedeutet der Abschied von der Nukleartechnik ein böses Erwachen. Das Atomgelände am Rand der Region Stuttgart droht zum zentralen Sammelplatz für den Strahlenmüll aus dem Südwesten zu werden.

Neckarwestheim - Auf den ersten Blick ließ die Tagesordnung für die Sitzung des örtlichen Gemeinderats kaum spektakuläre Neuigkeiten erahnen. Der Technik-Chef des Kernkraftwerks in Neckarwestheim wollte den Bürgervertretern kurz vor der Sommerpause die konkreten Pläne für den Rückbau des Atomstandorts erläutern. Und so fiel einer breiteren Öffentlichkeit nicht weiter auf, dass der Energiekonzern EnBW nun mit dem Gedanken spielt, am Rande der Region Stuttgart einen Zerlegebetrieb für Nuklearschrott aus dem ganzen Land zu errichten.

Denn die Informationsrunde im Rathaus enthält durchaus brisante Details: Am Standort Neckarwestheim soll nicht nur ein zusätzliches Zwischenlager für schwach und mittelschwer radioaktiv belastete Abfälle entstehen. Geplant ist auch, großformatige Anlagenteile wie Dampferzeuger und Kühlmittelpumpen aus Philippsburg an die Kreisgrenze zwischen Ludwigsburg und Heilbronn zu karren und in einer 16 Meter hohen Stahlbetonhalle in ihre Einzelteile zu zerlegen. Verbunden mit dem Einsatz von Schraubenschlüssel und Schneidbrenner ist die Dekontamination der Rückbau-Reste – das Kraftwerksareal am Neckarufer wird zur Waschstation für den strahlenden Müll.

Bei lokalen Atomkraftgegnern löst diese Idee heftigen Widerstand aus. „Wir machen da mobil, spätestens im Herbst wird unsere Kampagne starten“, betonte Herbert Würth, der Sprecher des Aktionsbündnisses Castor-Widerstand. Befürchtet wird von den Aktivisten nicht nur die Strahlengefahr beim Transport der Rückbauteile von Philippsburg ins etwa 80 Kilometer entfernte Neckarwestheim. Die Atomkraftgegner beklagen auch, dass die Reinigung der kontaminierten Reste mit einer radioaktiven Verschmutzung des Neckarwassers verbunden sein könnte. „Das wäre doch eine Katastrophe, wenn ausgerechnet ein von einem Grünen-Politiker geführtes Umweltministerium so etwas zulässt“, sagte Würth.

Auch Wolfram Scheffbuch vom Bündnis der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar reagierte mit Kritik an der Atompolitik im Land: „Dass noch immer radioaktiver Staub aus den Abluftkaminen der Kernkraftwerke geblasen wird, ist zwar der weitaus größere Skandal. Doch wir werden genau beobachten, wie intensiv sich die Aufsichtsbehörden um die Strahlenmessung bemühen – nicht, dass es da wieder neue Schlupflöcher für die EnBW entstehen.“

Kein kostspieliger Bau eines eigenen Zwischenlagers

Schon im Frühjahr hatte die Nachricht die Runde gemacht, dass der Energiekonzern das unterirdische Zwischenlager in Neckarwestheim für Strahlenmüll aus Obrigheim nutzen will. 342 derzeit im Nasslager abklingende Brennstäbe sollen mit 15 Castor-Behältern nach Neckarwestheim gekarrt werden. Mit dem Transport könnte sich die EnBW den kostspieligen Bau eines eigenen Zwischenlagers sparen – zumal im momentan mit 41 Behältern belegten Atomstollen im Muschelkalk noch reichlich Platz ist.

Laut Jörg Michels, Chef der Kraftwerkssparte der EnBW, muss das Nasslager im vor fünf Jahren stillgelegten Reaktor in Obrigheim bis 2016 geräumt sein, um den als Herz der Anlage geltenden Reaktordruckbehälter mit ferngesteuertem Werkzeug demontieren zu können. Die kurz nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima abgeschalteten Blöcke in Philippsburg und Neckarwestheim sind momentan in der Ruhephase. Zwar hat die EnBW bereits im vergangenen Jahr mit dem Abbruch der Kühltürme begonnen. Doch die Strahlenbelastung im nukleartechnischen Bereich muss erst sinken, bevor an die Demontage gedacht werden kann. Bis die Kraftwerksblöcke am Rand der Region verschwunden sind, werden noch Jahrzehnte ins Land ziehen – erst 2022 soll im zweiten Neckarwestheimer Nuklearmeiler das Licht ausgehen.

Wieder zeitnah Transport nach Philippsburg

Mit dem Bauantrag für das zusätzliche Zwischenlager und die konzernintern als „Reststoffbearbeitungszentrum“ bezeichnete Zerlegehalle muss sich das Rathaus frühestens im Herbst befassen. Aus Sicht der EnBW ist die Bündelung in Neckarwestheim nicht nur aus finanziellen Gründen sinnvoll. „Der Standort bietet sich an, weil durch die beiden Druckwasserreaktoren hier auch die meisten Großkomponenten anfallen“, heißt es in der Karlsruher Konzernzentrale.

Bürgermeister Mario Dürr hat die EnBW zugesichert, dass die zerlegten Rückbauteile nicht dauerhaft in Neckarwestheim gelagert bleiben, sondern „zeitnah“ wieder nach Philippsburg transportiert werden. Auch dort ist ein zusätzliches Zwischenlager für schwach strahlenden Müll geplant. Gegen die Transportpläne aus Obrigheim hatte das Rathaus im April eine Klage angekündigt.

Gemmrigheims Bürgermeisterin Monika Chef will auf juristische Schritte gegen das zusätzliche Zwischenlager verzichten. „Ich bin reichlich desillusioniert und von der Politik auch nichts mehr anderes gewohnt“, erklärte sie im Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten. Mehr als über die Pläne der EnBW ärgert sich Chef über die fehlende Freigabe von Schacht Konrad als Lagerstätte – und spricht offen von einem Gefühl der Hilflosigkeit: „Als Standortgemeinde sind wir doch völlig auf uns allein gestellt.“