Forstrevierleiter Daniel Berner (rechts) und Forstbezirksleiter Götz Graf Bülow beschreiben die Besonderheiten des Naturschutzgebiets Neuweiler Viehweide. Foto: Claudia Barner

Das Naturschutzgebiet Neuweiler Viehweide zeigt, wie die Menschen vor rund 200 Jahren gelebt haben – und mit dieser Lebensweise den Bestand der heimischen Wälder bedrohten.

Waldenbuch - Wer wissen möchte, wie die Menschen im 18. Jahrhundert gelebt haben, geht ins Museum oder kauft sich ein Buch. Mitunter empfiehlt sich für eine Zeitreise in die Vergangenheit jedoch auch ein Ausflug in den Wald. Im Schönbuch bei Waldenbuch haben Forstexperten und Naturschützer die Zeit zurückgedreht. Im Naturschutzgebiet Neuweiler Viehweide ist eine parkähnliche Landschaft entstanden, auf der unter großen, alten Eichen Pferde und Ziegen weiden.

„Willkommen im alten Hutewald“, der Forstbezirksleiter von Forst BW, Götz Graf Bülow, steigt die hölzernen Tritte zur Besucherplattform an der Kesslerhauallee hinauf und lässt den Blick über eine Landschaft schweifen, die in dieser Form im Schönbuch einzigartig ist. Hoch aufragende Baumriesen mit mächtigen Kronen prägen das Bild. Dazwischen ist viel lichter Raum. Dickicht und Unterholz sucht man hier vergebens. Stattdessen haben sich Gras und Binsen auf dem Boden breit gemacht.

Etwa 100 Helfer drehten im Jahr 2009 das Rad der Zeit zurück

Mit einem Leuchten in den Augen erinnert sich Graf Bülow an jenen Tag im Jahr 2009, als ein Team aus 100 Helfern auf der Neuweiler Viehweide das Rad der Zeit zurückdrehte. Ein Spezialgerät hatte das bodennahe Holz beseitigt, anschließend fielen die starken Buchen. Das Geäst wurde zu großen Reisighaufen zusammengetragen und verbrannt. „Das war ein richtiges Event“, erinnert sich der Forstmann.

Elf Jahre später ist er mit seinem Kollegen, dem Forstrevierleiter Daniel Berner, im Naturschutzgebiet unterwegs. Seit dem 1. Januar 2020 ist die neue Behörde Forst BW für den Staatswald zuständig. Das 13,5 Hektar große Naturschutzgebiet Neuweiler Viehweide gehört dazu. Seit 1984 steht es unter besonderem Schutz. Doch erst als 2005 die wachstumsfreudige Buche den alten Eichenbestand bedrohte, entschloss man sich dazu, ein sechs Hektar großes Areal nach historischem Vorbild zu gestalten.

„Wir schützen hier keinen natürlich entstandenen Raum. Wir schützen eine Landschaft, die in ihrer ursprünglichen Form vom Menschen geprägt wurde“, sagt Daniel Berner. „Das Gebiet ist ein historisches Relikt der einstigen Schönbuchlandschaft. Das ist ein richtiger Schatz, der in seiner lichten Weite von Waldbesuchern als schön und ästhetisch empfunden wird“, betont er.

Früher wurde der Wald als Weide genutzt

Der kulturelle Wert des Hinguckers am Wegesrand erklärt sich aus seiner Geschichte. Götz Graf Bülow stapft mit großen Schritten zu einer kleinen Ziegenherde, die unter den Eichen lebt. Die 20 Tiere verbringen den Sommer gemeinsam mit bis zu fünf Pferden im Hutewald und vermitteln einen Eindruck davon, was dem Schönbuch vor rund 200 Jahren drohte.

„So wie hier, sah es um 1800 im ganzen Schönbuch aus. Der Wald wurde damals von den umliegenden Gemeinden als Weide genutzt. Dem Appetit der Kühe, Schafe, Pferde, Schweine oder Ziegen konnten nur die großen Eichen trotzen, die irgendwann ziemlich allein auf weiter Flur standen“, erzählt der Forstbezirksleiter. Holz wurde Mangelware. Der württembergische König Wilhelm I. zog die Reißleine und stellte um 1820 auf die moderne nachhaltige Forstwirtschaft um. Die Nutzungsrechte gingen von der Gemeinde auf das Land über. Das Verbot zeigte Wirkung. Heute verstecken sich die bis zu 400 Jahre alten Solitärbäume von einst wieder im allgemeinen Grün des Waldes.

Ein 3,5 Kilometer langer Rundweg führt zum Naturschutzgebiet

Die etwa 20 Giganten im rekonstruierten Hutewald aber erzählen weiterhin die Geschichten der Vergangenheit. Und sie sorgen dafür, dass sich im lichten Wald auch Arten heimisch fühlen, die sonst vor allem auf Streuobstwiesen zu finden sind. „Schmetterlinge, Eidechsen, der Wendehals, kleine Spechte oder der Hirschkäfer fühlen sich im sonnenbeschienenen Hutewald wohl und erhöhen die Biodiversität“, erzählt Götz Graf Bülow.

Als prominenter Nachbar ergänzt der vom Aussterben bedrohte Juchtenkäfer die ungewöhnliche Wohngemeinschaft. Er besiedelt die Hohlräume der alten Baumveteranen. Ein Ausgleichsprojekt der Deutschen Bahn für die im Zuge von Stuttgart 21 im Rosensteinpark gefällten Bäume liegt gleich nebenan im Distrikt Weilerberg und unterstreicht die Bedeutung des gesamten Areals als biologisches Kleinod mit historischer Bedeutung.

Ein etwa 3,5 Kilometer langer Rundweg führt die Waldbesucher zum Naturschutzgebiet Neuweiler Viehweide. Startpunkt ist der Wanderparkplatz Fäulbachsee. Er ist über die L 1185 zwischen Waldenbuch und Schönaich zu erreichen. Schilder mit der Aufschrift Waldkulturerbe Neuweiler Viehweide weisen den Weg. Die Tiere befinden sich im Umfeld der Besucherplattform „Hirtensitz“. Dort gibt es auch einige Infotafeln.