Mario Götze: Bald will der Offensivmann wieder für die Nationalmannschaft jubeln Foto: dpa

Die Leidenszeit ist vorbei. Ein Jahr nach seinem bisher letzten Länderspiel ist der WM-Held Mario Götze wieder im Kreise der Nationalmannschaft – in den Klassikern gegen England und Frankreich peilt er die Wende an.

Berlin/Stuttgart - Wenn Mario Götze draußen an der Seitenlinie steht und bereit ist zur Einwechslung, dann kommen auch dreieinhalb Jahre später die Erinnerungen hoch. Götze, der Joker. Der Mann, dem Joachim Löw im Maracanã ins Ohr flüsterte, dass er der Welt zeigen soll, dass er besser als Messi ist. Der Mann, der wenige Minuten später der WM-Held von Rio wurde und im Finale von 2014 das goldene Tor gegen Argentinien schoss.

Die Szene ist legendär. Eine der größten der deutschen Fußballgeschichte. Wie Helmut Rahns Linksschuss zum 3:2 im WM-Finale 1954 in Bern. Wie Gerd Müllers Drehschuss im Münchner Endspiel von 1974. Wie Andreas Brehmes Elfmeter im Finale 1990 in Rom.

Der Treffer im WM-Finale 2014 – ein Tor für die Ewigkeit

Und wie dieser Götze das machte: Mit der Brust nahm er eine Flanke von André Schürrle an, und noch ehe der Ball den Boden berührte, spitzelte er ihn an Argentiniens Torhüter Sergio Romero zum 1:0 für die Deutschen ins Tor. Eine Bewegung wie ein Gedicht, alles fließend. Ein Tor für die Ewigkeit. Und das perfekte Sinnbild für die Fähigkeiten des Mario Götze – dem Mann, dem auf engstem Raum alles gelingen kann. In mehreren Bewegungen, die dank der Eleganz wie eine große ganze aussehen.

Dreieinhalb Jahre nach dem WM-Finale, im November 2017, steht dieser Mario Götze wieder draußen an der Seitenlinie. Er ist wieder bereit zur Einwechslung. Es ist wieder ein großes Spiel, lange nicht so groß zwar wie ein WM-Finale, aber immerhin Borussia Dortmund gegen FC Bayern, das beste, was die Bundesliga zu bieten hat. Doch dieses Mal flüstert Götze niemand etwas ins Ohr, es gibt noch nicht mal klare Anweisungen.

Der Mann mit der schwarzen Nummer zehn auf dem gelben Trikot steht irgendwie verloren da. Weil das Spiel längst verloren ist. Der FC Bayern hat gerade das 3:0 geschossen. Es kann für einen Joker keinen undankbareren Moment geben, ins Spiel zu kommen. BVB-Profi Götze kann nichts mehr machen. Seine Einwechslung? Eher ein Muster ohne Wert. Anders als 2014 in Rio, beim Stand von 0:0 im WM-Finale.

Die Szene vom Samstagabend um kurz vor acht im Dortmunder Stadion taugt wunderbar als Sinnbild. Denn Götze ist gerade eher nicht mehr der Mann, der große Spiele entscheiden soll. Er kommt gefühlt rein, nun ja, wenn die Sache durch ist.

Was Götze (25) schleunigst ändern will. Auf Clubebene. Und in der Nationalelf.

Löw hat Götze nicht abgeschrieben

Er hat die WM 2018 in Russland noch nicht abgeschrieben. Weil ihn Joachim Löw noch nicht abgeschrieben hat. Erstmals nach einem Jahr berief der Bundestrainer Götze wieder ins Aufgebot der Nationalelf. Bei den Spielen gegen England im Londoner Wembley-Stadion an diesem Freitag (21 Uhr/ZDF) und gegen Frankreich in Köln am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) ist der Offensivmann wieder dabei.

Teständerspiele als Neustart

Die beiden Testländerspiele könnten für Götze den Neustart markieren. Zurück in die Zukunft. Endlich wieder wichtig werden. Das und nicht weniger ist sein Ziel. Das nach langer Leidenszeit aber verdammt schwer zu erreichen sein wird.

„Mal bist du der Baum, mal der Hund“, das hat Götze mal gesagt. Und frei nach diesem wunderbaren Bonmot war er nach dem Finale 2014 eher der Baum. Seine Fallhöhe schraubte er selbst nach oben – der Siegtorschütze eines WM-Finales ist nicht weniger als der größte Held der Fußballwelt. Und kann nur noch fallen. Erst recht, wenn dieser Mann schon als Teenager das größte Versprechen des deutschen Fußballs war.

Götzes Geschichte aber ist vielschichtiger als die eines gefallenen Helden. Denn hinter ihm liegt eine scheinbar nicht enden wollende Phase von Rückschlägen. Das ging schon 2013 los, als er von Borussia Dortmund zum FC Bayern wechselte – und dort nie den Durchbruch schaffte. Auch, weil Trainer Pep Guardiola nie wirklich auf ihn setzte.

Tuchel tickt wie Guardiola – auch wenn es um die Einschätzung Götzes geht

2016 wollte Götze diesen Teufelskreis durchbrechen. Er kehrte zum BVB zurück. Doch es änderte sich erst mal: nichts. Denn sein neuer Trainer Thomas Tuchel tickt wie sein alter: Tuchel und Pep Guardiola sind Brüder im Geiste. Auch wenn es um die Einschätzung Götzes geht. Tuchel baute ebenfalls nicht bedingungslos auf den WM-Helden, der nicht an seine Leistungsgrenze kam. Was aber noch einen ganz anderen Grund hatte – den entscheidenden.

Götze wirkte behäbig, er schleppte sich mehr und mehr nur noch über den Platz. Gerüchte machten die Runde, er sei trainingsfaul. Als die immer wiederkehrenden Muskelprobleme nicht abreißen wollten, drängte BVB-Arzt Markus Braun auf eine Blutuntersuchung – und wurde fündig. Götze leidet an einer „Abweichung von normalen Stoffwechselvorgängen“. Es war also Götzes Körper, der verhinderte, dass er Spitzenleistungen bringen konnte.

Götze nahm die Situation an: Er ließ sich in einer Klinik behandeln und zwang sich dazu, auch eine mentale Auszeit zu nehmen. Heute sagt er: „Was mir geholfen hat, war die Aussicht, in der Vorbereitung wieder mit dem Team trainieren zu können.“

BVB-Trainer Bosz setzt auf Götze

Aus gutem Grund. Denn der neue BVB-Trainer Peter Bosz setzte auf Götze, der wieder Vertrauen spürte. Die Zeit war reif für einen Neuanfang. Das Dortmunder Eigengewächs blühte auf, was aber nichts daran änderte, dass er bis heute noch nicht an seine Leistungsgrenze gekommen ist. Götze ist fleißig, er ist wieder fit, er ist permanent unterwegs auf dem Platz. Aber die frühere Leichtigkeit, die Eleganz auf engstem Raum, garniert mit den kleinen, feinen Pässen und dem starken Abschluss, die Geistesblitze, all das ist noch nicht auf dem Niveau, das Götze schon mal hatte.

Beim BVB betonen alle Verantwortlichen ihre Geduld mit dem Kreativspieler und den Glauben dran, dass er wieder zu alter Stärke zurückfindet. Löw nominierte ihn wieder für die Nationalelf. Götze hat Rückendeckung – die Fragen aber bleiben: Spielt der Körper mit? Und wenn ja, kommt Götze an sein altes Spitzenniveau heran, toppt er es sogar? Ob dieser Hochbegabte in einem großen Spiel noch mal die entscheidende Rolle einnehmen kann? Die nächsten Monate werden entscheidend für Mario Götzes weitere Karriere sein.