Bundestrainer Joachim Löw steht unter verschärfter Beoachtung. Foto: Getty

Der deutsche Fußball auf dem Weg der Erneuerung: Bundestrainer Joachim Löw steht nach zwölf Jahren im Amt in der Pflicht, der Deutsche Fußball-Bund und und der Liga-Dachverband DFL sind aber ebenso gefordert, kommentiert Gunter Barner mit Blick auf das Krisenjahr der Nationalmannschaft.

Stuttgart - Im Zwischenzeugnis steht: Sie haben sich bemüht. Die Karawane der deutschen Fußballnationalmannschaft zieht nicht mehr so abgeschottet durchs Land, als fürchte sie eine ansteckende Krankheit. Und in Joachim Löw setzt sich wohl endgültig die Erkenntnis durch, dass bei ihm anfängt, was bei seinen Helfern endet: die bedingungslose Bereitschaft, permanent Erfahrungen, Erkenntnisse, Methoden und Überzeugungen auf ihre Wirkung zu überprüfen. Der Erfolg im Fußball ist so flüchtig wie die Luft im Ball.

Noch weiß niemand, ob es reicht, auf den Hosenboden zu sitzen und nachzuholen, was andere Nationen längst erledigt haben: Den einen oder anderen Hinweis könnte aber schon an diesem Montagabend das letzte Länderspiel dieses Jahres liefern. Ein Sieg gegen den alten Rivalen Niederlande wäre wichtig für die Setzliste in der Qualifikation zur Euro 2020 – und ein Trostpflaster auf die Wunden, die das verkorkste Fußballjahr 2018 geschlagen hat. Beim 3:0 im Testspiel gegen die laschen Russen gelang der DFB-Auswahl immerhin zum ersten Mal in diesem Jahr ein Sieg ohne Gegentor. Aber es reifte auch die Überzeugung: Jung und schnell ist gut, gegen Klasseteams aber nicht gut genug. Dem Aushängeschild deutscher Fußballkunst fehlen noch immer Leichtigkeit, Automatismen, Cleverness und ein Schuss spielerische Genialität.

Der Stillstand erinnert an die Zeit vor der WM 2006

Ganz gleich, ob sich der Ex-Weltmeister mit einem Happy End aus dem Jahr 2018 verabschiedet, Löw und die Seinen werden weiter unter verschärfter Beobachtung stehen. Sie müssen liefern. Ansonsten nehmen in den Stuhlkreisen des Spitzenfußballs die Diskussionen darüber wieder an Fahrt auf, ob es eine gute Idee war, Löw nicht schon nach dem WM-Aus die Papiere überreicht zu haben. Der Chefcoach steht nach zwölf Jahren im Amt in der Pflicht, mit zwangsläufig etwas abgenützten Methoden eine neue und erfolgreiche Mischung zu finden, die einen Fußball spielt, den er im Vorfeld der WM noch für untauglich befunden hatte. Hinzu kommt: Die Aktien von Jürgen Klopp und Ralf Rangnick werden unverändert hoch gehandelt.

Doch der Zwang zur Erneuerung endet nicht bei der Nationalelf. Die Schlafwagengesellschaften in den Präsidien des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) müssen Antworten auf Fragen finden, welche die Entwicklung zusehends hemmen: Wie unternehmerisch und kommerziell wollen Verbände und Vereine sein? Ist die den Wettbewerb verzerrende 50+1-Regel noch haltbar? Wie will der Fußball das zu Teilen der Fankultur zerrüttete Verhältnis reparieren? Aktuell erinnert der programmatische Stillstand an die Zeit vor der WM 2006, als erst eine Krise dem Reformer Jürgen Klinsmann die nötigen Spielräume eröffnete. 2024 gastiert die EM im Land des viermaligen Weltmeisters. Um es mit Herbert Grönemeyer zu sagen: Zeit, dass sich was dreht.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de