Aus dem Gazastreifen steigt eine Rakete gen Israel in die Luft Foto: dpa

Der Kibbuz Nirim an der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels wird regelmäßig zum Ziel von Raketenangriffen. Für die Bewohner ist es ein Leben in ständiger Angst – zumal die Hoffnung auf dauerhaften Frieden bei ihnen immer mehr schwindet.

Der Kibbuz Nirim an der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels wird regelmäßig zum Ziel von Raketenangriffen. Für die Bewohner ist es ein Leben in ständiger Angst – zumal die Hoffnung auf dauerhaften Frieden bei ihnen immer mehr schwindet.

Nirim - Es ist die Machtlosigkeit, die Miki Lavi am meisten Angst macht. Die Machtlosigkeit, wenn er mit seiner Frau Nurit im Sicherheitsraum seines Hauses sitzt, stundenlang, und die Einschläge der Raketen hört: nah, noch näher, dann wieder ein Stück entfernt. „Du sitzt einfach da und wartest und hörst zu und kannst nichts machen“, sagt Miki Lavi. Seit vergangenem Donnerstag wird der Kibbuz Nirim, der nur rund einen Kilometer vom Gazastreifen entfernt liegt, von der Hamas schwer beschossen. Mehrere Raketen schlugen direkt im Zentrum des Kibbuz ein, in der Nähe des gemeinsamen Speisesaals. Autos und Häuser wurden beschädigt, verletzt wurde bislang niemand.

Miki und Nurit Lavi leben seit fast 40 Jahren in dem Kibbuz im nordwestlichen Negev, sie haben hier vier Söhne großgezogen. Lange Jahre sei es ein ruhiges Leben gewesen. Dann kam die Intifada, der Aufstand der Palästinenser, im Jahr 2000, der Rückzug des israelischen Militärs 2004 aus dem Gazastreifen und dessen Übernahme durch die Hamas. Seither leben die 450 Kibbuzbewohner damit, dass die Hamas mit Unterbrechungen immer wieder Raketen auf ihre Gemeinschaft feuert.

„Bei allem, was wir machen, müssen wir einen Notfallplan haben. Wenn wir zum Beispiel ein großes Fest feiern, müssen wir uns vorher überlegen, wo all die Leute in Sicherheit gebracht werden, falls etwas passiert“, sagt Miki Lavi. Viele Häuser und Felder des von der Landwirtschaft lebenden Kibbuz wurden in diesen Jahren zerstört – und immer wieder aufgebaut, ein Mensch getötet.

Seit drei Israelis im Westjordanland entführt und ermordet und ein arabischer Junge mutmaßlich aus Rache getötet wurden, fliegen die Raketen wieder. Israel antwortet mit Luftangriffen und verlegt Truppen an die Grenze zum Gazastreifen.

Am schlimmsten sei die Situation für die Kinder, sagt Miki Lavi. Jedes Mal, wenn die Gewalt eskaliere, zeigten sie heftigere Reaktionen. Manche Kinder würden wieder zu Bettnässern, wollten nur noch bei den Eltern schlafen oder hätten Angst, in die Schule zu gehen. Am Mittwoch haben deshalb alle Familien mit Kindern unter 16 Jahren den Kibbuz verlassen, um am anderen Ende des Landes Unterschlupf zu finden. Hoch oben im Norden von Israel gewährt ein Kibbuz den Bewohnern von Nirim immer dann Asyl, wenn es wieder besonders schlimm ist. Es ist das dritte Mal in fünf Jahren, dass sie die Koffer packen und diese Hilfe in Anspruch nehmen müssen. In Städten wie Sderot und Aschdod fängt das Abwehrsystem Iron Dome (Eiserne Kuppel) mittlerweile viele Raketen ab, Nirim liegt dafür zu nah am Gazastreifen, die Raketen erreichen es zu schnell.

Wenn man mit Miki Lavi über die Situation in seinem Heimatort spricht, dann spürt man keine Wut, sondern eine große Enttäuschung, auch ein bisschen Überdruss und Trauer. Denn seit dem letzten Gazakrieg Ende 2012 hatten die Bewohner die meiste Zeit Ruhe. Die Hoffnung war groß, dass sie wieder dauerhaft in Frieden leben könnten. „Wir hatten ein gutes Gefühl. Jetzt beobachte ich, dass die Menschen mehr und mehr ihre Hoffnung verlieren“, sagt Miki Lavi. Das Fatale sei, dass dadurch auch liberale Menschen wie er, die für eine friedliche Lösung des Konflikts mit den Palästinensern seien, resignierten.

Eine Beobachtung, die sich mit der Stimmung im ganzen Land deckt. Zwar ist Umfragen zufolge ein Großteil der Israelis für eine Zwei-Staaten-Lösung und eine Aussöhnung mit den Palästinensern.

Gleichzeitig allerdings glaubt die Mehrheit nicht, dass dieses Ziel derzeit zu erreichen ist.

Eine Folge: Immer mehr junge säkulare, liberale Israelis verlassen das Land. „Die Organisation eines europäischen Passes hat sich in den vergangenen Jahren zu einer florierenden Industrie entwickelt“, schreibt die Zeitung „Ha’aretz“. Allein in Berlin haben sich in den letzten Jahren Tausende junge Israelis angesiedelt.

Für Miki Lavi ist Auswandern keine Option. Er kann sich nicht einmal vorstellen, Nirim zu verlassen. „Natürlich spricht man immer wieder darüber. Aber ich sehe mich selbst einfach an keinem anderen Ort.“