Foto: sir-eichert

Die Touristen trauen sich wieder: Für Besucher eine Attraktion, Einheimische schimpfen darüber.

Der Pfarrer gibt den Ton an. "Stille Nacht", singt er auf portugiesisch, "heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht." Dicht gedrängt steht die Gruppe aus Brasilien in der Geburtsgrotte von Bethlehem. Der Pfarrer fotografiert jedes einzelne seiner Schäfchen, wie sie nacheinander niederknien, um den im Boden eingelassenen silbernen Stern zu küssen. Viele haben Tränen in den Augen. Genau an der Stelle soll Jesus geboren worden sein. Ein Ave-Maria sagen die Brasilianer zum Abschied noch, dann schiebt sich die nächste Reisegruppe in den kleinen Raum unterhalb des Altars der Kirche. Sie singen ebenfalls "Stille Nacht, heilige Nacht" – auf Japanisch.

Im Dezember ist in Bethlehem Hochsaison. Und vor allem an Weihnachten lassen sich die Pilger durch nichts davon abhalten, die palästinensische Kleinstadt zu besuchen. Lange Schlangen bilden sich vor der an die Geburtskirche angebaute Katharinenkirche, wenn dort die alljährliche Mitternachtsmesse ansteht. Aber mit früher sind die Besucherströme nicht zu vergleichen, dagegen wirken sie wie ein Rinnsal. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada, dem gewaltsamen Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besetzung im Jahr 2000, blieben die Touristen weg. Sechs Jahre dauerte der Kampf, und zum Schluss haben die Israelis eine acht Meter hohe Mauer um Bethlehem gebaut.

"Seit diesem Jahr wird es wieder besser", sagt Manhal. Die junge Frau arbeitet in der Tourist-Information am Krippenplatz gegenüber der Geburtskirche. Es kämen viele Polen und Russen, wie alle anderen hauptsächlich in Gruppen mit eigenen Reiseführern. Busweise werden sie in die Stadt gekarrt und vor der Geburtskirche abgesetzt. Die Milchgrotte und das Hirtenfeld stehen manchmal noch auf ihrem Programm, dann geht es weiter zur nächsten Station der Rundreise. Zurück durch den Checkpoint, den die meisten Touristen vom Bus aus nicht einmal registrieren, vorbei an schwer bewaffneten Soldaten.

Individualtouristen seien selten, sagt Manhal, die Mauer schrecke sie ab–bis auf die Deutschen, die manchmal extra wegen des Bauwerks kämen. "Sie sind wohl neidisch", sagt Manhal zynisch, "die Mauer hier ist viel höher, als die in Berlin es war." Und bunt ist sie auch: Auf einem Graffito ist ein Weihnachtsbaum zu sehen, wie Bethlehem von der Mauer umzingelt. In Düsseldorf ist die 28-jährige Manhal aufgewachsen, vor etwa zehn Jahren ging sie in ihre Heimat zurück, "weil es in Bethlehem früher wunderschön war". Mittlerweile ist das Leben sehr kompliziert geworden. Jüdische Israelis dürfen nicht mehr in die Stadt, Palästinenser können nur mit einer Genehmigung heraus. Höchstens Geschäftsleute und ältere Menschen bekommen einen solchen Passierschein, junge Leute wie Manhal haben keine Chance. Die Tourist-Info-Mitarbeiterin war zuletzt vor acht Jahren in Jerusalem. Dabei ist die Stadt gerade einmal zehn Kilometer entfernt.

Die Mauer mitsamt Wachturm steht auch bei der Familie Giacaman im Laden. Sohn Elias hat die Szene geschnitzt: Josef und Maria mit dem Baby auf der einen Seite, die Heiligen Drei Könige auf der anderen. "So ist es doch in Wirklichkeit", sagt seine Mutter. Um einen Verkaufsschlager handelt es sich bei der Krippe allerdings nicht. Maria Giacaman wünschte, die Touristen wären mutiger. "Die Mauer macht uns das Leben schwer, nicht ihnen", sagt sie. Denn drei Viertel der Stadt lebten, mehr schlecht als recht, vom Fremdenverkehr. Hotels, Restaurants, Souvenirshops, Taxifahrer und Reiseführer.

Als die Franziskaner ungefähr im elften Jahrhundert mit den Kreuzrittern nach Bethlehem kamen, waren die Einheimischen arm. Die Mönche brachten ihnen bei, Krippen aus Olivenholz und Schmuckstücke aus Perlmutt zu schnitzen. Das Kunsthandwerk beschäftigt die Bevölkerung noch heute. "Aber wenn die Touristen nur noch mit Reisebussen und straffen Zeitplänen kommen, haben sie gar keine Zeit mehr zum Einkaufen", schimpft Maria Giacaman.

Ein paar Schritte entfernt in der Altstadt hat der arabische Frauenverband ein Museum eingerichtet: ein typisches palästinensisches Haus aus dem 19. Jahrhundert. Die Museumsaufsicht gähnt. Sie muss erst aufschließen, wenn plötzlich Besucher auftauchen. "Zu uns verläuft sich kaum jemand", sagt sie. Dabei wäre der Weg über den Markt durch die engen Gassen, vorbei an drei Kirchen und einem Kloster, doch so schön. Aber die Brasilianer, die eben "Stille Nacht, heilige Nacht" gesungen haben, müssen weiter. Es reicht noch für ein Foto draußen vor der Geburtskirche mit dem Pfarrer. Dann fährt der Bus ab.

Bethlehem

Anreise
Swiss Air fliegt von Stuttgart über Zürich nach TelAviv (ab 300 Euro): www.swissair.com.
El Al und Lufthansa fliegen von München und Frankfurt aus: www.el-al.airline-direct.de und www.lufthansa.com.
Vom Flughafen fahren Busse nach Jerusalem und weiter nach Bethlehem. Eine Fahrt kostet etwa 1,50 Euro und dauert etwa eine halbe Stunde.

Checkpoint Bethlehem
Beim Hineinfahren nach Bethlehem passieren die Linienbusse die Mauer ohne anzuhalten. Der Rückweg ist komplizierter: Die Fahrgäste müssen erst zu Fuß den Checkpoint an der Mauer passieren, die Bushaltestelle befindet sich jenseits der Grenze. Dorthin kommt man am besten mit dem Taxi (vier Euro). Der Checkpoint hat die Atmosphäre eines Hochsicherheitsgefängnisses. Erst läuft man durch einen langen vergitterten Gang an der Mauer entlang, dann muss man in einer Halle mehrere Drehkreuze passieren, streng blickende Soldaten freundlich anlächeln und sein Gepäck durchleuchten lassen. Touristen müssen ihren Pass zeigen.

Orientierung
Der Linienbus hält am Rand der Innenstadt. Dort tummeln sich viele Taxifahrer, um ahnungslose Touristen abzufangen. Zur Geburtskirche sei es viel zu weit zu laufen, erklären sie, und zu sehen gebe es auf der Strecke auch nichts. Erst ist die Rede von 3,5 Kilometern, im Lauf der Diskussion werden daraus fünf. Tatsächlich kann man die Geburtskirche locker zu Fuß erreichen, die Strecke führt durch die Altstadt, eine Fußgängerzone. Rund um die Geburtskirche bieten örtliche Fremdenführer ihre Dienste an–auch auf Deutsch. Die Herren sind ebenfalls sehr hartnäckig. Aber als Tourist ist man in Bethlehem eben sehr gefragt.

Allgemeines
Die Tourist-Information von Bethlehem befindet sich im Peace-Center direkt bei der Geburtskirche. Täglich geöffnet. Dort gibt es zum Beispiel eine Karte mit interessanten Spaziergängen durch Bethlehem. Informationen über Palästina auf Englisch stehen unter www.visitpalestine.ps oder www.travelpalestine.ps. Informationen zur politischen Lage unter www.auswaertiges-amt.de.