Der größte Tag im Leben des Diego Maradona: Der Kapitän der argentinischen Mannschaft präsentiert den Pokal nach dem Finaltriumph über Deutschland bei der WM 1986 Foto: AP/Carlo Fumagalli

Einer der besten Fußballer der Geschichte ist tot: Argentiniens Idol Diego Maradona stirbt am Mittwoch keine vier Wochen nach seinem 60. Geburtstag an einem Herzinfarkt – nach einem Leben zwischen Genie und Wahnsinn.

Stuttgart/Buenos Aires - Pelé brauchte nicht lange, vielleicht etwas mehr als eine Stunde nach der traurigen Nachricht, als er vielleicht so etwas wie die Botschaft des Tages in die Welt setzte. Brasiliens Fußballidol, stolze 80 Jahre alt, kondolierte im Netz. Und was er da schrieb, nun ja, dürfte nur besonders kalten Menschen auf diesem Planeten keine Gefühle der Rührung oder keine feuchten Augen beschert haben. „Ich habe einen großartigen Freund verloren, die Welt eine Legende“, schrieb Pelé also – und schloss mit dem Satz des Tages an diesem traurigen Tag: „Eines Tages spielen wir hoffentlich gemeinsam Fußball im Himmel.“

Diego Maradona ist tot. Einer der besten Fußballer der Geschichte, wenn nicht der beste neben oder vor Pelé, Johan Cruyff, Franz Beckenbauer und seinem argentinischen Landsmann Lionel Messi, hat den Kampf um sein Leben verloren, nachdem er so lange in diesem Leben kämpfte. Nachdem er so oft hinfiel und wieder aufstand. Mühsam zwar, aber irgendwann stand Diegito immer wieder. Wie auch immer: Jetzt ist der Kampf vorbei.

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Medienberichten zufolge starb der 60-jährige Maradona in seinem Haus in Tigre nördlich von Buenos Aires an einem Herzinfarkt. Herbeigerufene Sanitäter konnten ihn demnach nicht wiederbeleben. Zuletzt war Maradona wegen einer Gehirnblutung in einem Krankenhaus nahe der argentinischen Hauptstadt operiert worden und hatte dann einige Tage in der Klinik verbracht.

Schaurige Szenen in Moskau

Die argentinische Regierung ordnete nun eine dreitägige Staatstrauer an, Maradona soll ein Staatsbegräbnis erhalten. Die Vereinten Nationen kondolierten kurz nach Pelé am Mittwochabend. So viel zur Dimension und zur Größe dieses kleinen Mannes, den seine Fans nur Diegito nannten. Der der Fußballwelt riesige Momente bescherte. Und der an der großen Herausforderung namens Leben scheiterte.

Es ist zweieinhalb Jahre her, als die argentinische Nationalelf bei der WM in Russland im Moskauer Spartak-Stadion gegen Island im Gruppenspiel ran musste. Für Diego Maradona, den Weltmeister von 1986 und ehemaligen Nationalcoach, der hoch droben unterm Tribünendach saß, war es mehr. Maradona durchlebte und zelebrierte oben auf der Tribüne eine Art WM-Finale.

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Er muss von mehreren Helfern gestützt werden, als er auf den Sitz steigt. Als er, stark übergewichtig und eingeschränkt in seinen Bewegungen, wie wild geworden mit seinem Trikot wedelt. Als er Anfang der zweiten Hälfte fast übers Geländer in den Unterrang stürzt. Diego Maradona zeigt seine Mittelfinger und weiß wohl nicht so recht, wem er sie zeigt. Er schreit, als das Spiel gerade kein Schreien hergibt. Und er verpasst fast ein Tor der Argentinier, weil er zwischendurch nach der ganzen Anstrengung auf seinem Sitz eingeschlafen ist.

Der Mann der Extreme hatte es offenbar mal wieder zu extrem getrieben. Die Hand Gottes, so berichteten das hinterher mehrere Medien, hatte sich offenbar mal wieder zu viel von diesem teuflischen Zeugs namens Kokain geschnappt. Man hatte während dieses Trauerspiels auf der Moskauer Tribüne auch Mitleid mit Diegito, das schon. Aber man war vor allem: schockerstarrt.

Höhenflüge – und der tiefe Fall

Kaum ein Fußballer, außer vielleicht der Nordire George Best (das ist der, der sein Geld eigenen Angaben zufolge für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben und den Rest einfach verprasst hat) lebte mehr zwischen den Extremen als Maradona. Höchste Höhen auf dem Platz, tiefste Tiefen daneben. Das war Maradona, der sich und seinen Körper über die Jahre, man muss es wohl so hart sagen, zerstörte.

Trotzdem hat Maradona den Kampf des Lebens zumindest so gemeistert, dass er Ende Oktober 60 Jahre alt wurde. Jetzt ist der Kampf vorüber – doch die große Frage bleibt über Maradonas Tod hinaus: Wie konnte der Mann, der auf dem Platz einen Höhenflug an den anderen reihte, daneben so tief fallen?

1982 wechselt der junge Maradona, der schon damals ein Versprechen für die Zukunft ist, für eine damalige Rekordablösesumme zum FC Barcelona, zum Halbgott steigt er aber erst zwei Jahre später auf. Für eine weitere Rekordablöse geht es weiter zum SSC Neapel, und hier beginnt die Verwandlung. Maradona steigt höher und höher, 1987 und 1990 führt er Neapel zu den bis heute einzigen Meisterschaften der Vereinsgeschichte.

Große Erfolge

Schon bei seiner Begrüßung hatten ihn mehr als 70 000 Fans im Stadion empfangen, später lungerten die Menschen immer wieder vor seiner Haustür herum. Einmal soll eine Krankenschwester eine Blutprobe von ihm gestohlen und in die Kirche gebracht haben. Die Neapolitaner verehren ihn wie einen Heiligen. Maradona kommt mit dem Hype klar, so lange er Fußball spielt, auf dem Rasen wird er besser und besser.

Mit Argentinien wird er 1986 Weltmeister, 1989 gewinnt er mit Napoli auch den Uefa-Pokal. Auf dem Platz also läuft es. Daneben läuft alles aus dem Ruder. Maradona verfällt dem Kokain („Eine Line – und ich fühlte mich wie Superman“), zieht zum Teil von Sonntagabend bis Mittwoch um die Häuser, um danach bis zum nächsten Spiel am Wochenende wieder alles auszuschwitzen.

Maradona freundet sich mit der Camorra an, lässt sich Kokain und Prostituierte vermitteln. Er verkehrt oft mit dem hochrangigen Clan-Mitglied Carmine Giuliano, die 2004 verstorbene Mafiagröße nutzt den Glanz des Superstars immer wieder für seine trüben Zwecke. Maradona ist mit sich überfordert. Napoli vergöttert die Hand Gottes. Maradona versetzt die Fußballwelt ob seiner Genialität in einen kollektiven Rausch. Er selbst braucht die Drogenräusche, um irgendwie klarzukommen mit dem Ruhm.

Das Jahrhunderttor

Nach der Karriere meint es das Leben nicht besser mit Maradona. Und er meint es weiter nicht gut mit seinem Leben. Irgendwann wird er so dick, dass er nicht mehr sprechen kann. Er schießt mit einem Luftgewehr auf Journalisten. Er scheitert als TV-Moderator und argentinischer Nationalcoach, er verbringt Wochen in Krankenhäusern, lässt sich den Magen verkleinern und schrammt mehrmals knapp am Tod vorbei. Alkohol, Drogen. Immer weiter mit dem vollen Programm.

Lebendig und klar aber bleiben auch in trüben Zeiten die Erinnerungen an seine genialen Momente auf dem Platz. An die „Hand Gottes“, mit der Maradona bei der WM 1986 im Viertelfinale für den späteren Weltmeister gegen England trifft. Und an sein Jahrhunderttor nach einem unfassbaren Dribbling im selben Spiel.

Diego Maradona also wird an jenem 22. Juni 1986 im Aztekenstadion zu Mexiko-City in der eigenen Hälfte angespielt. Und dann geht es schnell: Drehung um die eigene Achse, Ballstreicheln in der Bewegung mit der Hacke, und los geht der wilde Lauf. Rein in die gegnerische Hälfte, wo Maradona solch geniale Haken schlägt, dass der Begriff der Slalomstange für Abwehrspieler beim Fußball salonfähig wird. Fünf Engländer lässt er im Sprint stehen, die Kugel immer eng am Fuß, wie angeklebt. Stillstand über der Grasnarbe, und dennoch höchstes Tempo. Zum Schluss schmiegt sich Maradona auch noch am Torwart vorbei. 2:0. Ein Tor für alle Zeiten. Ein Jahrtausendtor.

Diego Maradona ist tot. Seine Momente leben.