Boris Johnson will bei den britischen Konservativen auf den Fahrersitz Foto: AP

Als Chefin der Torys ist Theresa May jetzt Geschichte. Um die Nachfolge balgt sich gleich ein Dutzend Konkurrenten. Der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson gilt als Favorit, aber sicher ist sein Sieg bei weitem nicht.

London - Die britischen Konservativen sind nach dem Debakel um den verstolperten EU-Austritt und der Rückzugsankündigung der glücklosen Premierministerin Theresa May auf der Suche nach einem Retter. Die Europawahl Ende Mai bescherten der Partei von Winston Churchill und Margaret Thatcher gerade einmal neun Prozent der Stimmen. So ein Ergebnis hatte es seit dem frühen 19. Jahrhundert nicht mehr gegeben.

Ex-Außenminister Boris Johnson sagte gar schon das Aussterben der Tories voraus, sollte der Brexit nicht bis zum 31. Oktober vollzogen sein. Der Prophet, der da zur Läuterung aufruft, wird von vielen inzwischen als Heilsbringer betrachtet. Johnson ist der klare Favorit im Rennen um die Nachfolge Mays, die an diesem Freitag ihren Parteivorsitz niederlegen wollte. Ohne Auftritt diesmal, nach ihrer tränenerstickten Rücktrittsankündigung vor wenigen Tagen.

Johnson verspricht, bis Ende Oktober aus der EU auszuscheiden - mit oder ohne Abkommen. Ihm wird zugetraut, Ober-Brexiteer Nigel Farage in die Schranken zu weisen, der die Konservativen mit seiner Brexit-Partei vor sich her treibt. Die Farage-Partei verpasste bei einer Nachwahl im ostenglischen Peterborough am Donnerstag nur knapp ihren ersten Sitz im britischen Parlament.

Den Bürgerschreck hat Johnson hinter sich gelassen

Gleichzeitig ist Johnson aus seiner Zeit als Londoner Bürgermeister als einer in Erinnerung geblieben, der auch liberale Wähler anziehen kann. Das könnte ihm bei einer Parlamentswahl zum Sieg über Labour-Chef Jeremy Corbyn verhelfen, glauben viele. Johnson hat in den vergangenen Monaten eine merkliche Wandlung vollzogen. Der einst füllige Bauch ging zurück, die blonde Mähne auf seinem Kopf wurde zu einer passablen Frisur. Die sonst unausweichlichen verbalen Fehltritte blieben aus. Johnson hat das Image des Klassenclowns abgelegt. Britische Kommentatoren sehen darin das Resultat eines professionellen Wahlkampfteams.

Doch Johnsons Erfolg ist nicht garantiert. Meist waren es nicht die Favoriten, die sich im Rennen um das Amt des Parteichefs bei den Tories durchsetzten. Knapp ein Dutzend Konservative haben ihren Hut in den Ring geworfen. Doch gemäß neu beschlossener Regeln könnte sich das Feld ziemlich schnell lichten. Nur wer bis Montagabend acht Abgeordnete hinter sich bringen kann, darf an dem Auswahlverfahren teilnehmen. Danach gibt es mehrere Abstimmungsrunden in der Fraktion, bei denen ausgesiebt wird.

Schafft es Johnson in die zweite Phase - eine Stichwahl der Parteimitglieder zwischen den zwei verbliebenen Kandidaten, dürften sich seine Chancen noch einmal erheblich verbessern.

Nur der krasse Außenseiter hat eine echte Strategie

Allerdings hat er ernst zu nehmende Konkurrenz. Unter anderem Umweltminister Michael Gove, ebenfalls ein Brexit-Wortführer, der sich jedoch bereits jetzt eine Hintertür für eine weitere Verlängerung der Austrittsfrist offenlässt. Gove, so wird spekuliert, hätte die Fähigkeit, Johnsons Gepolter als oberflächlich bloßzustellen. Aber auch einer der moderateren Kandidaten wie Außenminister Jeremy Hunt oder Innenminister Sajid Javid könnte das Rennen machen - sie gelten als weniger kontrovers als Johnson und Gove. Doch auch sie haben keinen überzeugenden Plan, wie sie das Land aus der Brexit-Sackgasse führen wollen. Alle versprechen, Brüssel zu Zugeständnissen zu bewegen. Aber es gibt keine Anzeichen, dass sie mehr Erfolg haben könnten als May.

Der einzige, der eine echte Strategie hat, gilt als krasser Außenseiter: Entwicklungsminister Rory Stewart will eine Bürgerversammlung einberufen, die mittels Expertenrat einen nationalen Brexit-Kompromiss finden soll, den auch Brüssel akzeptiert. Doch das würde wohl unweigerlich zu einer engeren Anbindung an die EU führen als bisher geplant. Der Trend in der Tory-Fraktion geht eher in die entgegengesetzte Richtung.

Die härteste Linie in Sachen EU-Austritt fährt Ex-Brexit-Minister Dominic Raab. Er würde sogar dem Parlament eine Sitzungspause auferlegen, um zu verhindern, dass die Abgeordneten eine weitere Brexit-Verlängerung erzwingen. Damit käme es wohl endgültig zur Krise des politischen Systems in Großbritannien.

Selbst Queen Elizabeth II. könnte hineinzogen werden ins Gezerre. Ihr obliegt es, die Sitzungsperioden zu beenden und zu eröffnen. Sollte es tatsächlich einen Brexit ohne Abkommen geben, wie Raab ihn in Kauf nehmen würde, käme wohl eine wirtschaftliche Krise hinzu.